Grafenberger Allee 100
40237 Düsseldorf
Tel.: + 49 211 600692-0
Fax: + 49 211 600692-10
info@dgk.org

Sekundenherztod überlebt und dann? – Ursache bösartiger Herzrhythmusstörungen bei jungen Patient*innen bleibt trotz erweiterter kardialer Diagnostik oft unklar

Abdruck frei nur mit Quellenhinweis
Pressetext als PDF - gegebenenfalls mit Bildmaterial

Michael Baumhardt, Priv.-Doz. Dr. Alexander Pott, Ulm 

Hintergrund

Der plötzliche und unerwartete Herz-Kreislauf-Stillstand von Christian Eriksen während eines Fußballspieles der Fußball-Europameisterschaft wurde weltweit live am Fernseher mitverfolgt und hat hohes mediales Interesse geweckt. Dennoch ist der Fall des dänischen Fußballspielers kein Einzelfall: Jedes Jahr erleiden Schätzungen zufolge etwa 65.000 Menschen deutschlandweit einen plötzlichen Herztod, oft ohne Vorwarnungen [1].

Insbesondere bei jungen, bisher gesunden Menschen tritt dieses einschneidende Ereignis vollkommen unerwartet auf und ist daher mit großer Dramatik verbunden. Neben der akuten hohen Mortalität eines solchen Ereignisses sind die langfristigen Konsequenzen für das weitere Leben der Betroffenen nur schwer abschätzbar. Häufig stellt sich die Frage nach der Ursache des Herz-Kreislauf-Stillstands und ob im Laufe des weiteren Lebens erneut ein plötzlicher Herztod droht. Während bei älteren Menschen die Hauptursache eines Herz-Kreislauf-Stillstandes das akute Koronarsyndrom ist, sind die Auslöser von Herz-Kreislauf-Stillständen bei jungen Menschen vielfältig [2]. Neben strukturell-anatomischen Veränderungen wie z.B. Koronaranomalien und Kardiomyopathien wie der Hypertroph-Obstruktiven Kardiomyopathie sind insbesondere auch Arrhythmie-Erkrankungen wichtig, bei denen Veränderungen des Reizleitungssystems oder der Herzmuskelzellen zu einer Instabilität des Herzrhythmus und bösartigen Herzrhythmusstörungen führen können. In diese Erkrankungsgruppe sind insbesondere das Long-QT-Syndrom, das Brugada-Syndrom, die Katecholamin-abhängige polymorphe Ventrikuläre Tachykardie (CPVT) und das Wolff-Parkinson-White (WPW)-Syndrom einzuordnen.

Untersuchungen an der Klinik für Innere Medizin II des Universitätsklinikums Ulm

In einer Langzeit-Kohortenstudie des Universitätsklinikums Ulm wurden nun 150 unter 40-jährige Patient*innen untersucht, die zwischen 2000 und 2020 einen Herz-Kreislauf-Stillstand erlitten. Während bei etwa der Hälfte der Patient*innen nicht-kardiologische Gründe für den Herz-Kreislauf-Stillstand vorlagen (z.B. Ertrinken, Suizidversuche, Vergiftungen), war bei 73 Patient*innen eine Erkrankung des Herzens auslösend für das Akutereignis. Hiervon ließ sich bei knapp der Hälfte ein akuter Herzinfarkt im EKG diagnostizieren, wohingegen bei weiteren 38 Patient*innen eine weitere Ursachenabklärung notwendig war.

Diese mehrheitlich weiblichen Patient*innen waren durchschnittlich 24 Jahre alt und erhielten eine umfangreiche Diagnostik, welche je nach klinischer Notwendigkeit eine Kernspintomographie, Koronarangiographie, elektrophysiologische Untersuchung sowie Myokardbiopsie umfasste. In einigen Fällen erfolgte, eine genetische Testung auf Mutationen im Zusammenhang mit dem überlebten plötzlichen Herztod. Bei allen Patient*innen war die Ursache des Herz-Kreislauf-Stillstands Kammerflimmern, eine bösartige Herzrhythmusstörung. Nur bei 21 Patient*innen konnte der Auslöser des Herz-Kreislauf-Stillstands ermittelt werden. Dieser war in 18 % der Fälle ein Long-QT-Syndrom, in 11 % eine hypertrophe Kardiomyopathie sowie in 21 % seltenere Formen der Kardiomyopathien. Bei 2 Patient*innen fanden sich Koronaranomalien. Demgegenüber konnte trotz ausführlicher Diagnostik in 17 Patient*innen (45 % aller Fälle) keine ursächliche Erkrankung für den Herz-Kreislaufstillstand gefunden werden.

In den Folgejahren nach dem Herz-Kreislauf-Stillstand wurden die Patient*innen am Universitätsklinikum Ulm in der Spezialsprechstunde „genetisch-bedingte Herzerkrankungen“ sowie im Zentrum für seltene Erkrankungen (ZSE) des Universitätsklinikums Ulm durch die beiden Studienautoren PD Dr. med. Alexander Pott sowie Michael Baumhardt weiter betreut und erhielten regelmäßige Abfragen des sekundärprophylaktisch implantierten internen Kardioverter-Defibrillator (ICD), mit dem 35 Patient*innen versorgt wurden. Die Implantation des ICD-Aggregates erfolgte mehrheitlich transvenös, teilweise jedoch auch mit einem subkutanen Aggregat. Nach einer Nachverfolgungszeit von 7,9 Jahren waren 3 Patient*innen (8 %) verstorben. 39 % der Patient*innen erlitten eine erneute bösartige Herzrhythmusstörung, in deren Rahmen eine Schockabgabe durch den ICD notwendig wurde. Überraschenderweise erlitten von den 17 Patient*innen ohne erklärende Diagnose nur 23 % eine erneute bösartige Herzrhythmusstörung, wohingegen bei vorliegender Diagnose signifikant häufiger, in 52 % der Patient*innen erneut eine bösartige Herzrhythmusstörung auftrat. Die Implantation eines Defibrillators war somit vor allem bei vorliegender Diagnose sinnvoll, da Zweitereignisse gehäuft waren.

Obwohl dramatische Szenen wie bei der Fußball-Europameisterschaft sowohl im Spitzensport als auch bei Nicht-Athleten selten sind, werden Kardiolog*innen immer wieder mit diesem Phänomen konfrontiert werden. Eine strukturierte Aufarbeitung dieser Fälle ist sinnvoll und notwendig, um eine zielgerichtete Therapie zu etablieren und um den Betroffenen eine möglichst gute Einschätzung über die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Ereignisses geben zu können. Christian Eriksen wurde wenige Tage nach seinem Herz-Kreislauf-Stillstand und nach Implantation eines ICD-Aggregates aus dem Krankenhaus entlassen. Die bisherige Diagnostik habe keine Ursache für Eriksens Herzstillstand ergeben [3]. Obwohl er in hervorragender körperlicher Verfassung sei, ist eine Rückkehr des Dänen in den Profifußball daher ungewiss [3].

Literatur

  1. Martens E, Sinner MF, Siebermair J, Raufhake C, Beckmann BM, Veith S, Düvel D, Steibeck G, Kääb S (2014) Incidence of sudden cardiac death in Germany: results from an emergency medical service registry in Lower Saxony. Europace 16:1752–1758. doi: 10.1093/europace/euu153
  2. Ackerman M, Atkins DL, Triedman JK (2016) Sudden Cardiac Death in the Young. Circulation 133:1006–1026. doi: 10.1161/CIRCULATIONAHA.115.020254
  3. Wintner S (2021) Das emotionalste Comeback des Sommers. https://www.diepresse.com/6023878/das-emotionalste-comeback-des-sommers. Accessed 21 September 2021

Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie –Herz und Kreislaufforschung e.V. (DGK) mit Sitz in Düsseldorf ist eine gemeinnützige wissenschaftlich medizinische Fachgesellschaft mit fast 11.000 Mitgliedern. Sie ist die älteste und größte kardiologische Gesellschaft in Europa. Ihr Ziel ist die Förderung der Wissenschaft auf dem Gebiet der kardiovaskulären Erkrankungen, die Ausrichtung von Tagungen die Aus-, Weiter- und Fortbildung ihrer Mitglieder und die Erstellung von Leitlinien. Weitere Informationen unter www.dgk.org 

Wichtige Informationen für Nicht-Mediziner*innen stellt die DGK auf den Seiten ihres Magazins „HerzFitmacher“ zusammen: www.herzfitmacher.de