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Telemonitoring reduziert signifikant die Mortalität von Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz: eine Sekundärdatenanalyse auf Basis von Krankenkassendaten

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Dr. Sebastian Liersch, Potsdam

Hintergrund der Analyse

In den Bundesländern Berlin und Brandenburg wird die Routineversorgung von Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz durch das telemedizinische Betreuungsprogramm „Curaplan Herz Plus“ der AOK Nordost ergänzt. Im Rahmen der Betreuung ermitteln die Patienten täglich Symptome und Zeichen der Herzinsuffizienz sowie in der Regel ihr Körpergewicht. Diese Messwerte werden automatisiert telemetrisch an das Betreuungszentrum übermittelt. Um eine drohende Dekompensation rechtzeitig zu erkennen, erfolgt eine automatische, auf Algorithmen basierende Analyse der Informationen. Eine Verschlechterung kann in der Regel sieben bis zehn Tage vor einem drohenden Krankenhausaufenthalt erkannt werden. Wenn die Frühwarnzeichen einer Verschlechterung durch das Betreuungszentrum erkannt werden, informiert dieses schnellstmöglich den Patienten und seinen ambulant betreuenden Arzt und unterstützt sie bei der Einleitung einer frühen Behandlung.

Ziel der Betreuung ist es, das Selbstmanagement der Betroffenen durch Stärkung ihrer eigenen Kompetenz zu steigern. Die Betreuungsstrategie wird dabei für jeden Patienten anhand einer wiederholten klinischen und psychosozialen Beurteilung entwickelt. Dabei erfolgt eine Individualisierung der gesamten Betreuung durch bedarfsgerechte Zusammenstellung einzelner Betreuungsmodule. Die Inhalte umfassen alle Aspekte des alltäglichen Lebens mit Herzinsuffizienz entsprechend den Empfehlungen der wissenschaftlich medizinischen Fachgesellschaften, zum Beispiel die Themen Erkennen von Zeichen und Beschwerden einer Verschlechterung, Notwendigkeit körperlicher Aktivität, Grundlagen der Medikamentenbehandlung, Berücksichtigung von Begleiterkrankungen, Regeln der Ernährung. Die gesamte Betreuung der Patienten erfolgt durch kardiologisch qualifiziertes Fachpersonal. Über 17.800 Patienten haben seit 2006 bereits an dem Versorgungsprogramm teilgenommen.

Die Evaluation gibt Aufschluss darüber, inwieweit sich eine langjährige telemedizinische Betreuung auf die Mortalität auswirkt.

9.472 Patienten aus dem Betreuungsprogramm Curaplan Herz Plus

Zielgruppe sind erwachsene Patienten mit einem vorausgegangenen akuten stationären Aufenthalt aufgrund einer Herzinsuffizienz (HD/ND ICD-10-GM: I11.0, I13.0-I13.2, I42.0, I42.9, I50.*). Ausgeschlossen werden stationär Pflegebedürftige, Patienten mit anderen schweren Erkrankungen, wie manifesten psychischen Erkrankungen, dialysepflichtiger Niereninsuffizienz oder Listung zur Herztransplantation. Die Evaluation erfolgt im Intention-to-treat-Ansatz im Design einer kontrollierten Kohortenstudie. Einbezogen werden insgesamt 9.472 Patienten, die sich zwischen dem 01.01.14 und dem  30.06.17 in das Programm eingeschrieben haben und mindestens ein Jahr nachbeobachtet wurden.

Eine vergleichbare Kontrollgruppe wurde mittels Propensity Score-Matching im Verhältnis 1:1 aus den Routinedaten der AOK Nordost gebildet. Primäres Outcome ist die Mortalität. Die Analysen basieren auf den Routinedaten der AOK Nordost, die nicht primär zum Zweck der Evaluation, sondern zur Abrechnung von in Anspruch genommenen Versorgungsleistungen erhoben werden. Im Matching-Verfahren wurden, sofern mit den Sekundärdaten möglich, alle bekannten potentiellen Confounder berücksichtigt. Es umfasst Angaben zur Soziodemographie, Risikofaktoren, Komorbiditäten, Arzneimittel, Pflegebedürftigkeit sowie Inanspruchnahme der stationären Versorgung im Jahr der Einschreibung.

In der Sekundärdatenanalyse werden die Patienten mit ihren individuellen Personenzeiten, beginnend vom Zeitpunkt der Identifizierung bis maximal zum Beobachtungsende einbezogen (max. 4,5 Jahre).

Größerer Effekt bei älteren Patienten

Insgesamt haben sich n = 9.472 Patienten in das Betreuungsprogramm eingeschrieben. Im Mittel sind die Patienten 73 Jahre alt. 54 % sind männlich. Teilnehmende Frauen sind dabei im Durchschnitt 3,6 Jahre älter als die männlichen Teilnehmer (Frauen: 75,3 Jahre; Männer: 71,7 Jahre; p<0,001). Nach dem Matching im Verhältnis 1:1 gehen insgesamt 17.494 Patienten in die Bewertung ein.

In der Interventionsgruppe (IG) sind im Beobachtungszeitraum insgesamt n = 2.166 Patienten verstorben; in der Kontrollgruppe (KG) insgesamt n = 3.027 Patienten. In der Interventionsgruppe (IG) entspricht die Mortalitätsrate 9,1 pro 100 Personenjahre (PJ) in der IG und 13,9 pro 100 PJ in der KG (HR 0,66, 95 %-KI 0,63-0,70; p<0,001; NNT = 21). Das Geschlecht zeigt dabei keinen Einfluss auf den Effektschätzer (Männer: HR 0,67, 95 %-KI 0,62-0,72; p<0,001; Frauen: HR 0,65, 95 %-KI 0,60-0,71; p<0,001). Gemessen an dem medianen Alter von 76 Jahren ist die Effektivität bei älteren Patienten etwas höher als bei jüngeren Patienten (>76 Jahre: HR 0,63, 95 %-KI 0,59-0,68; ≤76 Jahre: HR 0,71, 95 %-KI 0,65-0,77).

Mortalität in der Interventionsgruppe um ein Drittel gesenkt

Die Bewertung des langjährigen Versorgungsprogramms zeigt auf, dass die telemedizinische Betreuung die Mortalität im Beobachtungszeitraum um ein Drittel reduziert. Ein Geschlechterunterschied zeigt sich dabei nicht. Die Evaluation basiert auf Real World Data, die nicht primär zur Bewertung von medizinischen Interventionen erhoben wurden. Daraus resultiert die Limitation, dass nicht alle relevanten Einflussfaktoren bzw. nur mit Einschränkungen berücksichtigt werden können. Sofern Interventions- und Kontrollgruppe sich systematisch in der Adhärenz unterscheiden, kann dies eine mögliche Verzerrung darstellen. Soweit bekannt, umfasst die vorliegende Untersuchung zur telemedizinischen Betreuung von Patienten mit Herzinsuffizienz die größte Teilnehmerzahl mit dem derzeit längsten Beobachtungszeitraum von bis zu 4,5 Jahren.

Die Evaluation des telemedizinischen Versorgungsprogramms bietet erstmalig die Möglichkeit, die Effektivität der telemedizinischen Betreuung von Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz aus der Perspektive der Versorgungsrealität langfristig zu bewerten.