Implementierung von Sacubitril/Valsartan und begleitende Anwendung von SGLT2-Inhibitoren bei HFrEF-Patienten: Erkenntnisse aus dem deutschen Versorgungsalltag
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Prof. Dr. Stefan Störk, Würzburg und Prof. Dr. Martin Schulz, Berlin
Hintergrund
Herzinsuffizienz ist eine chronische, fortschreitende Erkrankung, die mit sehr häufigen Krankenhauseinweisungen, vorzeitiger Sterblichkeit und eingeschränkter Lebensqualität einhergeht. In Deutschland sind ca. 3 Millionen Menschen betroffen; etwa die Hälfte leidet an einer Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF). Trotz bemerkenswerter Fortschritte in der Behandlung in den letzten drei Jahrzehnten ist Herzinsuffizienz nach wie vor die häufigste Ursache für Krankenhauseinweisungen und Krankenhaussterblichkeit in Deutschland. Ein Hauptgrund dafür ist, dass die Umsetzung einer leitliniengerechten optimalen medikamentösen Therapie (OMT) im Praxisalltag häufig auf Widerstände stößt. Die aktuellen Herzinsuffizienz-Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC; erschienen August 2021) und der US-Fachgesellschaften (ACC/AHA/HFSA; erschienen April 2022) empfehlen sowohl den Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitor (ARNI) Sacubitril/Valsartan als auch Natrium-Glucose-Cotransporter-2-Inhibitoren (SGLT2i) als Erstlinientherapie für Patienten mit HFrEF, während die zuletzt im Juli 2021 aktualisierte Nationale VersorgungsLeitlinie (NVL) Chronische Herzinsuffizienz ARNI bzw. SGLT2i als Therapieeskalation empfiehlt.
Vor diesem Hintergrund untersuchten wir die Implementierung der sich wandelnden Behandlungsempfehlungen für OMT in den deutschen Versorgungsalltag.
Datenanalyse
Hierzu wurden Daten der IQVIA™ LRx-Datenbank aus 9 Quartalen ausgewertet, entsprechend dem Zeitraum von Januar 2020 bis März 2022. Die Nutzung dieser Datenbank ist in der Versorgungsforschung etabliert. Sie erfasst ca. 80 % der Verordnungen zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherungen und erlaubt die Extrapolation auf die Gesamtheit der deutschlandweit in Apotheken eingelösten Verordnungen. Die Analysen fokussierten auf ARNI und die begleitende Therapie mit SGLT2i. Die Verordnung von Sacubitril/Valsartan wurde als Proxy für eine HFrEF-Diagnose herangezogen, da Rückschlüsse aus der Verordnung von SGLT2i auf die zugrundeliegende Diagnose aufgrund deren breiterer Indikationsstellung (Diabetes und jüngst auch chronische Niereninsuffizienz) nicht möglich sind und in der LRx-Datenbank keine Komorbiditäten erfasst sind.
Ergebnisse
Die Analysen zeigen, dass die Zahl der mit ARNI behandelten Patientinnen und Patienten im Untersuchungszeitraum deutlich und stetig anstieg, von 166.000 in Q1/2020 auf 271.000 in Q1/2022. Dies entspricht einem Zuwachs von 61 %. Dieser Anstieg war begleitet von einer ebenfalls ausgeprägten Zunahme der Patientenzahl, die mit einer Kombination aus ARNI und SGLT2i behandelt wurden (Abbildung 1). So stieg der Anteil der kombinierten Therapie von 7 % auf 31 % (Tabelle 1).
2020 | 2021 | 2022 | ||||||
Q1 | Q2 | Q3 | Q4 | Q1 | Q2 | Q3 | Q4 | Q1 |
6,6 % | 7,2 % | 7,7 % | 8,8 % | 10,9 % | 13,9 % | 17,9 % | 25,2 % | 30,7 % |
Tabelle 1: Prozentualer Anteil der pro Quartal (Q) zusätzlich mit SGLT2i behandelten Patient*innen an allen ARNI-Patienten im Zeitraum von Q1/2020 bis Q1/2022.
ARNI = Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitor; SGLT2i = Natrium-Glucose-Cotransporter-2-Inhibitoren
Der Frauenanteil unter den ARNI-Behandelten blieb unverändert bei ca. 31 %, was etwa dem Anteil von Frauen mit HFrEF in Deutschland entspricht. Allerdings waren Frauen in der Gruppe, die kombiniert mit ARNI und SGLT2i behandelt wurde, unterrepräsentiert: In Q1/2020 lag der Frauenanteil bei 19 %, in Q1/2022 bei 25 %. Eine ähnliche Beobachtung ließ sich für ältere Patienten (>80 Jahre) unabhängig vom Geschlecht machen: Bei diesen betrug der Anteil der kombinierten Therapie 3 % in Q1/2020 und 21 % in Q1/2022, während in der Gesamtgruppe der Anteil der kombinierten Therapie im gleichen Zeitraum von 7 % auf 31 % stieg.
Betrachtet man die Therapiesequenz in der Gruppe der kombiniert mit ARNI und SGLT2i Behandelten, hat sich im Untersuchungszeitraum der Anteil mit gleichzeitiger Einleitung beider Substanzklassen nahezu verdoppelt: von 20 % in Q1/2020 auf 38 % in Q1/2022, entsprechend einer Zunahme der Patientenzahl um den Faktor 14. Interessanterweise fand sich in dieser Subgruppe kein Unterschied bei weiblichen Patienten (23 % in Q1/2020, 43 % in Q1/2022) oder Patient*innen im Alter von >80 Jahren (25 % in Q1/2020, 44 % in Q1/2022).
Die Zahl der pro Quartal neu auf ARNI eingestellten Patient*innen nahm im Laufe der Zeit deutlich zu, von 26.930 in Q1/2020 auf 39.180 in Q2/2022. Der Therapiebeginn mit einer Kombination von ARNI und SGLT2i war der stärkste Treiber dieses Trends: hier stiegen die Verschreibungen von weniger als 1.000 auf fast 14.000 Patienten pro Quartal an (Tabelle 2).
Q1 | Q2 | Q3 | Q4 | Q1 | Q2 | Q3 | Q4 | Q1 |
969 | 851 | 896 | 1.684 | 2.984 | 4.141 | 7.234 | 12.583 | 13.990 |
Tabelle 2: Anzahl der (gleichzeitigen) Initiierung einer Kombinationstherapie aus ARNI mit SGLT2i im Zeitraum von Q1/2020 bis Q1/2022.
ARNI = Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitor; SGLT2i = Natrium-Glucose-Cotransporter-2-Inhibitoren
Entsprechend stieg auch der Anteil an allen ARNI-Neueinstellungen von 4 % in Q1/2020 auf 36 % in Q1/2022. Die Hinzunahme des ARNI zu einer bestehenden Behandlung mit SGLT2i stieg ebenfalls deutlich (um den Faktor 5) und baute ihren Anteil an den ARNI-Neueinstellungen deutlich aus: von 6 % in Q1/2020 auf 19 % in Q1/2022. Im Gegensatz dazu ging die anfangs dominierende Einleitung einer ARNI-Therapie ohne SGLT2i deutlich zurück; entsprechend sank ihr Anteil an den ARNI-Neueinstellungen von 91 % in Q1/2020 auf 45 % in Q1/2022 (Abbildung 2).
Fazit
Die hier vorgelegten Analysen zeigen, dass im Untersuchungszeitraum die Gesamtzahl der mit ARNI behandelten Patient*innen wie auch der Anteil mit Kombinationstherapie aus ARNI und SGLT2i deutlich anstieg. Auffällig war die ausgeprägte Zunahme der Kombinationstherapie von ARNI und SGLT2i insbesondere seit Mitte 2021, dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der ESC-Leitlinie. Frauen und Patient*innen im hohen Alter sind hinsichtlich der Implementierung der OMT weiterhin benachteiligt, obwohl die Kombinationstherapie von ARNI mit SGLT2i im Vergleich zu Männern bzw. jüngeren Patient*innen ähnlich häufig begonnen wird.
Wir schlussfolgern, dass die Implementierung der Leitlinienempfehlungen zur OMT der HFrEF mit ARNI und SGLT2i im deutschen Versorgungsalltag möglich ist und zunehmend besser umgesetzt wird. Allerdings deuten unsere Analysen darauf hin, dass bisher weniger als 25 % der HFrEF-Patient*innen mit OMT nach der ESC-Leitlinie versorgt werden. Somit sind weitere Anstrengungen erforderlich, um die von den ESC- und den ACC/AHA/HFSA-Leitlinien empfohlene schnelle Initiierung der Vierfachtherapie aus ARNI, Betablocker, SGLT2i und Mineralokortikoidrezeptorantagonist in die routinemäßige Versorgung in Deutschland umzusetzen.
Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz und Kreislaufforschung e.V. (DGK) mit Sitz in Düsseldorf ist eine gemeinnützige wissenschaftlich medizinische Fachgesellschaft mit fast 11.000 Mitgliedern. Sie ist die älteste und größte kardiologische Gesellschaft in Europa. Ihr Ziel ist die Förderung der Wissenschaft auf dem Gebiet der kardiovaskulären Erkrankungen, die Ausrichtung von Tagungen die Aus-, Weiter- und Fortbildung ihrer Mitglieder und die Erstellung von Leitlinien. Weitere Informationen unter www.dgk.org