Aktuelle TAVI-Diskussion: Indikationserweiterung, wenn Nutzen für Patienten mit mittlerem Risiko in Studien nachgewiesen ist
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Statement Prof. Karl-Heinz Kuck, Hamburg,
Präsident-Elect der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie
Im Oktober 2014 hat die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) ein Positionspapier zum Thema transvaskuläre Aortenklappen-Implantation (TAVI) publiziert1. Dieses Papier hat vor allem die Sicherung der Versorgungsqualität bei steigendem klinischem Bedarf zum Ziel. Allerdings hat die Publikation einiges an Diskussionen verursacht. Seitens der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßmedizin (DGTHG) wurde uns vorgeworfen, „explizit abweichende Standpunkte zu Studien und den diversen medizinischen Leitlinien“ zu vertreten und eine Ausweitung der TAVI-Behandlung auf Patienten mit mittlerem Risiko anzudenken. Die DGK wehrt sich entschieden gegen diese Vorwürfe und stellt fest, dass es kein Abrücken von den Leitlinien gibt.
Wir wollen in unserem Positionspapier nicht die Ausweitung auf Patienten mit mittlerem Risiko promoten, sondern weisen lediglich auf die aktuelle Studienlage hin. So hat sich herausgestellt, dass in die CoreValve-Studie, die eigentlich für Patienten mit hohem Operationsrisiko vorgesehen war, hauptsächlich Patienten mit mittlerem Risiko, gemessen anhand des EuroSCOREs bzw. des STS-Scores, eingeschlossen wurden. Dabei zeigte sich hinsichtlich des wohl härtesten Endpunktes, der Mortalität, ein hoch signifikanter Vorteil für die TAVI.2
Darüber hinaus laufen derzeit große prospektive randomisierte Studien wie SURTAVI und PARTNER II, in denen TAVI und Operation bei Patienten mit mittlerem Risiko verglichen werden. Sollten diese Studien die Überlegenheit der TAVI-Behandlung zeigen, werden wir das Positionspapier updaten müssen. Die Wahrscheinlichkeit, dass das passieren wird, ist in meinen Augen hoch.
Sowohl die Arbeitsgruppe für Herzklappenerkrankungen der ESC (European Society of Cardiology) als auch unsere Task Force hat daher ihre Empfehlungen flexibel gestaltet. Score-Systeme sollen lediglich als Teil eines integrierten Ansatzes zusammen mit der Beurteilung der klinischen Gesamtsituation und begleitender Erkrankungen für die Entscheidungsfindung herangezogen werden. Dieser Ansatz schließt explizit den Willen des Patienten und ggf. seiner Angehörigen mit ein.
Gute Haltbarkeit
Dem Einwand, dass es noch keine validen Ergebnisse bezüglich der Haltbarkeit der Klappenprothesen gibt, ist entgegenzuhalten, dass inzwischen die 5-Jahresdaten der PARTNER-B-Studie vorliegen. Demnach ist der Druckgradient über die Aortenklappe nach TAVI-Eingriffen im direkten Vergleich zur chirurgisch implantierten Klappe geringer und die Aortenklappen-Öffnungsfläche größer. Darüber hinaus werden die Klappenmodelle und Implantationsprozeduren ständig weiterentwickelt, sodass Komplikationsraten sukzessive zurückgehen werden und auch eine längere Haltbarkeit zu erwarten ist. Ich möchte daran erinnern, dass wir die Verantwortung haben, den Patienten gegenüber die Daten der Wahrheit entsprechend darzustellen.
Vertragliche Kooperation mit einer Fachabteilung für Herzchirurgie
Therapieentscheidungen für Patienten mit hochgradiger, symptomatischer Aortenklappenstenose, unabhängig von der aufnehmenden Fachabteilung, sollten an einem TAVI-Zentrum stets gemeinsam im Herz-Team, in dessen Zentrum sowohl Kardiologen als auch Herzchirurgen stehen, getroffen werden. Im Gegensatz zur DGTHG, die das Vorhandensein einer herzchirurgischen Fachabteilung als zwingende Notwendigkeit für die Durchführung von TAVI-Eingriffen erachtet, betonen wir in unserem Positionspapier, dass bei nicht vorhandener chirurgischer Fachabteilung vor Ort eine vertragliche Kooperation mit einer Fachabteilung für Herzchirurgie nachgewiesen werden muss. Dies gründet einerseits in der Tatsache, dass die Rate schwerwiegender Komplikationen, die bei TAVI-Eingriffen ein sofortiges Eingreifen des Herzchirurgen erfordern, derzeit bei rund 1%liegt und der Trend laufend weiter nach unten geht. Andererseits existieren Daten des AQUA-Instituts (Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen) aus dem Jahr 2013, wonach die Mortalität bei TAVI-Behandlung in Zentren mit Fachabteilung für Herzchirurgie und ohne entsprechende Abteilung – aber mit Beteiligung von kooperierenden Herzchirurgen bei TAVI-Eingriffen – nicht unterschiedlich war.
Zertifizierung von Zentren
Zur Sicherung der Indikations-, Prozess- und Ergebnisqualität muss das TAVI-Zentrum personelle, technische, strukturelle und organisatorische Anforderungen erfüllen. Damit soll die umfassende und multidisziplinäre Versorgung innerhalb eines interdisziplinären Herz-Teams sichergestellt werden. Im Zentrum dieses Teams stehen Kardiologen und Herzchirurgen mit jeweils ausreichender Erfahrung in der Durchführung der TAVI-Prozedur (>50 TAVI-Prozeduren/Jahr/Zentrum und ≥25 TAVI-Prozeduren/Jahr/Operateur) bzw. der Beherrschung möglicher Komplikationen. Der ideale Ort für die Durchführung einer TAVI-Implantation ist ein Hybrid-Katheterlabor/Operationssaal, in dem im Falle einer Komplikation, die einen herzchirurgischen Eingriff erfordert, sofort die Operation erfolgen kann. Ist vor Ort kein Hybridlabor vorhanden, können TAVI-Prozeduren unter bestimmten Voraussetzungen auch in einem Herzkatheterlabor durchgeführt werden. Wenn im Falle einer Komplikation eine Operation unmittelbar erfolgen muss, muss das Herzkatheterlabor für den herzchirurgischen Eingriff vollständig ausgestattet sein. Aufgrund des hohen Anforderungsprofils für das TAVI-Zentrum und die TAVI-Untersucher wird die DGK anhand der vorgestellten Kriterien für beide eine Zertifizierung durchführen.
1 K.-H. Kuck et al.: Kardiologe 2014 – 8 (6): DOI 10.1007/s12181-014-0622-8 (http://leitlinien.dgk.org/2014/qualitaetskriterien-zur-durchfuehrung-der-transvaskulaeren-aortenklappenimplantation-tavi/)
2 Adams DH et al.: N Engl J Med. 2014;370:1790-8