Welche neuen Erkenntnisse gibt es bei Interventionen?
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Zusammenfassung des Vortrages von
Prof. Dr. Holger Thiele, Zukünftiger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie
– Herz- und Kreislaufforschung
Intravaskuläre Druckmessung
Um die funktionelle Relevanz von Koronarstenosen zu evaluieren, wird die intravaskuläre Druckmessung (FFR – fractional flow reserve“) in den europäischen Leitlinien zur myokardialen Revaskularisation empfohlen. (1) Bislang wurde im Herzkatheterlabor hauptsächlich die invasive FFR-Messung oder andere Draht-basierte Verfahren eingesetzt. Diese Verfahren sind aber invasiv durch die Verwendung eines Drahtes in den Koronarien, benötigen die Gabe von Heparin und teilweise auch das Stress-Medikament Adenosin.
Inzwischen befinden sich mehrere Software-basierte, virtuelle Systeme in der klinischen Evaluierung. Sie erlauben die FFR-Bestimmung anhand der angiographischen Bildgebung in unterschiedlichen Darstellungsebenen, also ohne invasives Einbringen eines Druckdrahtes. Aus den so gewonnenen Daten können durch flussbasierte Algorithmen die FFR-Werte berechnet werden. Für Patient*innen mit koronarer Herzerkrankung (KHK) sind Software-basierte FFR-Bestimmungen mit Vorteilen verbunden. Die Untersuchungen sind nicht-invasiv und daher sind mögliche vaskuläre Komplikationen ausgeschlossen. Das Einbringen eines Druckdrahtes ist nicht notwendig, wodurch auch Heparingaben und die Applikation von Adenosin entfallen. Perspektivisch kann davon ausgegangen werden, dass sich die Untersuchungszeiten reduzieren lassen, je weiter die Software-basierten FFR-Systeme in die verfügbaren Techniken integriert werden.
Verschiedene Studien konnten die Verlässlichkeit und die Gleichwertigkeit der virtuellen FFR im Vergleich zur Bestimmung des Stenosegrades in der Standardangiographie stützen. So wurde zuletzt in FAVOR III China (Dezember 2021), gezeigt, dass eine QFR-geführte Strategie zur Detektion behandlungsrelevanter Läsionen nach einem Jahr der Standardangiographie signifikant überlegen war (3).
In der DISCHARGE-Studie (2) wurde untersucht, ob die nicht-invasive CCTA für bestimmte Patient*innen mit Verdacht auf eine KHK eine sichere Alternative zur Katheteruntersuchung darstellt. Das Studienkolletiv bestand aus etwa 3.500 Patient*innen mit stabiler Angina Pectoris und einer mittleren Prätestwahrscheinlichkeit von 10 bis 60 Prozent für eine relevante KHK. Die Rate schwerwiegender prozedurbedingter Komplikationen war bei einer initialen CT-Strategie signifikant niedriger. Insgesamt kann auf Basis der DISCHARGE-Studie davon ausgegangen werden, dass Katheteruntersuchungen in Zukunft noch zielgerichteter eingesetzt werden, denn in der CCTA-Gruppe war nach der CT-Abklärung nur bei etwas mehr als 22 Prozent der Patient*innen nachfolgend eine invasive Koronarangiographie notwendig.
Interventioneller Aortenklappenersatz (TAVI)
In den letzten 20 Jahren hat sich die TAVI von einer Nischen-Lösung für inoperable Patient*innen zu der besten Behandlungsmöglichkeit für Menschen mit symptomatischer Aortenklappenstenose und niedrigem OP-Risiko entwickelt. Mehrere Studien, unter anderem PARTNER 3, NOTION und Evolut low risk haben die Überlegenheit beziehungsweise Gleichwertigkeit der TAVI gegenüber dem operativen Aortenklappenersatz unter Beweis gestellt. 2021 von Gaede et al. publizierte Versorgungsdaten aus Deutschland haben das für die transvaskuläre TAVI auch im klinischen Alltag noch einmal bestätigt.
In den amerikanischen Leitlinien haben sich diese Ergebnisse bereits niedergeschlagen. Dort wird die chirurgische Behandlung für Patient*innen unter 65 Jahren empfohlen, ab 65 soll unter Berücksichtigung der Lebenserwartung zwischen TAVI und Operation entschieden werden. In den europäischen Leitlinien hingegen gilt der chirurgische Aortenklappenersatz für alle Patient*innen bis 75 Jahre als Regelempfehlung. Die neuen Leitlinien betonen allerdings darüber hinaus ausdrücklich den Patientenwunsch als eines der wichtigsten Entscheidungskriterien, was wir dank des gemeinsamen Positionspapieres ebenfalls in Deutschland bereits so handhaben. Das bedeutet, dass wir mit den Ergebnissen unserer gemeinsamen Diskussion an die Patient*innen herantreten, damit sie unter Berücksichtigung aller Fakten eine mündige Entscheidung treffen können. Die Einbindung unserer Patientinnen und Patienten in den Entscheidungsprozess ist eine neue Herangehensweise in der Leitlinie und uns Kardiolog*innen ein großes Anliegen. Bisher standen Zweifel an der Haltbarkeit der interventionell eingesetzten Klappen im Vordergrund der zurückhaltenden Entscheidungen für den Einsatz bei jüngeren Patient*innen. Doch auch hier haben die bei einer TAVI eingesetzten Produkte inzwischen ihre Überlegenheit bewiesen. In der NOTION-Studie und auch in einer kürzlich vorgestellten Analyse zeigte sich nach fünf Jahren eine bessere Haltbarkeit bei den interventionell eingesetzten Klappen im Vergleich zu chirurgischen Klappentypen. (4)
Trikuspidalklappeninsuffizienz
Die Trikuspidalklappeninsuffizienz ist vor allem bei Patient*innen mit Herzinsuffizienz eine prognostisch hochbedeutende Erkrankung, die allerdings bisher nur verhältnismäßig selten chirurgisch behandelt wird. Der kathetergestützten Behandlung der Trikuspidalklappeninsuffizienz kommt auch deswegen eine besondere Bedeutung zu, weil der chirurgische Eingriff wegen einer Sterblichkeit von 8 bis 10 % nur sehr selten isoliert durchgeführt wird. Zudem konnte für den chirurgischen Eingriff bisher keine Verbesserung der Überlebenswahrscheinlichkeit nachgewiesen werden (5). Anders bei den interventionellen Therapien: eine Trikuspidalklappenintervention führt zu verbessertem Überleben und weniger Rehospitalisierungen aufgrund von Herzinsuffizienz, wie Taramasso et al. zeigen konnten (6). Erfreulicherweise hat sich in den letzten vier bis fünf Jahren die Auswahl der zur Verfügung stehenden Produkte für die interventionellen Eingriffe vervielfacht. Während uns noch 2017 nur das Clip-Verfahren für eine Edge-to-Edge-Reparatur der Trikuspidalklappe zugänglich war, ist es inzwischen eine Vielzahl effektiver und gut zugänglicher Produkte zur Verfügung.
Zum Nachlesen:
(1) Neuman FJ et al., European Heart Journal 2019; 40 (2): 87 – 165
https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehy394
(2) The DISCHARGE Trial Group, N Engl J Med 2022; online am 4.3.2022
https://doi.org/10.1056/NEJMoa2200963
(3) XU B et al., The Lancet 2021; 398 (10317): 2149 – 2159
https://doi.org/10.1016/S0140-6736(21)02248-0
(4) Jorgensen, et al., European Heart Journal 2020; 2912-2919
https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehab375
(5) Axtell et al., J Am Coll Cardiol. 2019 Aug, 74 (6) 715–725
https://www.jacc.org/doi/abs/10.1016/j.jacc.2019.04.028
(6) Taramasso et al., J Am Coll Cardiol. 2019 Dec, 74 (24) 2998–3008
https://doi.org/10.1016/j.jacc.2019.09.028