Grafenberger Allee 100
40237 Düsseldorf
Tel.: + 49 211 600692-0
Fax: + 49 211 600692-10
info@dgk.org

Palliativmedizinischer Versorgungsbedarf in der ambulanten und stationären Behandlung von Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz

Abdruck frei nur mit Quellenhinweis
Pressetext als PDF - gegebenenfalls mit Bildmaterial

Dr. Felix Strangl, Dr. Meike Rybczynski, Hamburg

Hintergrund
Die Anzahl prognoseverbessernder Medikamente und neuartiger Devices, die Kardiologen bzw. Herzinsuffizienzspezialisten für die Behandlung fortgeschrittener Stadien der Herzinsuffizienz zur Verfügung steht, ist in den letzten Jahren stetig angewachsen. Angesichts der ebenfalls rapide wachsenden Zahl hochbetagter Patienten scheint dies auch dringend erforderlich. Neben der Senkung der Mortalität und einer Besserung der Lebensqualität und des Wohlbefindens werden Aspekte wie psychologische Unterstützung, Hilfe bei der Entscheidungsfindung oder das Vorausplanen von Versorgungsabläufen im Rahmen einer multidimensionalen Herzinsuffizienzbehandlung häufig vernachlässigt. Herzinsuffizienz ist jedoch, von akuten Formen abgesehen, eine chronisch-progrediente Erkrankung mit einer weiterhin eingeschränkten Gesamtprognose, sodass auch palliativmedizinische Behandlungsaspekte in diesem Kontext adressiert werden sollten.

Interdisziplinäre Pilotstudie
Diese Aspekte bei Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz näher zu beleuchten war das Ziel einer explorativen, interdisziplinären Pilotstudie der Herzinsuffizienzabteilung der Klinik für Kardiologie des Universitären Herzzentrums Hamburg, in Kooperation mit der Palliativmedizin der II. Medizinischen Klinik des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. In einer innovativen Herangehensweise sollte mittels aus der Palliativmedizin stammenden Messinstrumenten bei stationär und ambulant behandelten Herzinsuffizienzpatienten die subjektive Symptombelastung, die subjektive psychosoziale Belastung und konsekutiv etwaiger palliativmedizinischer Handlungsbedarf prospektiv erfasst werden. Die drei für die Erhebungen in der Studie verwendeten Messinstrumente stammen allesamt aus der Palliativmedizin/Onkologie, wo sie zur Einschätzung des palliativmedizinischen Unterstützungsbedarfs angewendet werden. Die Instrumente wurden z.T. geringfügig modifiziert, um eine Verwendung bei Herzinsuffizienzpatienten zu ermöglichen, und konnten in einer vorausgegangenen Studie bereits in einer Kohorte von Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz validiert werden.

Durchführung der Studie
Zunächst wurden mit dem MIDOS-Fragebogen („Minimal Documentation System for Patients in Palliative Care“) die Ausprägung zehn häufiger Symptome wie Dyspnoe, Fatigue oder Obstipation erhoben. Das Distress-Thermometer quantifizierte die vom Patienten wahrgenommene gegenwärtige psychosoziale Belastung, während in einem angeschlossenen Fragebogen deren Gründe eruiert wurden. In einem Screening („Palliative Care Screening Tool For Heart Failure Patients“) sollten schließlich objektive Parameter für palliativmedizinischen Unterstützungsbedarf erfasst werden.

Während der MIDOS-Fragebogen und das Distress-Thermometer von den Studienteilnehmern im Sinne einer Selbsteinschätzung beantwortet wurden, diente das „Palliative Care Screening Tool“ auf der Seite der behandelnden Ärzte als Hilfsmittel für das Erkennen palliativmedizinischen Unterstützungsbedarfs. Somit wurde sowohl die Patienten- als auch die Behandlerperspektive erfasst.

Insgesamt wurden 259 Patienten mit fortgeschrittener Herzinsuffizienz (mittleres Alter 62.7 Jahre, 71.8 % männlich) erfasst. Die NYHA-Stadien der Teilnehmer (über 50 % NYHA III oder IV) und der hohe Anteil an Patienten mit schweren Begleiterkrankungen veranschaulichten die Schwere der Herzinsuffizienzerkrankung und die Morbidität im untersuchten Kollektiv. Etwa eine Hälfte der teilnehmenden Patienten wurde ambulant in einer spezialisierten Herzinsuffizienzambulanz behandelt (122 Patienten), die andere Hälfte befanden sich in stationärer Therapie auf der Heart Failure Unit (133 Patienten).

Die ambulant behandelten Patienten waren im Durchschnitt jünger und litten häufiger an einer Herzinsuffizienz ischämischer Genese, unterschieden sich davon abgesehen jedoch in den meisten Charakteristika nicht von den stationär behandelten Patienten (s. Tabelle). Die mittels des „Seattle Heart Failure Model“ prognostizierten Überlebenswahrscheinlichkeiten der stationär behandelten Patienten waren tendenziell schlechter als die der ambulant behandelten, wobei sich für das 1-Jahres-Überleben sogar ein signifikanter Unterschied ergab.

Ergebnisse
Die Analyse der Symptombelastung erbrachte eine signifikant höhere Belastung der stationär behandelten Patienten. Ebenso fanden sich in der Erhebung der psychosozialen Belastungskomponente signifikant höhere Werte bei den stationären Patienten. Mehr als drei von vier (75.7 %) hospitalisierten Patienten waren auffällig belastet („klinisch relevanter Distress“), was unter den ambulanten Patienten deutlich seltener, aber dennoch in mehr als der Hälfte der Patienten (56.7 %, p=0.001) der Fall war. Im, durch die behandelnden Ärzte durchgeführten, Screening auf palliativmedizinischen Unterstützungsbedarf erfüllten 82 % der stationär behandelten und 52 % der ambulant behandelten Herzinsuffizienzpatienten die Kriterien für palliativmedizinische Unterstützung (p<0.01).

In der Studie konnte mittels eines interdisziplinären Ansatzes aufgezeigt werden, dass Herzinsuffizienzpatienten in fortgeschrittenen Stadien unter einer beträchtlichen Symptombelastung und einer relevanten psychosozialen Belastung leiden. Hierdurch erfüllt eine Vielzahlt dieser Patienten, insbesondere im Rahmen einer Hospitalisierung, aus palliativmedizinischer Sicht die Kriterien für spezialisierte palliativmedizinische Unterstützung. Diese Bedürfnisse werden in der klinischen Routine derzeit nicht ausreichend erkannt oder suffizient adressiert. Entsprechende Versorgungsmodelle analog der Versorgung onkologischer Patienten sollten bereitgestellt werden.

 

Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie –Herz und Kreislaufforschung e.V. (DGK) mit Sitz in Düsseldorf ist eine gemeinnützige wissenschaftlich medizinische Fachgesellschaft mit fast 11.000 Mitgliedern. Sie ist die älteste und größte kardiologische Gesellschaft in Europa. Ihr Ziel ist die Förderung der Wissenschaft auf dem Gebiet der kardiovaskulären Erkrankungen, die Ausrichtung von Tagungen die Aus-, Weiter-und Fortbil-dung ihrer Mitglieder und die Erstellung von Leitlinien. Weitere Informationen unter www.dgk.org