Myokardinfarkt-Häufigkeit im 8-Jahresvergleich – Verschiebung zu höherem Lebensalter als Hinweis auf intensivierte präventive Therapie
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Dr. Hartmut Seyfert, Dietrich Bonhoeffer Klinikum Neubrandenburg
Einleitung
Führende Todesursache sind in Deutschland Herz- und Kreislauferkrankungen mit rückläufiger Tendenz; altersstandardisiert waren dies 641 Todesfälle/100 000 in 1980 und 623/100 000 im Jahr 1995. [1], [2]. Wir gingen der Frage nach, wie sich die Häufigkeit des Myokardinfarktes in Abhängigkeit vom Lebensalter im Zeitraum von 2002 bis 2008 und 2009 bis 2017 bei Patienten mit erstmaliger Präsentation wegen akutem Myokardinfarkt entwickelte. Dabei nahmen wir an, dass eine Verschiebung zu höherem Lebensalter Ausdruck einer intensivierten präventiven Therapie kardiovaskulärer Risikofaktoren und zu jüngerem Alter unzureichender Primärprävention sein dürfte. Diese Annahmen stützt sich auf entsprechende Ergebnisse aus dem Bereich der Diabetologie mit Nachweis einer reduzierten Diabetesinzidenz unter präventiver Therapie [3], [4], [5], [6] als auch einem verringerten kardiovaskulären Risiko unter Lebensstilmodifikation oder medikamentöser Intervention. [7], [8], [9]
9323 Patienten in die Analyse eingeschlossen
Mit Beginn des 2. Quartal 2002 legten wir ein anonymisiertes PTCA-Register (all comers) an. Erfasst wurden Alter, Geschlecht, Anamnese bzgl. Koronarinterventionen einschließlich aorto-koronarer Bypassoperation sowie kardiovaskuläre Risikofaktoren als auch Laborparameter, u. a. Lipidstatus, Blutzucker, Nierenfunktion. Insgesamt wurden 9323 Patienten im Gesamtzeitraum interventionell behandelt, 8642 mit erstmaliger Präsentation und 4347 mit akutem Myokardinfarkt. Für die vorliegende Untersuchung wurden Alter, Behandlungszeitraum (2002 – 2009 vs. 2010 – 2017) sowie Geschlecht herangezogen.
Mehr Infarkte treten später auf
Der Altersmedian stieg im Beobachtungszeitraum um 1 Jahr von 68 auf 69 Jahre (p < 0,004) an, vor allem verschob sich jedoch der Häufigkeitsgipfel des Myokardinfarktes im Gesamtkollektiv um 8 Jahre (Abb. 1). Während bei den Frauen ein deutlicher Anstieg des Häufigkeitsmaximums auf das Intervall zwischen 76. und 84. Lebensjahr zu beobachten war, fand sich bei den Männern ein weniger ausgeprägter Anstieg mit Häufigkeitsgipfel zwischen dem 68. bis 76. Lebensjahr (Abb. 2). Die Betrachtung nach Geschlecht (Abb. 3) zeigt diese unterschiedliche Dynamik zwischen Männern und Frauen nochmals deutlich. Ferner wird erkennbar, dass neben um 8 Jahre früheren Altersgipfel bei den Männern ab dem 52. Lebensjahr eine nahezu konstante bis leicht steigende altersabhängige Myokardinfarktfrequenz zu beobachten ist.
Verschiebung vermutlich durch intensivierte Prävention zu erklären
Die sich im zeitlichen Verlauf zum höheren Lebensalter verschiebende Infarktfrequenz dürfte Ausdruck einer intensivierten Präventionstherapie kardiovaskulärer Risikofaktoren darstellen. Daten aus großen randomisierten Studien bezüglich der lipidsenkenden Therapie mit Statinen belegen eine Reduktion des kardiovaskulären Risikos um 25% bei Absenkung des LDL-Cholesterins je mmol/l je Jahr bei Fortführung der Therapie [10]. Sie unterstreichen auch die Wirksamkeit der Statin-Therapie zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos [11], [12], [13]. Neben der lipidsenkenden Therapie führt eine blutdruckreduzierende Intervention zu einer Reduktion des kardiovaskulären Risikos, wie u. a. [14, 15 und 16] zeigten.
Zwar lagen für das von uns behandelte Kollektiv keine detaillierten Daten bezüglich der medikamentösen Therapie vor. Jedoch sprechen die Zahlen aus [1] dafür, dass die medikamentöse Therapie im Laufe der Zeit intensiviert wurde. Nach [1] stieg die täglich verordnete definierte Dosis antihypertensiver Medikamente in Deutschland zwischen 2000 und 2013 je 1000 Personen pro Tag von 250 knapp auf 600 und bei Lipid-senkenden Medikamenten von täglich 20 auf über 70 je 1000 Personen an, so dass die Annahme eines entsprechenden Therapie-Effektes in der von uns untersuchten Population nicht unbegründet sein dürfte.
Weitere Bemühungen zur Reduktion der Infraktfrequenz sind notwendig
Wir möchten aufgrund der von uns erhobenen Daten den Anstieg der Altersfrequenz des Myokardinfarktes als Folge einer zunehmend intensivierte Therapie kardiovaskulärer Risikofaktoren bei der von uns untersuchten Population ansehen. Vermehrte Bemühungen zur Reduktion der bei den Männern früh einsetzenden und bis zur 7. Lebensdekade nahezu konstanten Infarktfrequenz sind notwendig. Die bei Männern vs. Frauen deutlich früher auftretenden Infarktfrequenz widerspiegelt das erhöhte Risikoprofil der männlichen Patienten. [17, 18, 19] Sekundärpräventive Maßnahmen allein sind unzureichend, um die früh auftretende Infarktmanifestation zu durchbrechen, insbesondere aufgrund der zunehmenden Adipositas- (12,9% 2003 vs. 15,3% 2013) [20], als auch der Diabetes-Prävalenz [21]. Der rückläufige Nikotinkonsum in Deutschland zwischen 1991 und 2016 ist jedoch ein ermutigendes Zeichen. [19]
Literatur
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[19] Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Journal of Health Monitoring 2/2017. RKI, Berlin
[20] Mikrozensus 2004 und 2014. https://www.destatis.de
[21] Deutscher Gesundheitsbericht. Diabetes 2019. https://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de