Menschliches Vorhofmyokard in der Langzeitkultur
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Dr. Thomas Seidel und Prof. Dr. Tilmann Volk, Erlangen
Hintergrund und Zielsetzung
Um im Rahmen der translationalen Forschung die Übertragbarkeit von Ergebnissen der Grundlagenforschung in die präklinische Anwendung zu überprüfen, sind gute Modellsysteme unerlässlich. Die Langzeitkultur von myokardialen Gewebeschnitten des menschlichen Herzmuskels hat zuletzt immense Fortschritte gemacht und eignet sich hervorragend dazu, grundlegende Pathomechanismen an humanem Myokard aufzuklären, neue Therapiestrategien zu identifizieren oder Toxizitätsmessungen durchzuführen (Fischer et al., 2019; Watson et al., 2019). Auch patientenspezifische funktionelle Untersuchungen im Sinne von „Precision Medicine“ sind für die Zukunft denkbar. Darüber hinaus kann mit dieser Technik die Anzahl von Tierversuchen reduziert werden, da Proben verwendet werden, die bei Herzoperationen routinemäßig anfallen. Die Fragestellung der vorliegenden Arbeit war, ob und unter welchen Bedingungen myokardiale Langzeitkultur auch mit Gewebe des menschlichen Herzvorhofs möglich ist. Dies schafft die methodische Ausgangslage für Folgestudien zur Untersuchung von Vorhofflimmern.
Methodik
Bei bestimmten offenen Herzoperationen übernimmt eine Herz-Lungen-Maschine vorübergehend die Herzfunktion. Hierzu wird in das sogenannte Herzohr des rechten Vorhofs eine Kanüle eingebracht, wobei ein Stück Vorhofgewebe entfernt wird. Nach ärztlicher Aufklärung und schriftlicher Zustimmung spendeten acht Patient*innen mit normalem Herzrhythmus (Sinusrhythmus) dieses Gewebestück für unsere Studie. Aus dem Vorhofgewebe wurden anschließend einzelne Muskelstränge (Trabekel) präpariert und für die in vitro Kultur verwendet. Für diese Methode werden auf beiden Seiten der Muskelstränge kleine Plastikhalter angeklebt um sie anschließend in spezielle Kulturkammern zu überführen. Entscheidend für den Erfolg der Kultur ist eine physiologische Vordehnung des Herzgewebes und eine kontinuierliche elektrische Stimulation mit einer Frequenz von 60 min –1, da dies den physiologischen Bedingungen in vivo ähnelt. Über einen Sensor wird kontinuierlich und in Echtzeit die Kontraktionskraft des Trabekels gemessen. Durch den Betrieb in einem Inkubator und eine Schüttelplatte werden die Temperatur, der pH-Wert und die Sauerstoffversorgung im bikarbonat-gepufferten Nährmedium im physiologischen Bereich gehalten.
Um zusätzlich zur basalen Kontraktion die funktionelle Stabilität der Trabekel in Kultur zu überprüfen wurden regelmäßig bestimmte dynamische und funktionelle Parameter erhoben, z.B. die maximale Kontraktionsfrequenz oder die effektive Refraktärzeit. Außerdem wurde zu verschiedenen Zeitpunkten das Ansprechen auf eine pharmakologische Stimulation der beta-Adrenorezeptoren oder der Effekt von Kaliumkanalblockern geprüft. Im Anschluss an die Kulturdauer wurde mittels quantitativer real-time PCR die Expression verschiedener Gene, die entscheidend an der Elektrophysiologie und Kontraktion beteiligt sind, untersucht. Außerdem wurde konfokale, dreidimensionale Mikroskopie genutzt, um strukturelle Veränderungen als Folge der Langzeitkultur zu detektieren (Klumm et al., 2022).
Ergebnisse
Von den acht Patientenproben wurden 22 Trabekel zwölf Tage lang kultiviert. Fünf Trabekel verblieben 21 Tage in Kultur. Die Kontraktionskraft nahm während der ersten Tage zunächst ab (von 1024±116 µN zu Beginn der Kultur auf 626±20 µN nach 6 Tagen), stabilisierte sich dann aber auf 754±88 µN und 1049±236 µN nach 12 bzw. 21 Tagen.
Nach sieben Tagen reagierten die Trabekel auf die kurzzeitige Zugabe des beta-Rezeptor Agonisten Isoprenalin wie erwartet mit einem Kraftanstieg sowie einer Verkürzung der Refraktärzeit und einer beschleunigten Relaxation. Die maximale Stimulationsfrequenz, der die Trabekel mit Kontraktionen folgen konnten, reichte von 180 min-1 bis 360 min-1 und änderte sich im Laufe der Kultur nicht. Ebenso war die Viabilität der Präparate nach zwölf Tagen in Kultur nicht signifikant verändert im Vergleich zu nicht-kultiviertem Gewebe.
Die Genexpression von Proteinen des L-Typ-Kalziumanals (CACNA1c) und von Connexin-43 (GJA1) war, im Vergleich zu nicht kultiviertem Gewebe, nach der Kultur unverändert. Andere Gene, beispielsweise die der intrazellulären Kalziumpumpe, SERCA (ATPA2) zeigten eine verminderte Expression. Die Analyse zweier Kaliumkanaluntereinheiten ergab eine Hoch- bzw. Herunterregulation für Kir2.1 (KCNJ2) bzw. Kir2.3(KCNJ4). Um mögliche Effekte dieser Veränderungen auf die elektromechanische Kopplung zu untersuchen, wurden zusätzliche Experimente durchgeführt, bei denen simultan zur Kontraktion das intrazelluläre Kalziumsignal registriert wurde. Hierbei zeigten die Trabekel auch nach 12 Tagen Kultur deutlich sichtbare Kalziumsignale und eine normale Reaktion auf beta-adrenerge Stimulation, d. h. eine deutliche Steigerung der Kalziumtransienten als auch der Kontraktionsamplituden. Die effektive Refraktärzeit, ein Indikator für die Aktionspotentialdauer, war nach 12 Tagen Kultur unverändert im Vergleich zum Beginn der Kultur, während eine Zugabe des Kaliumkanalblockers Dofetilid die Refraktärzeit deutlich verlängerte. Eine Analyse der Gewebeproben nach Immunfluoreszenzfärbung und konfokaler Mikroskopie ergab eine weitgehend unveränderte Zell- und Gewebestruktur, Gap-Junction-Verteilung und -Dichte. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es unter Kulturbedingungen zwar zu vorübergehenden funktionellen Einschränkungen kommt, diese sich jedoch nach circa zwei Wochen Kulturdauer wieder normalisieren. Die beschriebenen Kultur-induzierten Veränderungen der Genexpression scheinen daher unter den getesteten Bedingungen keine weitreichenden Effekte auf die Funktion der Trabekel zu haben.
Schlussfolgerung
Diese Studie demonstriert die stabile Langzeitkultur von menschlichem Vorhofmyokard und die Analyse von Struktur, Funktion und Genexpression sowie die Möglichkeit für Tests von pharmakologischen Substanzen. Daraus ergibt sich ein neues Modellsystem, mit welchem tierexperimentelle Ergebnisse überprüft oder Tierversuche ersetzt werden können, und mit dessen Hilfe wichtige Pathomechanismen erforscht werden können. Hier kommen zum Beispiel die Untersuchung von Ursachen für Fibrose und elektrophysiologischem Remodelling in Frage, welche eine wichtige Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von Vorhofflimmern spielen.
Literaturverweise
Fischer, C., Milting, H., Fein, E., Reiser, E., Lu, K., Seidel, T., Schinner, C., Schwarzmayr, T., Schramm, R.,Tomasi, R., Husse, B., Cao-Ehlker, X., Pohl, U., & Dendorfer, A. (2019). Long-term functional and structural preservation of precision-cut human myocardium under continuous electromechanical stimulation in vitro. Nature Communications, 10(1). https://doi.org/10.1038/s41467-018-08003-1
Klumm, M. J., Heim, C., Fiegle, D. J., Weyand, M., Volk, T., & Seidel, T. (2022). Long-Term Cultivation of Human Atrial Myocardium . In Frontiers in Physiology (Vol. 13). https://www.frontiersin.org/article/10.3389/fphys.2022.839139
Watson, S. A., Terracciano, C. M., & Perbellini, F. (2019). Myocardial Slices: an Intermediate Complexity Platform for Translational Cardiovascular Research. Cardiovascular Drugs and Therapy, 33(2), 239–244. https://doi.org/10.1007/s10557-019-06853-5
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