Wir schöpfen das Potential der translationalen Forschung in Deutschland nicht aus
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Statement Prof. Dr. Andreas Zeiher, zukünftiger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e. V., 25. April 2019
Grundlagenwissenschaftliche Erkenntnisse oder neue Devices in Therapien für unsere Patienten zu übertragen ist der Motor des medizinischen Fortschrittes und die Basis für eine Verbesserung der Patientenversorgung. Das translationale Potential sogenannter wissenschaftsgetriebener Studien kann in Deutschland allerdings nicht ausgeschöpft werden. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass wir bei den herausragenden publizierten Studien im klinischen Bereich im Vergleich zu Großbritannien, den Niederlanden und den USA leider keine Spitzenposition einnehmen, obwohl dies in der medizinische Versorgung, insbesondere in der Kardiologie, durchaus der Fall ist.
Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen mangelt es an Förderangeboten und -Instrumenten als wirksamen Anreiz, translationale Forschung zu betreiben. Zum anderen sind durch die Änderung des Medizinproduktegesetzes, speziell des § 137 h, der die Studiendurchführung regelt, die Hürden von regulatorischer Seite in Deutschland sehr hoch angesetzt worden. Wir beobachten, dass dadurch in Deutschland ein Standortnachteil im Vergleich zu anderen Ländern, auch innerhalb der EU, entstanden ist.
Es ist eine wichtige Aufgabe der DGK geworden, in diesem Bereich einerseits aufklärend tätig zu werden und andererseits Strukturen zu entwickeln, innerhalb derer eine erfolgreiche Translation weiterhin möglich ist. Einige Projekte haben wir zu diesem Zweck bereits begonnen. Hier ist beispielsweise die Einbeziehung des Innovationsfonds zu nennen, dessen Mittel zur Durchführung klinischer und Medizinprodukte-Studien genutzt werden können. Darüber hinaus sind wir bemüht, mittelfristig ein nationales Dialogforum zu etablieren, in dem Wissenschaftler, medizinische Fachgesellschaften, Vertreter der Pharma- und Medizinprodukte-Industrie, die Regulierungsbehörden und selbstverständlich auch die Patientenorganisationen vertreten sind. Ziel ist es, die Zusammenarbeit mit den Unternehmen, die neue Medikamente und Devices entwickeln und auf den deutschen Markt bringen möchten, effektiver zu gestalten, um die Durchführung der Zulassungsstudien zu erleichtern. Das dürfte dazu führen, dass wir eine schnellere Umsetzung von nachweisbar wirksamen Neuentwicklungen der Therapien in die Klinik erreichen können.
Im Moment beschäftigen wir uns in der Kardiologie mit zwei besonders interessanten translationalen Ansätzen, die ich Ihnen hier kurz vorstellen werde.
Spezifische antiinflammatorische Therapien sind in den letzten Jahren wieder verstärkt in unseren Fokus gerückt. Die Therapie mit Interleukin-1ß-blockierenden Antikörpern wurde in der CANTOS-Studie bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit mit Erfolg untersucht. Zwar ist der in dieser Studie getestete Wirkstoff Canakinumab für die klinische Anwendung in der Kardiologie nicht weiterentwickelt worden. Derzeit befindet sich mit Tocilizumab (Marktname RoActrema) allerdings ein weiteres Medikament zur spezifischen Hemmung von Entzündungsvorgängen in der Gefäßwand in einer Phase II-Studie.
Gerade in der Vorbeugung der Entstehung und Progression der Atherosklerose werden anti-inflammatorische Therapien künftig einen großen Stellenwert einnehmen. Wir haben die Beeinflussung von Risikofaktoren und deren Prävention wissenschaftlich verstanden und in Therapien umgesetzt. Jetzt müssen wir uns neuen Aspekten der Krankheitsmechanismen zuwenden, durch die die Entwicklung der Atherosklerose weiter beeinflusst werden kann.
Der zweite translationale Schwerpunkt sind Micro-RNAs (miRNAs), die schon länger im Fokus der Grundlagenforschung stehen. Micro-RNAs haben vielfältige Funktionen, die insbesondere unter Stressbedingungen oder im Krankheitsfall zum Tragen kommen. Dank miRNAs können Fehler oder zufällige Schwankungen bei der Genexpression abgefedert werden mit dem Vorteil, dass Zellen sich korrekt spezialisieren und ihre Eigenschaften bewahren. Da Herzerkrankungen in den seltensten Fällen monogenetisch bedingt sind, sondern polygenetisch, müssen wir in der Behandlung mehrere Gene beeinflussen. Hierfür bieten sich Micro-RNAs besonders gut an, da sie kein Gen komplett ausschalten, sondern eine sanfte Gentherapie durch Modulation ganzer Gen-Netz-Werke ermöglichen. Ein Großteil der häufigsten Herzerkrankungen werden im weitesten Sinne erst unter Stressbedingungen manifest und machen sich nachteilig bemerkbar, weswegen die miRNAs einen vielversprechenden Therapieansatz darstellen. Derzeit beginnen erste Phase-I-Studien zur Beinflussung von Gefäßneubildung oder Bindegewebseinlagerungen im Herzen mit spezifischen Hemmstoffen für ausgewählte microRNAs. Schließlich bleibt weiterhin eine Zukunftsvision der kardiologischen Forschung, die Regeneration von Herzmuskelzellen und Herzgewebe zu ermöglichen, wofür wir bisher trotz intensiver Forschung keine Lösung gefunden haben. Wir wissen zwar, dass sich Herzmuskelzellen erneuern können, aber noch nicht, wie wir diese Funktion bei erwachsenen oder älteren Menschen einsetzen können. Dies wäre besonders für die Behandlung der Herzinsuffizienz von bahnbrechender Bedeutung, da wir bei diesen Patienten dringend pumpfähige Herzmuskelzellen wiederherstellen müssen. RNA-Therapeutika können möglicherweise ein Türöffner auf diesem Weg sein, zumindest in einem ersten Schritt.