Wie Biomarker die kardiologische Praxis verändern: Diagnostisches Potenzial von Troponin noch nicht ausgeschöpft
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Statement Prof. Dr. Hugo Katus, Universitätsklinikum Heidelberg, zukünftiger Präsident (oder „Mitglied des geschäftsführenden Präsidiums“) der DGK
DGK-Jahrespressekonferenz, Mittwoch 5. Oktober 2016
Es liegen immer mehr Daten vor, die zeigen, welchen Wert Biomarker für die kardiologische Praxis entfalten können, wenn sie mit höchster Spezifität und Sensitivität eine Schädigung des Herzmuskels anzeigen. Der Biomarker Troponin, der als eine Methode zur Verbesserung der Herzinfarktdiagnostik startete, hat zu einem regelrechten Paradigmenwechsel in der Herzmedizin geführt. Neue Daten zeigen, dass sein diagnostisches Potential noch nicht ausgeschöpft ist.
Troponin verändert die Herzmedizin
Biomarker sind körpereigene Moleküle, zum Beispiel Proteine, Peptide, Metabolite oder Chemokine, die
- im Rahmen eines Krankheitsprozesses vermehrt gebildet werden, zum Beispiel Herzinsuffizienzmarker;
- im Rahmen eines Krankheitsprozesses neu entstehen, zum Beispiel Tumormarker; oder
- durch Schädigung der Zellmembran aus Zellen freigesetzt werden, zum Beispiel Infarktmarker.
Biomarker können also – sofern sie spezifisch einen Krankheitsprozess anzeigen und Testsysteme mit ausreichender analytischer Qualität verfügbar sind – sowohl als Diagnostikum für das Vorliegen von Erkrankungen angewendet werden als auch als Prognoseindikatoren den Verlauf bzw. die Schwere einer Erkrankung widerspiegeln.
Der Biomarker Troponin (T und I) hat weltweit die Praxis in der Herzmedizin verändert, ist heute fester Bestandteil der Leitlinien und gilt als Paradebeispiel dafür, was Biomarker leisten können. Seit ich mit meinen Mitarbeitern 1987 den Troponin T Assay erfunden und entwickelt habe, wurden die Testsysteme kontinuierlich verbessert. Durch neueste Entwicklungen und weiter optimierte Testsysteme können die Troponine nun mit sehr hoher Empfindlichkeit im Blut nachgewiesen werden. Diese hochsensitiven Tests eröffnen eine neue Dimension in der Erkennung von Krankheits- und Umbauprozessen des Herzens und haben nachhaltig die Diagnostik des Herzinfarkts und der Herzmuskelschädigungen verändert.
Fortschritt 1: Noch schnellerer Ausschluss eines Herzinfarkts
Mit den hochsensitiven Assays können jetzt Blutwerte von Troponin T und I unterhalb der bisher genutzten Grenzwerte – also im sogenannten Normalbereich – gemessen werden. Überzeugende Daten aus mehreren großen neueren Studien belegen nun, dass die Beurteilung von Troponinwerten, die sich noch im Normalbereich bewegen, die Triage von Patienten mit Herzinfarktverdacht erheblich beschleunigt.
Werden bei Patienten mit Herzinfarktverdacht sowohl bei der Aufnahmetestung wie auch bei der Kontrolle nach einer Stunde Werte von Troponin im unteren Normbereich gefunden (für Troponin T <5ng/L), kann bereits nach dieser kurzen Beobachtungszeit ein akuter Herzinfarkt mit hoher Sicherheit (negativer prädiktiver Wert 99.7- 100%) ausgeschlossen werden. Durch diesen diagnostischen Ein-Stunden-Algorithmus können je nach Population 25 bis 40 Prozent aller Patienten mit akutem Brustschmerz innerhalb einer Stunde mit der Diagnose Infarktausschluss von der Notaufnahme entlassen werden. Diese Patienten mit Thoraxschmerz, aber Werten von Troponin T oder I im unteren Normbereich, haben auch kurz- und mittelfristig ein sehr niedriges kardiales Risiko: Ihre Mortalität in den nächsten 30 Tagen, sechs Monaten und zwei Jahren liegt bei 0,1, 0,8 und 1,2 Prozent.
Diese neuen Befunde haben zu einer Änderung der Leilinien „Akutes Koronarsyndrom und NSTEMI“ geführt. Die neuen Leitlinien erlauben nunmehr die Verwendung des Ein-Stunden-Algorithmus zum Infarktausschluss. Allerdings gilt diese Empfehlung nur für hochsensitive Troponin-Assays wie den hsTroponin T-Elecsys; Troponin I Architect und Troponin I Dimension Vista.
Die Daten aus diesen Studien belegen allerdings auch, dass bei Patienten mit Infarktverdacht nicht nur ein eindeutig erhöhter Troponinwert über dem empfohlenen oberen Normwert (für Troponin T >14ng/L), sondern auch schon messbare Troponinwerte im oberen Normbereich (für Troponin T 6 bis 12ng/L), unabhängig von der Entlassungsdiagnose, mit einem deutlich erhöhten kardialen Risiko assoziiert sind: Die Mortalität nach zwei Jahren beträgt bei ihnen 15 Prozent gegenüber 1,2 Prozent bei niedrigen Troponinwerten. Dies bestätigt die faszinierenden Befunde aus früheren Untersuchungen. Demnach ist jede Freisetzung von Troponin bei Patienten mit Thoraxschmerz – unabhängig davon, ob EKG-Veränderungen vorliegen oder nicht – ein schlechtes Zeichen, erkennbar an der eindeutig reduzierten Lebenserwartung der betroffenen Patienten.
Unverändert Bestand haben aber die Befunde, dass die Patienten mit einem Troponinwert über dem etablierten und empfohlenen Diskriminatorwert (für Troponin T >14ng/L) eine hohe Herzinfarktrate und schlechte Prognose aufweisen, mit einer Mortalität von 2,7 Prozent nach 30 Tagen und 13 Prozent nach zwei Jahren. Diese troponinpositiven NSTEMI-Patienten profitieren von einer Koronarintervention, die Risikoreduktion für Tod und Myokardinfarkt durch die Behandlung nach einem Jahr beträgt 39 Prozent. Patienten mit instabiler Angina, also nicht erhöhten Troponinwerten, erleiden hingegen durch die Koronarintervention sogar mehr Infarkte (Risikoreduktion 2,23).
Fortschritt 2: Mehr Herzinfarkt-Diagnosen – auch bei Patienten ohne kritische Verengung an den Herzkranzgefäßen
Durch die hochsensitiven Troponin-Tests werden bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom um 20 Prozent mehr Fälle von Herzinfarkt und entsprechend weniger Fälle von instabiler Angina diagnostiziert als mit den normalen Troponin-Tests. Die nur durch die hochsensitiven Troponine entdeckten Mikroinfarkte sind riskant und müssen entsprechend behandelt werden.
Wie in der PLATO-Studie und anderen Studien gezeigt, profitieren die Patienten auch bei sehr geringer Myokardschädigung von einer aggressiveren Plättchenhemmung, zum Beispiel mit Ticagrelor, und einer Koronarintervention, da sowohl die Überlebensrate als auch die Herzinfarktrate signifikant verbessert werden kann. Die positiven Effekte der leitlinienkonformen Therapie waren bei den Patienten mit Mikroinfarkt ganz vergleichbar zur Wirksamkeit bei Patienten mit großen transmuralen Herzinfarkt (STEMI).
Allerdings können die hochsensitiven Tests auch zur Verwirrung beitragen. Bei 20 bis 30 Prozent der Herzinfarktpatienten, die auf Basis der gängigen Infarktkriterien – also typische zeitabhängige Veränderungen der Troponinwerte im Blut und Ischämiezeichen im EKG und/oder Symptome – diagnostiziert werden, finden sich überraschenderweise in der akut durchgeführten Herzkatheter-Untersuchung an den Herzkranzgefäßen weder kritische Stenosen noch Verschlüsse.
Wird kein okkludierender Thrombus als Infarktursache gefunden, so wird dies heute als Typ 2-Myokardinfarkt klassifiziert. Typ 2-Myokardinfarkte finden sich sehr häufig bei kritisch kranken Patienten auf der Intensivstation und stellen die Ärzte in der Indikationsstellung zur unmittelbaren Koronarangiographie vor erhebliche Herausforderungen. Die Ursache der Herzmuskelnekrose bei diesen Patienten wird durch ein Missverhältnis von Blutfluss und Bedarf erklärt, zum Beispiel durch eine Tachykardie, Anämie, Blutdruckabfall und Sepsis bei nicht kritischer koronarer Herzkrankheit. Die Prognose dieser Patienten mit Typ 2-Infarkt ist deutlich schlechter als die von Patienten mit einem typischen, durch okkludierenden Thrombus verursachten, Typ 1-Infarkt: Die Ein-Jahresüberlebensrate liegt bei 12 versus 23 Prozent, die Zwei-Jahresüberlebensrate bei 25 versus 48 Prozent. Leider gibt es bis heute noch keine standardisierten Therapieempfehlungen für die Typ 2-Herzinfarkte, die mit den neuen Troponin-Tests sehr häufig diagnostiziert werden.
Fortschritt 3: Erhöhte Troponin-Werte ohne Herzinfarkt zeigen Myokardschaden an
Da Troponin (T und I) durch jede Form der Herzmuskelschädigung freigesetzt werden kann, gibt es auch Troponin-Erhöhungen, die nicht durch einen Herzinfarkt entstehen, sondern unter Umständen durch Membranlecks nach nicht ischämischen Zellschäden. Häufig findet sich bei diesen Patienten keine eindeutige zeitabhängige Konzentrationsveränderung von Troponin im Blut, sondern eine nahezu konstante Erhöhung des Troponin über lange Zeiträume. Die Diagnose Myokardschaden ist sehr wichtig, da sie mit einem hohen kardialen Risiko vergesellschaftet ist.
Ein Myokardschaden kann bei unterschiedlichen Patientengruppen diagnostiziert werden:
- Patienten mit akuter kardialer Schädigung: Bei Patienten mit unterschiedlichen akuten nicht-ischämischen kardialen Erkrankungen wie Myokarditis, kardiotoxischer Myokardschädigung, akuter Rechtsherzbelastung bei Lungenembolie, Linksherzversagen mit Lungenödem, etc. sind die Troponine zuverlässige Indikatoren für das Ausmaß der kardialen Schädigung und das kurz- und mittelfristige Risiko.
- Patienten mit chronischer kardialer Erkrankung: Auch bei Patienten mit vermeintlich stabiler chronischen kardialer Erkrankungen wie einer chronischen Herzinsuffizienz, stabilen koronaren Herzkrankheit, chronischem Vorhofflimmern oder kompensierten Herzklappenerkrankungen finden sich bei 20 bis 30 Prozent Troponin-Erhöhungen im Blut ohne sonstigen klinischen Hinweis für einen akuten Herzinfarkt oder akute Schädigung. Die troponinpositiven Patienten mit chronischen kardialen Erkrankungen haben eine deutlich erhöhte kardiale Ereignisrate: In der PEACE-Studie lag bei stabiler koronarer Herzkrankheit die Mortalität nach sechs Jahren im Quartil 1 verglichen mit Quartil 4 bei einem versus 8,3 Prozent. Bei Vorhofflimmern in der ARISTOTLE-Studie zeigte der Mortalitätsvergleich zwischen Quartil 1 und 4 nach einem Jahr 1,34 versus 7,9 Prozent. Bei Herzinsuffizienz zeigte die ValHeFT-Studie 5,4 versus 16,1 Prozent Mortalität pro 100 Personenjahre. Es gibt nun interessante Befunde, die die Ursache der erhöhten Troponin-Werte bei Patienten mit chronischen kardialen Erkrankungen erklären können. In Populationsstudien wie zum Beispiel der Heart&Soul-Studie und bei Patienten mit Herzinsuffizienz und Kardiomyopathie konnte eine eindeutige Korrelation der Troponin-Werte mit der linksventrikulären Wandhypertrophie, den Volumina der Herzkammern und der linksventrikulären Pumpfunktion nachgewiesen werden. Die Troponin-Werte bei Patienten mit akuter oder chronischer Herzinsuffizienz korrelieren – vergleichbar den natriuretischen Peptiden – mit der Mortalität und der Hospitalisierungsrate wegen Herzinsuffizienz. Eine erfolgreiche Behandlung der Herzinsuffizienz durch Medikamente, zum Beispiel durch ARNI in der PARAMOUNT-Studie oder mittels MitraClip, führten zu einer signifikanten Reduktion der Troponin-Werte im Blut. Während diese Daten den Wert von hochsensitivem Troponin als Indikator des ventrikulären Remodelings zeigen, finden sich weitere interessante Befunde, wonach hochsensitive Troponinmessungen auch das vaskuläre Remodeling widerspiegeln können. In der PEACE Studie, in die679 Patienten mit stabiler Angina pectoris und erhaltener Ventrikelfunktion eingeschlossen wurden, war Troponin T bei 21 Prozent erhöht. Patienten im höchsten Quartil der Troponin-Werte im Blut hatten wie oben erwähnt eine sechsfach höhere Mortalität nach sechs Jahren als Patienten im niedrigsten Troponin-Quartil. In weiteren Studien konnte durch intrakoronare IVUS und OCT-Untersuchungen bei Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit belegt werden, dass die Blutwerte von Troponin mit der durch IVUS oder OCT gemessenen Plaque-Last – also dem Ausmaß der Arteriosklerose – korrelieren. Durch Untersuchungen mit dem Koronar-CT konnten wir zeigen, dass die Troponin-Werte nicht nur mit dem Ausmaß der KHK, sondern auch mit den Plaque-Charakteristika korrelieren. Troponin-Erhöhungen wurden vor allem bei den Patienten mit weichen und rupturierten Plaques – also bei Patienten mit instabilen Läsionen – beobachtet. In der Jupiter-Studie konnte gezeigt werden, dass eine konsequente LDL-Senkung mit Rosuvastatin zu einer signifikanten Reduktion der Troponin-Werte führt. Zusammenfassend zeigen diese Daten, dass Troponinmessungen bei Patienten mit chronischen aber vermeintlich stabilen kardialen Erkrankungen das ventrikuläre und vaskuläre Remodeling widerspiegeln und mit einer hohen kardialen Ereignisrate assoziiert sind. Dies eröffnet neue Möglichkeiten in der Risikostratifizierung und Therapiekontrolle.
- Myokardschädigung bei Patienten mit akuten oder chronischen nicht–kardialen Erkrankungen: Durch die hochsensitiven Testsysteme für Troponin werden inzwischen erhöhte Troponinspiegel auch bei Myokardschädigungen in Folge unterschiedlicher nicht-kardialer akuter oder chronischer Erkrankungen wie Pneumonie, COPD, Niereninsuffizienz, Lungenhochdruck, Chemotherapie oder Vasculitis-Syndromen beobachtet. Diese persistierenden Troponin-Erhöhungen zeigen eine begleitende kardiale Schädigung bei systemischer nicht-kardialer Erkrankung und Umbauprozesse des Herzens bei chronischen nicht primär kardialen Erkrankungen an. Unabhängig von der Ursache der Herzmuskelschädigung ist eine Beteiligung des Herzens, erkennbar an den Troponinerhöhungen im Blut, regelhaft mit einer erhöhten Mortalität von bis zu 40 Prozent im ersten Jahr assoziiert.
- Risikostratifizierung von Populationen: Da die Troponin-Werte im Blut sich abhängig von Umbauprozessen im Herzen und abhängig von Herzmuskelschäden verändern, verwundert es nicht, dass in allen Untersuchungen an Risikopopulationen (zum Beispiel der ARIC- oder Dallas Heart-Studie) oder an vermeintlich gesunden Populationen (zum Beispiel Framingham, RanchoBernado, AGES-Reykavik, etc.) die Troponin-Werte im Blut hervorragende Prädiktoren für das kardiovaskuläre Risiko und Überlebensrate waren. Die prädiktive Wertigkeit von Troponin blieb auch nach Adjustierung für die klinisch etablierten Risikofaktoren bestehen.
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