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Eine virtuelle Ärztin als Teil des Versorgungsprozesses: Ergebnisse einer Interviewstudie zu Erwartungen und Präferenzen von Patienten*innen mit Herzinsuffizienz und deren Angehörigen im Projekt PASSION-HF

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Dr. Bettina Zippel-Schultz, Dr. Thomas M. Helms, Berlin

Hintergrund und Ziel der Studie

Herzinsuffizienz (HI) gehört zu den häufigsten chronischen Erkrankungen, ist durch eine hohe Morbidität und Mortalität (1) sowie wiederkehrende Krankenhausaufenthalte gekennzeichnet und verursacht hohe Kosten für das Gesundheitssystem (2). Die zeitnahe individualisierte Anpassung der Therapie an die Patient*innen und ihre Bedürfnisse ist entscheidend, um eine Verschlechterung der Erkrankung zu vermeiden (3). Dies wird jedoch unter anderem durch eine ungleiche Versorgungsdichte in ländlichen und städtischen Regionen erschwert. eHealth-Anwendungen haben das Potenzial, diese Situation zu ändern (4). Eine zentrale Frage ist, ob Patient*innen digitale Anwendungen als Teil ihrer Versorgungsprozesse akzeptieren.

Das Projekt „PASSION-HF“ hat das Ziel, einen digitalen, interaktiven Therapiebegleiter DoctorME zu entwickeln und zu erproben. Diese virtuelle Ärzt*in soll HI-Patient*innen im Alltag begleiten und es ihnen ermöglichen, sich zuhause weitgehend selbstständig zu behandeln. DoctorME bietet perspektivisch ein 24/7-Monitoring und Coaching für HI-Patient*innen, verwendet Multi-Level-Diagnostik (z. B. medizinische Bildgebung, patientenspezifische Fragebögen, Multi-Level-Sensoren) und trifft Therapieentscheidungen auf Grundlage aktueller HI-Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC), die durch maschinelles Lernen personalisiert werden. Die erhobenen Daten geben Aufschluss über die Komplexität einer Therapieentscheidung. Feedbackschleifen, ggf. unter Einbezug von Spezialist*innen, sichern die Entscheidungsfindung, deren Qualität durch einen wissenschaftlichen Beirat sichergestellt wird. Die Integration von Serious Gaming motiviert Patient*innen zur regelmäßigen Nutzung und liefert zusätzliche diagnostische Informationen. Patient*innen sowie Ärztinnen und Ärzte erhalten zeitnah Informationen über den Gesundheitszustand; unabhängig von Zeit und Ort.

Das PASSION-HF-Konzept ist ein Lösungsansatz, der Patient*innen empowert und eine evidenzbasierte Therapie in hoher Qualität transsektoral und flächendeckend sicherstellen kann. Patient*innen werden geschult und befähigt, ihre eigene Erkrankung effektiv selbst zu beeinflussen. Vermeidbare Praxisbesuche können verhindert, Ärztinnen und Ärzte entlastet werden. 

Methodik der Studie

Um den Bedarf der Patient*innen mit deren Angehörigen und deren Erwartungen zu erheben, wurde im ersten Schritt eine explorative Mix-Method-Studie (März – Juni 2019) in Deutschland, Irland, den Niederlanden und im Vereinigten Königreich durchgeführt. Qualitative Leitfadeninterviews wurden durch Antworten auf einem standardisierten Fragebogen ergänzt. Thematisiert wurden die Erwartungen an ein virtuelles Unterstützungssystem und der Nutzen aus Patientensicht, der Versorgungsprozess sowie Risiken und Vertrauen. Die Interviews wurden mittels qualitativer Inhaltsanalyse (5) und „Atlas.TI“ ausgewertet. Der quantitative Teil konzentrierte sich neben demographischen Faktoren, auf Fragen zum Selbstmanagement der HI, zur Technologieakzeptanz und zur Beziehung zwischen Ärzt*innen und Patient*innen. Die Ergebnisse wurden mit Hilfe deskriptiver Statistik („SPSS“) ermittelt.

Insgesamt wurden 49 Patient*innen und 33 Angehörige befragt. Die meisten Patient*innen waren männlich (76 %) und zwischen 60 und 69 Jahren (43 %) alt. Die Männer waren neuen Technologien gegenüber tendenziell aufgeschlossener. Sie schätzten sich als kompetenter bei der Nutzung ein als Frauen. 

Ergebnisse der Studie

In ihrem Versorgungsprozess präferierten die befragten Patient*innen aktuell den persönlichen Kontakt zu ihrem Arzt bzw. ihrer Ärztin. Herausgestellt wurden a) die menschliche Komponente und b) eine Skepsis gegenüber neuen Technologien. Viele Befragte äußerten die Meinung, dass ein Arzt oder eine Ärztin individueller auf ihre Bedürfnisse eingehen könnte und zum Beispiel nonverbale Hinweise berücksichtigt. Auch waren die Interviewten unsicher, wie sehr sie der Richtigkeit und Genauigkeit der Aussagen einer eHealth-Anwendung vertrauen können.

Großes Potenzial wurde vor allem in a) der besseren Verfügbarkeit (zeitlich und örtlich) und b) einer personalisierten Medizin von eHealth-Lösungen gesehen. Die Interviewten sahen es als positiv an, dass DoctorME jederzeit und überall zur Verfügung stehen würde. Zum einen könnten dadurch Ängste und Unsicherheiten reduziert werden, die mit der Herzinsuffizienz in Zusammenhang stehen. Die Patient*innen stellten sich DoctorME als Begleiter oder Begleiterin vor, der die täglichen Routinen im Umgang mit der Erkrankung unterstützt, erinnert und auch motiviert. Sie gaben an, dass DoctorME insbesondere in den Situationen helfen könnte, in denen Arzt oder Ärztin nicht erreichbar sind oder sie als Patient*innen diese nicht kontaktieren wollen. Zudem würden Wartezeiten und lange Wege für Routinebesuche entfallen. Viele Teilnehmende vermuteten darüber hinaus, dass eHealth-Lösungen Neben- und Wechselwirkungen von Medikamenten besser als Behandler*innen erkennen und durch das Monitoring, Patient*innen vor bevorstehenden Verschlechterungen gewarnt werden könnten. Die Teilnehmenden sahen den Vorteil, dass auf Basis vieler Daten eine personalisierte Medizin möglich wäre.

Zusammenfassend bevorzugten die Interviewten zwar aktuell die persönliche Beziehung mit dem Arzt oder der Ärztin, betonten jedoch, dass die Gewohnheit eine große Rolle spielt und sich diese über die Zeit hinweg aber verändern kann. Sie zeigten sich der neuen Technik gegenüber grundsätzlich offen. 

Fazit

Damit liefern die Ergebnisse wertvolle Hinweise für die Entwicklung und Umsetzung von eHealth-Lösungen, die gemeinsam mit den beteiligten Akteur*innen vorangetrieben werden sollten, um die Potenziale für die zukünftige Versorgung voll nutzen zu können. PASSION-HF mit DoctorME wird 2021 in einer klinischen Studie in den vier o.g. europäischen Ländern getestet.

Literatur

  1. Savarese G, Lund LH. Global Public Health Burden of Heart Failure. Cardiac failure review. 2017;3(1):7-11.
  2. Neumann T, Biermann J, Erbel R, Neumann A, Wasem J, Ertl G, et al. Heart failure: the commonest reason for hospital admission in Germany: medical and economic perpectives. Deutsches Ärzteblatt international. 2009;106(16):269-75.
  3. Koehler F, Koehler K, Deckwart O, Prescher S, Wegscheider K, Kirwan B-A, et al. Efficacy of telemedical interventional management in patients with heart failure (TIM-HF2): a randomised, controlled, parallel-group, unmasked trial. The Lancet. 2018.
  4. Ski CF, Zippel-Schultz B, De Maesschalck L, Hoedemakers T, Schütt K, Thompson DR, et al. COVID-19 shapes the future for management of patients with chronic cardiac conditions. DIGITAL HEALTH. 2021;7:2055207621991711.
  5. Mayring P. Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken. 11. Auflage ed. Weinheim: Beltz; 2010.

Beteiligte Autor*innen: Zippel-Schultz, B., Brandts, J., Eurlings, C., Furtado Da Luz Brzychcyk, E., Barrett, M., Hill L., Dixon, L., Fitzsimons. D., Ski, C.F., Thompson D.R., Schütt, K.A., Hoedemakers, T., Müller-Wieland, D., Brunner La-Rocca, H.-P., Helms, T.M. 

Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie –Herz und Kreislaufforschung e.V. (DGK) mit Sitz in Düsseldorf ist eine gemeinnützige wissenschaftlich medizinische Fachgesellschaft mit fast 11.000 Mitgliedern. Sie ist die älteste und größte kardiologische Gesellschaft in Europa. Ihr Ziel ist die Förderung der Wissenschaft auf dem Gebiet der kardiovaskulären Erkrankungen, die Ausrichtung von Tagungen die Aus-, Weiter-und Fortbildung ihrer Mitglieder und die Erstellung von Leitlinien. Weitere Informationen unter www.dgk.org

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