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Neue Krebstherapien stellen Kardiologie vor große interdisziplinäre Herausforderung

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Statement Prof. Dr. Tienush Rassaf, Essen

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind in Deutschland die häufigste Todesursache gefolgt von Krebserkrankungen. Beide Erkrankungen haben viele gemeinsame Risikofaktoren, wie Rauchen, Diabetes mellitus oder hohes Alter, und beeinflussen sich gegenseitig in Form und Auftreten. Mit Verbesserungen der Krebstherapie durch wissenschaftliche Fortschritte der Onkologie und in der Folge einer erhöhten Anzahl von Langzeitüberlebenden nach Krebs, sind Nebenwirkungen am Herz-Kreislaufsystem ein immer drängenderes Gesundheitsproblem. Im Jahr 2016 sind nach Schätzung des ZfKD (Zentrum für Krebsregisterdaten) insgesamt in Deutschland rund 492.000 Krebserkrankungen erstmalig diagnostiziert worden. Davon traten bei Männern ca. 258.500 und bei Frauen 233.600 Erkrankungen auf. Die 5-Jahres Überlebensrate steigt durch verbesserte onkologische Therapien stetig, und liegt aktuell bei etwa 60%. Abhängig von der verwendeten Form der Krebstherapie ist davon auszugehen, dass ein erheblicher Anteil der betroffenen Patienten dem Risiko kardiovaskulärer Nebenwirkungen ausgesetzt ist.

Die junge Disziplin der onkologischen Kardiologie zielt darauf ab, Mechanismen zu identifizieren, die durch Krebs und Krebstherapie zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen, geeignete diagnostische Maßnahmen festzulegen, und die bestmöglichen Therapieformen zur Prävention und Behandlung zu identifizieren.

Kardiotoxizität verschiedener Therapien

Verschiedene Formen der Krebstherapie sind mit unterschiedlichen Arten von kardiovaskulären Komplikationen vergesellschaftet. Die Einschränkung der linksventrikulären systolischen Auswurfleistung gilt auf Grund der direkten Konsequenzen auf die Morbidität und Mortalität von betroffenen Patienten als besonders schwerwiegende und relevante Komplikation. Sie tritt typischerweise im Rahmen einer Therapie mit Anthrazyklinen, aber auch nach modernen Krebstherapeutika, wie dem HER2-Inhibitor Trastuzumab, oder einer BRAF-/MEK-Inhibitortherapie auf.

Klassische und moderne Therapien

Anthrazykline, aus der Gruppe der klassischen Chemotherapien, weisen ein besonders hohes toxisches Potential auf. Sie haben ein erhebliches Nebenwirkungspotential auf viele Organsysteme, und können bei hoher Dosis zu kardiotoxischen Nebenwirkungen in bis zu 47% aller Patienten führen.

Neuartige Krebstherapien hingegen haben eine zielgerichtete Wirkung auf spezifische Merkmale von Krebszellen. Dadurch sollen diese Substanzen zu weniger systemischen Nebenwirkungen führen. Die vermehrte Anwendung in jüngerer Zeit hat jedoch auch für diese Therapieformen zur Entdeckung von erheblichen Nebenwirkungen auf das Herz-Kreislaufsystem geführt, welche abhängig von der Art der Substanz und der individuellen Risikokonstellation mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität einhergehen können.

Angesichts der breiten Anwendung und des schnellen Fortschritts auf dem Gebiet dieser zielgerichteten Therapeutika, zusammen mit einer zunehmenden Anzahl von Langzeitüberlebenden nach einer Krebstherapie, ist die Charakterisierung von kardiotoxischen Effekten neuer Therapien zur Identifikation von geeigneten präventiven und therapeutischen Strategien von entscheidender Bedeutung. 

Thrombembolische Ereignisse

Als weitere relevante Komplikation gelten arterielle oder venöse thrombembolische Ereignisse. Diese können zum Beispiel durch eine Therapie mit dem Chemotherapeutikum 5-Fluoruracil, oder Antikörpern gegen den VEGF-Rezeptor verursacht werden. Darüber hinaus führen viele Krebserkrankungen selbst zu einer Thromboseneigung, sodass die Effekte noch verstärkt werden können. Relevante Folgen können die Entstehung einer Lungenembolie oder eines akuten Koronarsyndroms mit erheblichem Risiko für den Patienten darstellen. 

Immuntherapien

Mit zunehmender Verbreitung von Immuntherapien in der Krebsbehandlung konnten auch im Zusammenhang mit dieser neuen Therapieoption ein Risiko für bisher unbekannte kardiologische Nebenwirkungen identifiziert werden. Immuncheckpoint-Inhibitoren sind eine neuartige Substanzgruppe, die eine Antitumor-Immunreaktion verursachen. Auf Grund der schnell zunehmenden Verbreitung ist diese Therapieform aktuell von besonderem wissenschaftlichen und klinischen Interesse der onkologischen Kardiologie. Während zunächst nur Einzelfälle einer schweren Myokarditis nach der Immuncheckpoint-Inhibitortherapie berichtet wurden, zeigen neue Daten nun ein vermehrtes Vorkommen von manifester Myokarditis, aber auch anderen kardiovaskulären Komplikationen wie Arrhythmien, Perikarditis oder dem akuten Koronarsyndrom. Registerdaten zeigen darüber hinaus, dass bis zu 9% aller Patienten von einer manifesten Kardiotoxizität betroffen sein können. Die genaue klinische Evaluation dieser Effekte, sowie die Erforschung von Mechanismen durch translationale Forschungsansätze bildet aktuell eines von vielen Schwerpunktthemen in der onkologischen Kardiologie.

Entwicklung der Kardioonkologie

Vermehrte wissenschaftlichen Bemühungen haben das Bewusstsein für Nebenwirkungen der Krebstherapie auf das kardiovaskuläre System insbesondere bei Ärztinnen und Ärzten in der Onkologie und Kardiologie geschärft. Fachgesellschaften, darunter die Europäische und die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie haben onkokardiologische Arbeitsgruppen eingerichtet. Gleichzeitig können durch die wachsende Verbreitung von onkokardiologischen Registern und Datenbanken umfangreiche Datensätze zu vielfältigen klinischen Konstellationen erstellt werden, welche zu relevanten neuen Erkenntnissen in Hinblick auf die Entstehung, die Charakteristika, und die Behandlung von kardiovaskulären Nebenwirkungen führen. Wir am Westdeutschen Herz- und Gefäßzentrum des Universitätsklinikums Essen konnten das „Essen Cardio-Oncology Registry” (ECoR) etablieren, und können jährlich über 600 neue Patienten mit Erstdiagnose einer Krebserkrankung einschließen.

In mehreren großen Zentren in Deutschland wurden Bereiche für die ambulante und stationäre onkokardiologische Behandlung eingerichtet. Im Rahmen von vielversprechenden Studien zu verschiedenen Formen von neuartigen und herkömmlichen Krebstherapien können neue Einblicke in zu Grunde liegende Mechanismen sowie mögliche neue therapeutische Ansätze gegeben werden. Durch die Verwendung von geeigneten Modellen sollen die gewonnenen Erkenntnisse außerdem in den Behandlungsalltag übertragen werden. 

Zukünftige Forschungstätigkeiten innerhalb der onkologischen Kardiologie werden maßgeblich durch die Fortschritte der Krebstherapie sowie die Entwicklung und Anwendung neuer Substanzen geprägt sein. Am Beispiel der Immuncheckpoint-Inhibitortherapie kann man sehen, dass auch moderne Therapieformen zu sehr relevanten kardiovaskulären Komplikationen führen können. Gleichzeitig werden weiterhin klassische Chemotherapien mit erheblichem kardiotoxischem Potential bei einer großen Anzahl von Patienten angewendet. Die onkologische Kardiologie wird sich daher einer steigenden Zahl von betroffenen Patienten stellen müssen.

Eine optimale Standardisierung, insbesondere durch die Etablierung und Ausweitung von Leitlinien ist für die bestmögliche Patientenbetreuung notwendig. Gleichzeitig muss eine flächendeckende onkokardiologischen Betreuung von betroffenen Patienten durch Ausweitung von bestehenden und Schaffung neuer Standorte gewährleistet werden. Voraussetzung hierfür ist ein enger interdisziplinärer Dialog zwischen den beteiligten Disziplinen.