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Covid-19 Pandemie − Auswirkungen auf das Verhalten von Patientinnen und Patienten mit schweren Herzkrankheiten

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Pressetext als PDF - gegebenenfalls mit Bildmaterial

Dr. Ursula Wilkenshoff und PD Dr. Ute Seeland, Berlin 

Hintergrund
Studien zum Einfluss der COVID-19 Pandemie auf die öffentliche Gesundheit sind für die Interessensvertretungen des Gesundheitssystems von großer Bedeutung, um vulnerable Gruppen bestmöglich schützen zu können.

Es ist bekannt, dass Patient*innen mit Herzkrankheiten aus Angst vor Ansteckung während der Covid-19-Pandemie nur zögerlich die notwendige medizinische Hilfe suchten und in Anspruch nahmen. Dieses Verhalten könnte mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität assoziiert sein und mit steigenden Gesundheitskosten durch umfangreichere therapeutische Maßnahmen, die sich durch die Progredienz der Erkrankung bei einer zeitlich verzögerten Vorstellung ergeben.

Die Kenntnis über besonders vulnerable Gruppen während einer Pandemie könnte nützlich sein, um Strategie-Planungen im Rahmen des Krankenhausmanagements anzupassen.

Ziel der Studie
Die Studie untersucht Veränderungen im Verhalten von Frauen und Männern mit schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen hinsichtlich der Inanspruchnahme von medizinischer Hilfe vor und während des COVID-19 Lockdowns.

Zusätzlich wird das Verhalten der Ärzt*innen bezogen auf die Empfehlungen zur Therapie für die drei größten Gruppen, Patient*innen mit schwerer Aortenklappenstenose, Mitralklappeninsuffizienz Grad 3 (3-Grad Einteilung) und schwerer koronarer Herzerkrankung erfasst.

Methode
Retrospektive Analyse von 728 Datensätzen, die vom 22. März 2019 bis 22. März 2021 in einer kardiologischen Abteilung einer deutschen Universitätsklinik während der Herz Team Sitzungen (HTS) erhoben worden sind. Der Daten von diesen Patient*innen mit schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen wurden systematisch nach Anzahl, Alter, Geschlecht, Art der Herzerkrankung und empfohlenem Behandlungsverfahren erfasst. Die Kontaktbeschränkung („Lockdown“ ld) begann am 22. März 2020. Die Patienten*innen, die in den HTS ein Jahr vor dem Lockdown besprochen worden sind, werden mit den Patienten*innen über ein Jahr verglichen, die während des Lockdowns medizinische Hilfe suchten und in den HTS vorgestellt wurden.

Ergebnisse
Für 728 Patient*innen (38 % Frauen (F), Alter 76 ± 10 Jahre; Männer (M) 73 ± 11 Jahre) lagen vollständige Datensätze vor.

Die Art der Herzerkrankungen, die in den HTS vorgestellt wurden, waren in 39.3 % (n= 286) aller Fälle Aortenklappenstenosen (F= 110 < M= 176; vor ld: F= 53 < M= 97, im Ld w F 57 < M= 79), 22.5 % (n= 164) koronare Herzkrankheiten (KHK; F= 42 < M= 122; vor ld F= 21 < M= 62; im Ld F= 21 < M= 60; n. s.) und 22.1 % (n= 161) Mitralklappeninsuffizienzen (F= 82 > M= 79; vor ld: F= 45, M= 45; im ld F= 37, M= 34; n.s.) Während des lds wurden interventionelle Verfahren (PCI) signifikant häufiger bei F angewendet als vor dem ld verglichen mit koronaren Bypass-Operationen (p=0.043). Auf Männer traf das nicht zu. 

Zusammenfassung

  • In den Herz-Team Sitzungen (HTS) wurden insgesamt weniger Frauen als Männer mit schweren Herzerkrankungen besprochen: vor dem Lockdown 37 % Frauen im Vergleich zu 63 % Männern, während des Lockdown 40 %Frauen im Vergleich zu 60 % Männern.
  • Während des Lockdowns sank die Anzahl der männlichen Patienten um 23 %, doppelt so hoch im Vergleich zur Anzahl der Patientinnen, die um 11 % sank.
  • Stärkster Rückgang während des Lockdowns wurde bei Männern mit schwerer Aortenklappenstenose beobachtet, gefolgt von beiden Geschlechtern mit schwerer Mitralklappeninsuffizienz.
  • Die Anzahl von Patientinnen und Patienten mit schwerer koronarer Herzerkrankung unterschied sich nicht vor und während des Lockdowns, jedoch unterschieden sich die Empfehlungen zu den Behandlungsverfahren mit mehr interventionellen Prozeduren (PCIs) und entsprechend weniger Bypass Operationen für Frauen. Bei den Männern unterschieden sich die Empfehlungen nicht.

Schlussfolgerung
Zu den vulnerablen Gruppen in der Zeit des COVID-19 Lockdowns gehörten Männer mit schwerer Aortenklappenstenose und beide Geschlechter mit schwerer Mitralklappeninsuffizienz. Ein verändertes Verhalten bzgl. der Behandlungsempfehlung während des Lockdowns war zu beobachten für Frauen mit schwerer koronarer Herzerkrankung.  Bei Frauen wurde häufiger eine interventionelle Therapie (PCI) und seltener eine Bypass Operation empfohlen.

Aus geschlechtersensibler Sicht ergibt sich die Frage nach den Ursachen für das unterschiedliche Verhalten von Frauen und Männern mit schwerer Aortenklappenstenose medizinische Hilfe zu suchen und für die Rationale während des Lockdowns Frauen mit KHK häufiger eine PCI als eine Bypass Operation anzubieten.

 Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz und Kreislaufforschung e.V. (DGK) mit Sitz in Düsseldorf ist eine gemeinnützige wissenschaftlich medizinische Fachgesellschaft mit fast 11.000 Mitgliedern. Sie ist die älteste und größte kardiologische Gesellschaft in Europa. Ihr Ziel ist die Förderung der Wissenschaft auf dem Gebiet der kardiovaskulären Erkrankungen, die Ausrichtung von Tagungen die Aus-, Weiter- und Fortbildung ihrer Mitglieder und die Erstellung von Leitlinien. Weitere Informationen unter www.dgk.org