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Die Situation in den interdisziplinären Notaufnahmen – Routine- und Registerdaten

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Statement Prof. Dr. Martin Möckel, Berlin

Die Corona-Fallzahlen aus Berlin zeigen beispielhaft, dass wir seit Oktober durchgängig über den Fallzahlen der ersten Welle in Deutschland liegen. Diese Zahlen lassen sich im Prinzip so auf die gesamte Bundesrepublik übertragen. Es muss klargestellt werden, dass die hohen Fallzahlen nicht daran liegen, dass wir mehr Tests durchführen. Die Testzahlen liegen zwar über denen vom letzten Frühjahr, befinden sich aber seit den Kalenderwochen 30/31 des vergangenen Jahres auf einem Plateau. Der Anteil der positiven Tests liegt deutlich über dem des Frühjahrs 2020.

Im letzten Sommer haben wir eine Arbeit veröffentlicht, die die Fallzahlen aus den Notaufnahmen detailliert erfasst. Die Untersuchung ist repräsentativ und konnte über eine Million Fälle in Notaufnahmen aus allen Teilen Deutschlands einschließen. Die Fallzahlen in den Notaufnahmen sind mit Eintreten des ersten Lockdowns stark zurückgegangen. Im Sommer 2020 hatten sich die Zahlen weitestgehend normalisiert, sind aber gegen Ende des Jahres wieder deutlich zurückgegangen. Sie sind bis heute nicht wieder auf dem früheren Niveau, sondern noch immer noch bis zu etwa 20 % darunter, wie sich aus der Berichterstattung des RKI auf der Basis des AKTIN-Notaufnahmeregisters ablesen lässt.

Wir mussten beobachten, dass ab Inkrafttreten der Kontaktbeschränkungen während der ersten Welle, also ab Kalenderwoche 12, die Anzahl der in den Notaufnahmen behandelten Myokardinfarkte sank. Ab Kalenderwoche 22 liegen wir dann im Median wieder beim Durchschnitt der Vorjahre, allerdings mit einer breiteren Streuung, die starke regionale Unterschiede zum Ausdruck bringt. Im Vergleich dazu sind die Einweisungen wegen Chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) anhaltend niedrig. Die COPD ist sehr stark Infekt-getriggert und wir gehen davon aus, dass durch die Hygienemaßnahmen und die Mundschutzpflicht deutlich weniger nicht-Corona-Infekte auftreten, was wir ja auch daran erkennen können, dass es in dieser Saison fast keine Grippefälle gab.

Die Zahlen zeigen auch, dass vor allem jüngere Patientinnen und Patienten unter 60 seltener in den Notaufnahmen vorstellig wurden. Dies gilt für Männer und Frauen gleichermaßen. Es ließ sich bei dem Rückgang der Zahlen kein Geschlechtsunterschied beobachten.

Was allerdings gezeigt wurde ist, dass vor allem die weniger dringlichen Vorstellungen in der Notaufnahme zurückgingen, also diejenigen, die nicht stationär aufgenommen werden müssen, seltener kamen. Die Zahl schwerer kranker Personen, die im Krankenhaus verbleiben müssen, reduzierte sich weniger und hatte auch schneller, nämlich in Kalenderwoche 22, das normale Niveau wieder erreicht. Dies hat sich auch im zweiten Lockdown ähnlich entwickelt. Die Zahl der ambulanten Fälle hingegen sank gegen Ende des letzten Jahres noch einmal deutlich. Dass ein Fall ambulant behandelt wird, bedeutet nicht automatisch, dass der Patient oder die Patientin nicht schwer krank ist, sondern nur, dass keine akute Krankenhausbehandlung erforderlich war.

Daten aus dem Berliner Herzinfarktregister zeigen, dass die Zahl der Infarkte im Frühjahr 2020 gegenüber dem Durchschnitt der Vorjahre reduziert war, insbesondere, als während der ersten Welle die meisten Corona-Fälle gemeldet wurden. Schaut man auf die Details der Zahlen, lässt sich erkennen, dass dies signifikant zulasten der NSTEMI-Fälle geht, nicht jedoch der STEMI-Fälle. Auch wenn ein Infarkt ohne ST-Streckenhebung (NSTEMI) häufiger mit weniger schweren Symptomen einhergeht, darf nicht das Missverständnis entstehen, dass es sich dabei um ein harmloseres Krankheitsbild handle. Es betrifft allerdings eine sehr breite Palette von Patienten, auch mit leichteren Infarkten, die seltener diagnostiziert werden. Diese Entwicklung beschränkt sich nicht auf Berlin, sondern wurde deutschland- und auch weltweit beobachtet.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir die akuten Notfälle durchgehend gut versorgen konnten und das auch weiterhin können. Der Rückgang der Fallzahlen betrifft vor allem jüngere Patientinnen und Patienten sowie ambulante und weniger dringliche Fälle. Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich noch keine genaue Aussage über Kollateralschäden treffen, weil eine verzögerte Behandlung sich in vielen Fällen nicht innerhalb von Wochen und Monaten, sondern möglicherweise erst von Jahren auswirkt.

Es lässt sich kaum zu wenig betonen, wie wichtig es ist, dass Patientinnen und Patienten mit akuten Beschwerden in die Notaufnahmen kommen, um sich behandeln zu lassen!

Es ist übrigens nicht nur die unbegründete Angst vor Ansteckung, die Patienten von den Notaufnahmen fernhält, sondern auch, dass z.B. während der Lockdowns die Zahl der Unfälle zurückging.