Versorgungssituation von Herzpatienten in Deutschland nicht ausreichend geklärt
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Mannheim, 25. April 2019 – Wie ist es um die Versorgung von Herzpatienten in Deutschland bestellt? Zu dieser Frage liegen zu wenige wissenschaftlich fundierte Daten vor. Ein neu gegründetes Zentrum für kardiologische Versorgungsforschung soll Abhilfe schaffen. Erste Projekte wurden heute in einer Pressekonferenz während der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e. V. (DGK) in Mannheim vorgestellt.
Wie sich Medikamente und Devices, die anhand hochspezialisierter Kriterien in internationalen Studien getestet wurden, in der Praxis bewähren, ist für Kardiologen eine wertvolle Information. Häufig liegen hierzu in Deutschland allerdings nur Patientenversorgungsdaten, beispielsweise Krankenkassen- und Abrechnungsdaten vor, aus denen Rückschlüsse gezogen werden müssen. „Das ist nicht unproblematisch, denn diese Datensätze sind meist nicht für Fragestellungen der Versorgungsmedizin konzipiert“, erklärt Prof. Dr. Karl Werdan, Vorstandsmitglied der DGK. „Im Grunde können wir anhand dieser Daten nur Analysen vornehmen, die Verzerrungen erhalten, weil die Daten nicht zu 100% auf die Fragestellung passen.“ Große Register und Studien, die auf bestimmte Fragestellungen hin angelegt werden, seien in der Versorgungsforschung noch immer die Ausnahme.
DGK engagiert sich mit neuem Zentrum in der kardiologischen Versorgungsforschung
Ein Missstand, den das neue DGK-Zentrum für Kardiologische Versorgungsforschung beheben soll. Das Zentrum ist auf Initiative der DGK, der Arbeitsgemeinschaft Leitende Kardiologische Krankenhausärzte (ALKK), des Bundesverbandes Niedergelassener Kardiologen (BNK), des Bundes Deutscher Internisten (BDI) mit der Sektion Kardiologie und der Stiftung Institut für Herzinfarktforschung (Stiftung IHF) gegründet worden und hat nun seine Arbeit aufgenommen. Durch die Zusammenarbeit kann das Zentrum alle Bereiche der kardiologischen Versorgung mit hervorragender Expertise abdecken und bündelt große Erfahrung im wichtigen Bereich der Versorgungsforschung.
„Wir werden gemeinsam Themen aus der kardiologischen Versorgungsforschung untersuchen, zu denen es im Sinne der evidenzbasierten Medizin keine ausreichend guten Daten gibt“, verspricht Prof. Werdan, der Vorsitzender des Leitungsausschusses des Zentrums ist. Das betrifft vor allem die weniger kostenintensiven Behandlungen, zu denen die Kostenträger meist keine Daten erheben und uns daher nicht viele Erkenntnisse zu vorliegen.“
Eines der ersten Themen: Blutverdünnung bei Vorhofflimmern
Die Arbeit des Zentrums beginnt mit zwei verschiedenen Projekten. Die Wissenschaftler des Zentrums fassen zunächst die Empfehlung der DGK ins Auge, bei Patienten mit Vorhofflimmern und einem niedrigen Risiko für Schlaganfälle von blutverdünnenden Medikamenten (Antikoagulantien) abzusehen. Antikoagulantien sollten Patienten mit Vorhofflimmern und hohem Schlaganfallrisiko vorbehalten bleiben. Nun wird anhand von Daten aus der Rhein-Neckar-Region (ARENA-Register) untersucht, inwieweit Ärzte dieser Empfehlung folgen. „Sollten wir bei unserer Untersuchung feststellen, dass Patienten, die eine Antikoagulation benötigen, sie dennoch nicht erhalten, oder umgekehrt, können wir – unter anderem durch Informationskampagnen – gezielt gegensteuern, um positiv auf die Schlaganfallrate einzuwirken“, präzisiert Prof. Werdan.
GULLIVE-R beleuchtet die Situation der Langzeitversorgung von Herzinfarktpatienten
Unter der Studienleitung von Prof. Dr. Uwe Zeymer startet zudem gerade das GULLIVE-R-Projekt des neuen Zentrums. Es beschäftigt sich mit der Frage, wie leitliniengerecht Herzinfarktpatienten mehr als ein Jahr nach dem Ereignis behandelt werden. „Die meisten bisher vorliegenden Studien bilden lediglich die Versorgungslage in den ersten 12 Monaten nach einem Myokardinfarkt ab“, berichtet Prof. Zeymer. „Uns hingegen interessiert die Zeit danach.“
Patienten, die einen Herzinfarkt erlitten, rechnen häufig nach einem Jahr nicht mehr mit einem Rückfall. Ein trügerisches Gefühl, wie retrospektive Datenanalysen zeigen: Zwischen 12 und 36 Monate nach einem akuten Myokardinfarkt versterben 16,3% der STEMI- und 9% der NSTEMI-Patienten an einer kardiovaskulären Ursache. Insgesamt 32,7% (STEMI) und 22,8% (NSTEMI) der Patienten erleiden ein schwerwiegendes kardiales oder zerebrovaskuläres Ereignis.
In dem GULLIVE-R-Projekt sollen nun Patienten aus 220 bis 250 Versorgungszentren, Kliniken und Praxen eingeschlossen werden, die über den Zeitraum von 9 bis 18 Monate nach einem Myokardinfarkt hinweg kontinuierlich beobachten werden. Dabei interessiert vor allem, wie diese Patienten beraten und behandelt werden und wie sie die Empfehlungen umsetzen. Wird eine Risikostratifizierung vorgenommen oder werden alle Patienten gleich behandelt? Wie verhält es sich mit der Nachhaltigkeit von Lebensstilinterventionen?
Das Projekt wird durch einen unrestricted Grant der Firma Astra Zeneca finanziert. Die Firma stellt dem Zentrum einen Betrag zur freien Verfügung. Das Design, die Datenerhebung sowie die Auswertung und Interpretation liegen damit ausschließlich in der Hand des Studienleiters und des Zentrums. Sie werden nach rein wissenschaftlichen Kriterien gestaltet. Astra Zeneca unterstützt zugleich Projekte in China und den USA, die den gleichen Sachverhalt untersuchen.
International vergleichbare Daten sind ein Projekt für die Zukunft
Da große Unterschiede in den Strukturen im Gesundheitswesen zwischen den einzelnen Ländern bestehen, müssen Daten dazu erhoben werden, ob Medikamente und Devices in den unterschiedlichen Strukturen der jeweiligen Nationen mit vergleichbarer Wirksamkeit eingesetzt werden.
„Immer öfter erscheinen inzwischen Publikationen, die die kardiologische Versorgungssituation in unterschiedlichen Ländern vergleichen. Die deutschen Daten, die hauptsächlich in föderalistischen Strukturen erhoben werden, eignen sich allerdings für einen Vergleich mit den Daten aus Ländern, in denen das Gesundheitssystem zentralistisch organisiert ist, nur schlecht“, so Prof. Werdan. „Wir möchten uns darum bemühen, in diesen internationalen Vergleichen nicht nur die ärztlichen Leistungen, sondern auch die Gesundheitsstrukturen in den jeweiligen Nationen mehr zu berücksichtigen.“
Medienkontakt:
Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e.V.
Pressesprecher: Prof. Dr. Michael Böhm
Pressestelle: Kerstin Kacmaz, Tel.: 0211 600 692 43, Melissa Wilke, Tel.: 0211 600 692 13 presse@dgk.org
Während der 85. Jahrestagung der DGK vom 24. bis 27. April 2019 ist die Pressestelle unter 0621 4106-5002 erreichbar.
Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz und Kreislaufforschung e.V. (DGK) mit Sitz in Düsseldorf ist eine gemeinnützige wissenschaftlich medizinische Fachgesellschaft mit mehr als 10.000 Mitgliedern. Sie ist die älteste und größte kardiologische Gesellschaft in Europa. Ihr Ziel ist die Förderung der Wissenschaft auf dem Gebiet der kardiovaskulären Erkrankungen, die Ausrichtung von Tagungen die Aus-, Weiter- und Fortbildung ihrer Mitglieder und die Erstellung von Leitlinien. Weitere Informationen unter www.dgk.org