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Schwere COVID-19-Fälle auf der Intensivstation

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Statement Prof. Dr. Uwe Janssens, Eschweiler

Die schweren Verläufe von COVID-19, die auf der Intensivstation behandelt werden müssen, grenzen sich deutlich von anderen schweren Atemwegserkrankungen ab. Sie sind vor allem durch eine sehr lange Beatmungs- und Liegedauer auf der Intensivstation gekennzeichnet. Eine europäische Studie [3]untersuchte die Beatmungsdauer von COVID-19-Patienten auf der Intensivstation und zeigte Folgendes:

  • Die Beatmungsdauer bei 1448 Patienten lag bei 12 Tagen, bei den Überlebenden Patienten bei 13 Tagen.
  • Bei Patienten mit schwerem Atemnotsyndrom lag die Beatmungsdauer bei im Mittel 14 Tagen bei den Überlebenden.
  • In einer zusätzlichen Analyse von 2187 Patienten betrug die Liegedauer auf der Intensivstation bei allen Patienten 16 Tage, bei den überlebenden Patienten 21 Tage im Mittel. Bei den Überlebenden mit schwerem Atemnotsyndrom lag die Liegedauer im Mittel bei 26 Tagen. Hier gibt es auch Patienten die 40,50 Tage oder noch länger auf der Intensivstation liegen.

Personalaufwand der Intensivstationen 

Der Betreuungsaufwand ist bei diesen Patienten verständlicherweise sehr hoch. Sie müssen von Pflegepersonal unter maximalen Sicherheitsvorkehrungen betreut werden und allein das Anlegen der persönlichen Schutzausrüstung, die im Krankenzimmer permanent getragen werden muss, benötigt viel Zeit. Sie besteht unter anderem aus einer FFP 2 Maske, einer Brille, einem Schutzkittel, in der Regel auch einer Haube und einem zusätzlichen Schutzschild vor dem Gesicht. Zum Teil betreuen die Pflegekräfte die Patientin weit über 1 Stunde kontinuierlich. Das bedeutet neben der psychischen Belastung eine außerordentliche körperliche Belastung für das Pflegepersonal. Gerade Patienten mit einem schweren Atemnotsyndrom müssen regelmäßig in eine Bauchlage gebracht werden. Hierfür wird viel zusätzliches Personal benötigt, das über eine entsprechende spezielle Ausbildung verfügt.

Sterblichkeit im Krankenhaus 

Eine Studie von Karagiannidis et al. [1] mit der Analyse von 10.021 mit COVID-19 Patienten, die stationär behandelt wurden, hat ebenfalls auf die lange Behandlung von Patienten mit COVID-19 hingewiesen. Sie zeigte eine Krankenhaussterblichkeit (Intensiv- und Normalstationen) von 22%, die deutlich davon abhängig war, ob die Patienten auf der Intensivstation beatmet wurden oder nicht.
Bei den auf der Intensivstation beatmeten Patienten spielte das Alter eine dominierende Rolle. Mussten Patienten über 80 Jahre invasiv beatmet werden lag die Sterblichkeit bei 72%. In der Alterskategorie zwischen 18 und 59 Jahren starben hingegen 27,7% der beatmeten Patienten. In dieser sehr umfangreichen Analyse zeigte sich auch, dass Männer doppelt so häufig invasiv beatmet werden mussten die Frauen. Die Wahrscheinlichkeit einer Beatmung lag bei Frauen bei 12% bei Männern bei 22%.

Spätfolgen nach Intensivbeahndlung 

Die überlebenden Patienten haben allerdings auch nach der überstandenen COVID-19-Erkrankung einen langen Weg bis zur Genesung vor sich. Aufgrund der sehr langen Behandlungsdauer auf der Intensivstation mit zum Teil multiplen typischen Komplikationen einer Intensivtherapie wie Multiorgan-Versagen, wiederholten schweren (pulmonalen) Entzündungen und auch immer wieder eine notwendige (vorübergehende) Nierenersatztherapie bildet sich bei überlebenden Patienten einer COVID-19 Erkrankung ein schweres Postintensivsyndrom aus. Es ist charakterisiert durch eine ausgeprägte Muskelschwäche sowie ausgeprägten Störungen der Sensibilität (Polyneuropathie), d. h. Wahrnehmung von peripheren Reizen. Diese Patienten benötigen eine außerordentlich intensive Rehabilitation.

Die psychische Belastung der Angehörigen gerade in der 1. und 2. Welle der Corona Pandemie kann nur als außerordentlich bezeichnet werden. Das Risiko einer ausgeprägten posttraumatische Belastungsstörung mit Angst und Depression muss als sehr hoch gelten.

Ein typischer Covid-19-Patient in Intensivbehandlung 

Ein typischer Krankheitsverlauf könnte wie folgt aussehen: ein 56-jähriger Patient mit arterieller Hypertonie, chronisch obstruktive Lungenerkrankung sowie Übergewicht wird mit zunehmender Luftnot und Fieber aufgenommen. Aufgrund der typischen Symptomatik wird eine Röntgenuntersuchung der Lunge durchgeführt und aufgrund der Befunde zusätzlich eine Computertomografie. Dabei zeigen sich das typische Bild einer viralen Pneumonie, wie wir sie bei COVID-19 Erkrankung sehen. Der PCR Test ist positiv. Es besteht die Notwendigkeit einer Sauerstoffgabe. Bei stabilen Herzkreislauf-Parametern und auch einer ausreichenden Sauerstoffsättigung wird der Patient zunächst auf die Normalstation aufgenommen. Nach 2 Tagen verschlechtert sich der Allgemeinzustand und der Patient muss mit einer abfallenden Sauerstoffsättigung auf die Intensivstation übernommen werden. Dort wird zunächst eine nichtinvasive Beatmung eingeleitet, der Versuch einer Therapie mit Hochfluss-Sauerstofftherapie scheitert und der Patient muss intubiert werden. Aufgrund der außerordentlich schlechten Sauerstoffsättigung wird er sofort in eine Bauchlagerung gebracht. Dies verbessert seine Situation. Es folgen mehrere Tage mit invasive Beatmung im Wechsel zwischen Rücken- und Bauchlage alle 16 Stunden. Nach 13 Tagen verbessert sich die respiratorische Situation. Komplizierend stellt sich jedoch eine sogenannte Beatmungs-Lungenentzündung ein, die zu einer erneuten Verschlechterung führt. An Tag 21 entschließt sich das Behandlungsteam, einen Luftröhrenschnitt (Tracheotomie) durchzuführen. An Tag 30 kann die Entwöhnung von der invasiven Beatmung begonnen werden und der Patient schließlich an Tag 40 der Behandlung in eine spontane Atmung über die Trachealkanüle überführt werden. Wenn der ganzen Zeit finden tägliche ausgedehnte physiotherapeutische und atemtherapeutische Begleittherapien statt. Schon während der Intensivbehandlung wird also eine frühe Rehabilitation eingeleitet.

Therapieoptionen 

Die therapeutischen Möglichkeiten sind leider nach wie vor sehr eingeschränkt. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es immer noch keine „magic bullet“ in der medikamentösen Behandlung der schweren Verlaufsform einer COVID-19 Erkrankung. Einzig und allein ist zum jetzigen Zeitpunkt die Therapie mit Kortikosteroiden zu empfehlen (z.B. DEXAMETHASON). Die Therapie mit antiviralen Substanzen ist der Frühphase der Erkrankung vorbehalten (z.B. Remdesivir). Andere Substanzen, die die überschießende Entzündungsreaktion bei COVID-19 behandeln sollen, haben bisher keine eindeutig positiven Resultate in den Studien gezeigt.

Wichtig erscheint die differenzierte Beatmungstherapie, die gerade in der Anfangsphase davon gezeichnet ist, dass man vorwiegend sogenannte nichtinvasive Beatmungsverfahren (Masken-Beatmung mit einem positiven Atemwegsdruck) oder eine Therapie mit einer nasalen Zufuhr von hochdosiertem Sauerstoff (sogenannte High-Flow-Sauerstofftherapie) zur Anwendung bringt, um somit eine invasive Beatmung zu verzögern oder sogar unnötig zu machen. Auch die Betreuung von COVID-19 Patienten, die noch nicht invasiv beatmet werden, erfordert einen erheblichen personellen Aufwand und Einsatz.

Während der sogenannten ersten Welle der Corona Pandemie wurden Patienten schon sehr frühzeitig intubiert. Dies war sicherlich Folge der bestehenden Unsicherheiten im Umgang mit diesen schwer kranken Patienten. Im Verlauf des letzten Jahres haben wir national und international allerdings sehr umfangreiche Erfahrungen gesammelt. Die aktuellen Leitlinien, die im Laufe des letzten Jahres sehr frühzeitig erstellt wurden, werden auf Basis dieser Erfahrungen permanent weiterentwickelt.

Auch die Antikörpertherapie ist der frühen Phase der Erkrankung vorbehalten wie auch die Gabe des Rekonvaleszentenplasmas.

Zusammenfassend kann man auf die aktuelle S3 Leitlinie der DGIIN/DIVI/DGP hinweisen [2].

Kardiovaskuläre Begleiterkrankungen und kardiale Beteiligung 

Es ist sehr gut bekannt, dass der Verlauf von Patienten mit einer COVID-19 Erkrankung in erheblichem Umfang von den Begleiterkrankungen abhängt. Hierzu zählen insbesondere die in der Kardiologie wohlbekannten Risikofaktoren wie arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Adipositas, vorbestehende koronare Herzerkrankung und eine vorbestehende Herzinsuffizienz. Diese Vorerkrankungen haben eine signifikante Bedeutung für die Prognose der Patienten mit COVID-19 und nehmen einen unabhängigen Einfluss die Sterblichkeit.

Die COVID-19 Erkrankung ist insbesondere durch einen dreiphasigen Verlauf gekennzeichnet: in der 1. Phase besteht noch eine milde Erkrankung. Hier bestehen nur allgemein Symptome, es liegen allerdings noch keine Hinweise für eine Beeinträchtigung der Sauerstoffaufnahme im Rahmen einer schweren Beteiligung der Lunge vor. Nach 7-14 Tagen kann sich eine mittelschwere Erkrankung einstellen. Im Vordergrund steht hier natürlich zunächst die Erkrankung der oberen und unteren Atemwege, insbesondere der Lunge. Eine schwere Erkrankung mit Multiorganbeteiligung stellt sich in der Regel erst 12-16 Tage nach Infektion ein. Hier können prinzipiell alle Organe beteiligt werden, aber das Herz und das gesamte kardiovaskuläre System stehen natürlich an allererster Stelle.

Da bei COVID-19 eine ausgeprägte generalisierte Entzündungsreaktion im Körper hervorgerufen wird, kann diese Entzündungsreaktion bei Vorerkrankungen der Gefäße und natürlich insbesondere der Herzkranzgefäße zu entsprechenden Reaktionen dort führen, also zur Aktivierung von sogenannten Plaques in den Kranzgefäßen, die zu einer Thrombosebildung und in Folge dann zu einem Herzinfarkt führen. Darüber hinaus kann es zu einer sogenannten mikrovaskulären Funktion auch im Bereich des Herzens kommen. Auch lokale Durchblutungsstörungen werden beobachtet, die ebenfalls zur Manifestation eines akuten Koronarsyndroms beitragen können.

Es ist sehr gut beobachtet, dass COVID-19 im Rahmen der systemischen Entzündungsreaktion unter Mitbeteiligung der kleinen Gefäße zu einer sogenannten Endotheliitis führen kann, einer entzündlichen Reaktion der kleinsten Gefäße. Hieraus können sich Mikrothrombosen entwickeln. Darüber hinaus konnte schon sehr früh im Verlauf der Pandemie gezeigt werden, dass Patienten mit COVID-19 Thrombosen sowohl in Venen als auch Arterien erleiden können. Dieser Befund muss von Anfang an in der Behandlung Aufmerksamkeit geschenkt werden. Daher spielt die Thromboseprophylaxe bei Patienten mit COVID-19 eine wesentliche Rolle.

Kardiale Biomarker spielen im Rahmen der initialen Diagnostik aber auch im weiteren Verlauf der Erkrankung eine zentrale Rolle. In Bezug auf die kardiale Mitbeteiligung wird sehr wohl auf die Bestimmung der kardialen Troponine, aber auch der natriuretischen Peptide (BNP und NT-proBNP) geachtet. Diese haben naturgemäß eine besondere prognostische Bedeutung. Dennoch spielen sie erst bei einer deutlichen Erhöhung eine Rolle und sollten diesbezüglich regelmäßig mindestens einmal täglich bestimmt werden. Konnte eindeutig gezeigt werden, dass der zunehmende Anstieg der Biomarker von Tag zu Tag eine erhebliche prognostische Bedeutung besitzt. Auch die natriuretischen Peptide sollten engmaschig bestimmt werden, da sich hieraus auch immer wieder die Indikation zu einer kardialen Bildgebung (Echokardiographie) ergibt. Es muss immer sehr patientenindividuell entschieden werden, ob eine weiterführende, vor allem eine invasive Diagnostik (z.B. Herzkatheteruntersuchung) indiziert ist. Die regelmäßige Bestimmung der Biomarker ist dabei eine zusätzliche Hilfe bei der Entscheidungsfindung.

Effekt der Impfung 

Ob sich das Patientenkollektiv auf den Intensivstationen durch den Impfstart verändert hat, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Es muss bedacht werden, dass mit Stand 26. März 2021 nur 3.768.060 Personen, also 4,5 % der Gesamtbevölkerung) vollständig geimpft sind. Insgesamt haben 8.595.379 Personen mindestens eine Impfdosis erhalten (Quelle https://impfdashboard.de/).

47,8 % der Gesamtdosen wurden an Personen mit Altersindikation verabreicht. Hiervon entfallen 3.882.258 Impfdosen auf die Erstimpfungen und 2.023.630 Impfdosen auf die Zweitimpfungen. In der sogenannten vulnerablen Population finden sich 5,7 Millionen Menschen im Alter von 80 Jahren und älter. Das bedeutet, dass ein vollständiger Schutz erst bei 35,5% in dieser Risikogruppe vorliegt.

In anderen Ländern (z.B. Schottland, Großbritannien, Israel) konnte gezeigt werden, dass Impfungen in der hohen Altersgruppe zu einer deutlichen Abnahme der Sterblichkeit führen. Darüber hinaus konnte auch eine nahezu 100-prozentige Schutzwirkung für einen schweren Verlauf gezeigt werden. Insofern ist zu erwarten, dass bei einer zunehmenden Durchimpfung der älteren Populationen der Anteil dieser Patienten in den Krankenhäusern und dort vor allem auf den Intensivstation abnehmen wird. Dennoch muss zum jetzigen Zeitpunkt davon ausgegangen werden, dass angesichts der zunehmenden Dominanz der britischen Mutation B1.1.7 mit der erhöhten Infektiosität aber auch Pathogenität der Anteil der Patienten zwischen 50 und 80 Jahren mit einem schweren Verlauf ansteigen ird. Das DIVI-Intensivregister erfasst zum jetzigen Zeitpunkt nicht das kalendarische Alter der Patienten, ist jedoch geplant, dass wir in Kürze eine Zusatzerfassung erfolgen soll.

Literatur

  1. Karagiannidis C, Mostert C, Hentschker C, et al. Case characteristics, resource use, and outcomes of 10 021 patients with COVID-19 admitted to 920 German hospitals: an observational study. Lancet Respir Med 2020; 8: 853-862
  2. Kluge S, Janssens U, Spinner CD, et al. Clinical Practice Guideline: Recommendations on Inpatient Treatment of Patients with COVID-19. Dtsch Arztebl Int 2021; 118
  3. Schmidt M, Hajage D, Demoule A, et al. Clinical characteristics and day-90 outcomes of 4244 critically ill adults with COVID-19: a prospective cohort study. Intensive Care Medicine 2021; 47: 60-73