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Primäre und sekundäre Herzinsuffizienzversorgung im europäischen Vergleich

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Dr. Bianka Steiner und Dr. Bettina Zippel-Schultz, Berlin

Hintergrund
Herzinsuffizienz (HI) zählt weltweit zu den häufigsten chronischen Erkrankungen [1]. Allein in Nordwesteuropa sind ca. 3,6 Mio. Menschen betroffen [2]. Die Diagnose und Behandlung der HI sind komplex, zeitaufwendig und kostspielig [3,4]. Die große Herausforderung besteht darin, trotz einer steigenden Zahl von HF-Patient*innen, eine qualitativ hochwertige medizinische Versorgung sicherzustellen. In Europa existieren verschiedene, länderspezifische Versorgungsstrukturen. Ein Vergleich der Konzepte vier europäischer Länder soll Aufschluss darüber geben, wie diese auf die Herausforderungen der HI-Versorgung reagieren und voneinander lernen können. 

Methodik
Die Datenerhebung erfolgte in einem Mixed-Methods Ansatz: (1) Systematische Literaturanalyse, (2) Interviewstudie und (3) Experteninterviews. Von Januar bis Dezember 2021 wurde eine umfassende Analyse der Kern- und Fachliteratur durchgeführt. Dabei wurden Informationen zur Primär- und Sekundärversorgung von HI‑Patientinnen und Patienten in Deutschland (DE), Irland (IRL), den Niederlanden (NL) und dem Vereinigten Königreich (UK) identifiziert. Ergänzt wurde dies durch eine länderübergreifende Patientenbefragung (n=49), die im Rahmen des PASSION-HF-Projekts (Interreg-NWE 702) stattfand [5]. Zudem wurden halbstrukturierte Interviews mit interdisziplinären Expert*innen zur Validierung der Ergebnisse geführt. Zu den Expert*innen gehörten Kardiolog*innen, HI-Nurses, Versorgungsforscher*innen und Medizininformatiker*innen. 

Ergebnisse
Die Gesundheitssysteme der vier Länder unterscheiden sich hinsichtlich der Finanzierungsmodelle und der Organisation der Leistungserbringung. Während es in DE ein Sozialversicherungssystem mit gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen gibt, haben IRL und UK einen nationalen, durch Steuern finanzierten Gesundheitsdienst und NL ein Sozialversicherungssystem mit Kopfpauschalen [7].

Die Modelle für die HI-Versorgung basieren in den Ländern im Wesentlichen auf den Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) für die Diagnose und Behandlung von HI. Sie unterscheiden sich jedoch in ihrem Design, z. B. der Erweiterung durch andere Leitlinien und Versorgungsprogramme und ihrer Umsetzung in der Praxis. Dennoch ähneln sich die Herausforderungen der HI-Versorgung: (1) Versorgungsunterschiede in urbanen und ruralen Regionen, (2) lange Wartezeiten auf fachärztliche Behandlungen, (3) ungleicher Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen, (4) Kommunikations- und Koordinationsbrüche und (5) unzureichende Umsetzung und Finanzierung von digitalen Anwendungen.

In IRL, UK und NL wird die Primärversorgung überwiegend ambulant durch Allgemeinmediziner erbracht (Gatekeeper). Eine spezialfachärztliche Versorgung erfolgt erst nach Überweisung. Dies führt zu einer effizienten Nutzung kardiologischer Ressourcen, birgt aber das Risiko einer verzögerten fachärztlichen Behandlung. In DE wenden sich Patientinnen und Patienten i.d.R. erst an den Hausarzt, können aber auch direkt den Facharzt aufsuchen. Informationslücken und ein hoher Ressourcenverbrauch können die Folge sein. Während in IRL, UK und NLD die spezialfachärztliche Versorgung fast ausschließlich in Krankenhäusern erfolgt, sind eine große Anzahl der deutschen Fachärzte niedergelassen.

In IRL, UK und NLD sind HI-Nurses i.d.R. die erste Anlaufstelle für Patient*innen, überwachen den Krankheitsverlauf und tragen zu einem besseren Selbstmanagement bei (siehe Abbildung 1). Trotz existierender Fortbildungscurricula, die u.a. Delegationsmöglichkeiten an nichtärztliches Personal, wie MFAs, eröffnen, konnten in DE bisher derartige Strukturen nicht erfolgreich etabliert werden [6].

Alle untersuchten Länder verzeichnen lange Wartezeiten für spezialfachärztliche Behandlungen, insbesondere IRL und UK. Zugang und Dichte der Versorgungsangebote variieren in IRL, DE und Teilen des UK stark zwischen urbanen und ruralen Regionen. Während DE dennoch ein hohes Versorgungsniveau erreicht, führt dies in IRL zu einem Qualitätsgefälle. Seit 2019 liegt in DE eine evidenzbasierte Empfehlung für die HI-Behandlung vor. Ungeachtet dessen zeigen sich alters- und geschlechtsspezifische Versorgungsunterschiede. Versuche, mit einem DMP-HI die strukturierte Versorgung zu stärken, sind bisher gescheitert. Gleiches gilt für die Pläne, ein strukturiertes HI-Versorgungsprogramm in IRL aufzubauen.

Fazit
HI führt in den untersuchten Ländern zu einer erheblichen gesellschaftlichen und finanziellen Belastung. Zwar existieren vielversprechende Ansätze, um die Versorgung zu strukturieren und zu verbessern, allerdings erfolgt die Umsetzung meist zögerlich und uneinheitlich. Obwohl alle Länder große Anstrengungen unternehmen, um Leitlinien und DMPs einzuführen, ist der Zugang zur Gesundheitsversorgung immer noch uneinheitlich. Eine unzureichende Digitalisierung und mangelnde finanzielle Mittel erschweren die Etablierung neuer Konzepte.

Insbesondere die Integration von HI-Nurses scheint ein probates Mittel zur Verbesserung der Versorgungssituation zu sein. Digitale Lösungen bieten eine weitere Chance, Kommunikations- und Koordinationsbrüche zu überwinden, die Leistungserbringer zu unterstützen und die Selbstmanagementkompetenzen der Patient*innen zu stärken, um vorhandene Ressourcen gezielt und effizient zu nutzen.

Literatur

[1]        Savarese G, Lund LH. Global Public Health Burden of Heart Failure. Card Fail Rev. 2017;3(1):7 11.

[2]        James SL, Abate D, Abate KH, Abay SM, Abbafati C, Abbasi N, et al. Global, regional, and national incidence, prevalence, and years lived with disability for 354 diseases and injuries for 195 countries and territories, 1990–2017: A systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2017. The Lancet. 2018;392(10159):1789-858.

[3]        Lesyuk W, Kriza C, Kolominsky-Rabas P. Cost-of-illness studies in heart failure: a systematic review 2004–2016. BMC Cardiovascular Disorders. 2018;18:74.

[4]        Lonn E, McKelvie R. Drug treatment in heart failure. BMJ. 2000;320(7243):1188-92.

[5]        Zippel-Schultz B, Palant A, Eurlings C, Ski CF, Hill L, Thompson DR, et al. Determinants of acceptance of patients with heart failure and their informal caregivers regarding an interactive decision-making system: a qualitative study. BMJ Open. 2021;11(6):e046160.

[6]        Störk S, Kindermann I, Jacobs M, Perings S, Raake P, Rosenkranz S, et al. Fortbildungscurriculum: Spezialisierte Herzinsuffizienz-Assistenz. Aktuelle Kardiologie. 2020;9(01):90-95

[7]        Schölkopf M, Grimmeisen S. Das Gesundheitswesen im internationalen Vergleich. Gesundheitssystemvergleich, Länderberichte und europäische Gesundheitspolitik. Berlin: MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG; 2020.

Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz und Kreislaufforschung e.V. (DGK) mit Sitz in Düsseldorf ist eine gemeinnützige wissenschaftlich medizinische Fachgesellschaft mit fast 11.000 Mitgliedern. Sie ist die älteste und größte kardiologische Gesellschaft in Europa. Ihr Ziel ist die Förderung der Wissenschaft auf dem Gebiet der kardiovaskulären Erkrankungen, die Ausrichtung von Tagungen die Aus-, Weiter- und Fortbildung ihrer Mitglieder und die Erstellung von Leitlinien. Weitere Informationen unter www.dgk.org