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Mobile-health-basiertes Selbst-Assessment von Risikofaktoren und CHA₂DS₂-VASc-Score bei Patienten mit Vorhofflimmern: Ergebnisse des TeleCheck-AF Projektes

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Astrid Hermans und PD. Dr. Dominik Linz, Maastricht

Einleitung
Vorhofflimmern zählt zu den häufigsten Herzrhythmusstörungen und ist mit einem Risiko für Schlaganfälle und Herzschwäche assoziiert. Entsprechend der aktuellen Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung von Vorhofflimmern gehört zu einem strukturierten Therapiekonzept auch die Erfassung individueller Risikofaktoren und Risikoscores inklusive des CHA2DS2-VASc-Scores.[1] Während der weltweiten pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen wurden planbare Patientenkontakte auf unmittelbar notwendige Untersuchungen beschränkt. Es wurden Maßnahmen nötig, um Patient*innen dennoch ein strukturiertes Management von Vorhofflimmern zu bieten.

Ziel
Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Durchführbarkeit und Genauigkeit einer App-basierten Erfassung von Risikofaktoren für Vorhofflimmern und Schlaganfälle durch Patient*nnen zu evaluieren.

Methoden
Das internationale TeleCheck-AF Projekt wurde bereits in vorausgegangenen Publikationen beschrieben.[3] Zusammenfassend handelt es sich hierbei um ein virtuelles Management von Vorhofflimmern (Atrial Fibrillation =AF), bestehend aus einer strukturierten Telekonsultation (‚Tele‘) mit vorausgegangener app-basierter Puls-, Herzrhythmus- und Symptomüberwachung (‚Check‘) auf Abruf durch die Patient*nnen. Für die vorliegende Studie erfolgte eine retrospektive Datensammlung aus mehreren europäischen Zentren, die an TeleCheck-AF beteiligt waren. Die Patient*nnen wurden in der App aufgefordert, zehn Fragen über das persönliche Risiko für Vorhofflimmern und Schlaganfälle nach ihrem eigenen Wissen zu beantworten (Fig. 1). [2] Die Krankheitsgeschichte der teilnehmenden Patient*nnen wurde in einer elektronischen Patientenakte zum Zeitpunkt des Einschlusses erfasst. Der CHA2DS2-VASC-Score wurde jeweils aus den Informationen der App sowie aus der Patientenakte berechnet. Die Angaben der Patient*innen in der App wurden verblindet mit den Daten aus der Patientenakte verglichen. Das potenzielle Risiko für eine Über- oder Unterversorgung mit Antikoagulantien wurde basierend auf den Angaben der Patient*innen in der App berechnet. Hierbei wurde das potenzielle Risiko einer Unterversorgung als Anzahl der Patient*innen definiert, die trotz erhöhtem Risikoprofil keine Antikoagulation erhielten. Das potenzielle Risiko für eine Überbehandlung mit Antikoagulantien wurde entsprechend definiert als Anzahl der Patient*innen, die ohne Risikoprofil eine Antikoagulation erhalten würden.

Ergebnisse
Daten von insgesamt 994 Patient*innen aus acht europäischen Kliniken wurden analysiert. Insgesamt 96 % (363 weiblich, Alter: 65 (57-71)) haben den Fragebogen erfolgreich ausgefüllt. Der Vergleich zwischen Patientenakte und persönlichen Angaben in der App ergab die höchste Genauigkeit (höchste Spezifität und Sensitivität) für die Angabe einer Herzschrittmachertherapie und Antikoagulation. Die niedrigste Genauigkeit ergab sich für Gefäßerkrankungen, Herzinfarkt und Herzrhythmusstörungen. Letztere (inklusive Vorhofflimmern) wurden durch die Patient*innen nicht nur seltener, sondern auch ungenau angegeben (Abbildung 1).

Insgesamt 22.7 % der Patient*innen haben den Fragebogen in der App in 100 % Übereinstimmung zur Patientenakte beantwortet. Diese Patient*innen waren durchschnittlich jünger (63 (56-70) vs. 66 (57-71) Jahre p=0.014), hatten häufiger Vorhofflimmern (94.9 % vs. 89.8 % p=0.033) und häufiger eine Vorhofflimmerablation erhalten (63.3 vs. 38.5 % p < 0.001). Patient*innen, die wussten, dass Vorhofflimmern das Schlaganfallrisiko erhöht, hatten zudem häufiger gänzlich übereinstimmende Angaben zwischen Fragebogen und Patientenakte. Im Vergleich zu Daten aus der elektronischen Patientenakte identifizierte der App-basierte CHA2DS2-VASC-Score eine geringere Zahl an Patienten mit hohem Thrombembolierisiko (CHA2DS2-VASC-Score  >= 2 für Männer >= 3 für Frauen 51.1% vs 55.5 %, p= 0.004) (Fig.2). Wäre nur der App-basierte CHA2DS2-VASC-Score zur Indikationsstellung der Antikoagulation herangezogen worden, wären 26 % der Patient*innen unter-, und 6.1 % überversorgt.

Diskussion
Während Gesundheitsdaten wie Aktivität oder Blutdruck bereits häufig in digitalen Gesundheitsanwendungen verwendet werden, werden andere Risikofaktoren für Vorhofflimmern oder Schlaganfälle nur selten digital erfasst. Mit unserer Analyse konnten wir zeigen, dass eine App-basierte Erfassung von Risikofaktoren durch Patient*innen durchführbar ist. Die Genauigkeit der App-basierten Angaben für einige Bestandteile des CHA2DS2-VASC-Score bleibt jedoch limitiert. Zudem fehlen in der digitalen Erfassung des CHA2DS2-VASC-Scores in unserem Beispiel einige wichtige klinische Parameter für die Initiierung einer Antikoagulation (z.B. Nierenfunktion, Gebrechlichkeit). Die Differenzen zwischen den patienteneigenen Angaben bezüglich Risikofaktoren im Vergleich zu den tatsächlichen klinischen Daten können aber genutzt werden, um Schwachstellen in der Patientenschulung aufzudecken und die Behandlung von Vorhofflimmern somit individuell zu optimieren. Hierzu bieten App-basierte Strategien eine Möglichkeit. Auch sollte eine kontinuierliche und wiederholte Evaluation der Risikofaktoren über die Zeit mittels Apps diskutiert werden, um so zum Beispiel eine Veränderung der Risikofaktorkonstellation frühzeitig zu identifizieren. Besonders für Patient*innen im Niedrigrisikobereich, die über die Akquirierung eines zusätzlichen Risikofaktors in einen höheren Risikobereich wechseln würden, ist dies von klinischer Bedeutung. Ein direkter Arzt-Patienten-Kontakt zur Evaluation der Risikofaktoren für Vorhofflimmern und Schlaganfall bleibt aber weiterhin unverzichtbar, um eine qualitativ hochwertige klinische Entscheidungsfindung zu ermöglichen. 

Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz und Kreislaufforschung e.V. (DGK) mit Sitz in Düsseldorf ist eine gemeinnützige wissenschaftlich medizinische Fachgesellschaft mit fast 11.000 Mitgliedern. Sie ist die älteste und größte kardiologische Gesellschaft in Europa. Ihr Ziel ist die Förderung der Wissenschaft auf dem Gebiet der kardiovaskulären Erkrankungen, die Ausrichtung von Tagungen die Aus-, Weiter- und Fortbildung ihrer Mitglieder und die Erstellung von Leitlinien. Weitere Informationen unter www.dgk.org