TAVI: Was nützt ein Altersgrenzwert? Der Einfluss des Alters gegenüber Komorbiditäten auf das Überleben nach transfemoraler Transkatheter-Aortenklappenimplantation
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Dr. Laura Hannen und PD Dr. Niklas Schofer, Hamburg
Hintergrund
Die Transkatheter-Aortenklappenimplantation („transcatheter aortic valve implantation“ [TAVI]) hat sich über die letzten zwei Jahrzehnte von einer „bail-out“-Option hin zum gängigsten Verfahren zur Behandlung von Patient:innen mit Aortenklappenstenose in Europa und Nordamerika entwickelt. Tatsächlich empfehlen die aktuellen europäischen Leitlinien [1] eine transfemorale TAVI zur Behandlung der hochgradigen, symptomatischen Aortenklappenstenose für alle ≥75-Jährigen sofern diese hierfür anatomisch geeignet sind (Klasse IA). Für Patient:innen <75 Jahre mit niedrigem operativen Risiko bleibt dagegen auch nach den aktuellen Leitlinien ein operativer Aortenklappenersatz (AKE) das empfohlene Standardverfahren [1]. Bei der Anwendung dieses arbiträren Altersgrenzwertes in den Leitlinien spielt die noch unsichere Datenlage im Hinblick auf die Langzeithaltbarkeit der Transkatheter-Klappenpothesen vor dem Hintergrund der zu erwartenden Lebenserwartung der Patient:innen die mutmaßlich tragende Rolle. Allerdings lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt aus der Vielzahl an randomisiert-kontrollierten Studien, die seit der ersten TAVI im Jahr 2002 das Behandlungsresultat nach TAVI und AKE verglichen haben, über einen Nachbeobachtungszeitraum von bis zu 8 Jahren keine Unterlegenheit des TAVI-Verfahrens ableiten [2-8]. In den zuletzt groß angelegten Untersuchungen im operativen Niedrig-Risiko-Kollektiv lag dabei das mittlere Alter der in diese Studien eingeschlossenen Patient:innen interessanterweise unter 75 Jahren [4, 7].
Ziel
Ziel der vorliegenden Studie war es, den prognostischen Einfluss des Alters im Vergleich zu den vorhandenen klinischen Patientencharakteristika in einem großen TAVI-Kollektiv zu untersuchen.
Methoden
Im Rahmen einer mononzentrischen, prospektiven Langzeitstudie analysierten wir Daten von insgesamt 4.278 Patient:innen, bei den zwischen 2008 und 2022 im Universitären Herz- und Gefäßzentrum Hamburg Eppendorf eine TAVI erfolgte. In die finale Analyse wurden ausschließlich Patient:innen mit isolierter, symptomatischer Aortenklappenstenose, die mittels transfemoraler TAVI versorgt wurden, eingeschlossen (Ausschluss von nicht-transfemoralem Zugangsweg, konkomitierenden, hochgradigen Klappenvitien, Valve-in-Valve Prozeduren, asymptomatischen Patient:innen). Im Rahmen unserer Analysen bestimmten wir unabhängige Prädiktoren für die Gesamtmortalität nach TAVI. Auf der Basis dieser Ergebnisse wurde ein komorbides Risikoprofil durch das Vorhandensein mindestens eines unabhängigen Risikofaktors definiert. Anhand von Kaplan-Meier Kurven wurde die Gesamtmortalität nach drei Jahren für junge Patient:innen (<75 Jahre) sowie für ältere Patient:innen (≥75 Jahre) als auch für komorbide und nicht-komorbide Patient:innen ermittelt.
Ergebnisse
Nach Anwendung der Einschlusskriterien wurden Daten von insgesamt 1.620 Patient:innen, die eine transfemorale TAVI erhielten, für die finale Analyse verwandt. Dabei waren 19% jünger als 75 Jahre (N=302) und 81% entsprechend 75 Jahre oder älter (N=1.318). Im Gegensatz zum Alter wiesen männliches Geschlecht, Vorhofflimmern, Vorhandensein einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) und einer chronischen Niereninsuffizienz nach multivariabler Analyse eine unabhängige Assozitation mit Gesamtmortalität auf und wurden somit als Risikofaktoren definiert. Insgesamt lag bei 64% aller eingeschlossenen Patient:innen mindestens ein Risikofaktor vor (komorbide Kohorte). Während unsere Analysen keinen signifikanten Unterschied in der Gesamtmortaliät zwischen Patient:innen jünger oder älter als 75 Jahre innerhalb der ersten drei Jahre nach TAVI ergaben (Abbildung 1A), zeigte sich eine signifikant höhere 3-Jahres-Mortalität in der komorbiden im Vergleich zur nicht-komorbiden Kohorte (Abbildung 1B). Darüberhinaus zeigte sich kein Unterschied in der 3-Jahres-Sterblichkeit im Vergleich von nicht-komorbiden jungen Patient:innen zu nicht-komorbiden älteren Patient:innen. Jedoch wiesen komorbide junge Patient:innen eine signifikant höhere Mortalitätsrate nach drei Jahren gegenüber nicht-komorbiden älteren Patient:innen (Abbildung 1C) auf.
Zusammenfassung
In dieser prospektiven Langzeitstudie von TAVI-Patient:innen wies das Alter alleine über einen dreijährigen Nachbeobachtungszeitraum keine Assoziation mit der Gesamtmortalität auf. Im Gegensatz dazu ließ sich die Sterblichkeit nach TAVI anhand von klinischen Risikofaktoren vorhersagen. Auch in der nicht-komorbiden TAVI-Kohorte zeigte sich kein Unterscheid im 3-Jahres-Überleben nach TAVI zwischen Patient:innen < oder ≥75 Jahren.
Fazit
Unsere Ergebnisse zeigen, dass mit Blick auf das Überleben nach TAVI klinische Risikofaktoren eine größere Rolle als das alleinige Patientenalter spielen. Anhand des in den europäischen Leitlinien postulierten Altersgrenzwert von 75 Jahren lässt sich innerhalb einer TAVI-Kohorte kein Unterschied im mittelfristigen Überleben erkennen. Für Patient:innen mit hochgradiger, symptomatischer Aortenklappenstenose unterstreichen die vorliegenden Resultate die Bedeutung einer Risikoabschätzung auf individueller Patientenebene anstatt eines streng auf Altersgrenzen basierenden Vorgehens.
Anhang
- Vahanian, A., et al., 2021 ESC/EACTS Guidelines for the management of valvular heart disease. Eur J Cardiothorac Surg, 2021. 60(4): p. 727-800.
- Smith, C.R., et al., Transcatheter versus surgical aortic-valve replacement in high-risk patients. N Engl J Med, 2011. 364(23): p. 2187-98.
- Leon, M.B., et al., Transcatheter or Surgical Aortic-Valve Replacement in Intermediate-Risk Patients. N Engl J Med, 2016. 374(17): p. 1609-20.
- Mack, M.J., et al., Transcatheter Aortic-Valve Replacement with a Balloon-Expandable Valve in Low-Risk Patients. N Engl J Med, 2019. 380(18): p. 1695-1705.
- Reardon, M.J., et al., Surgical or Transcatheter Aortic-Valve Replacement in Intermediate-Risk Patients. N Engl J Med, 2017. 376(14): p. 1321-1331.
- Adams, D.H., et al., Transcatheter aortic-valve replacement with a self-expanding prosthesis. N Engl J Med, 2014. 370(19): p. 1790-8.
- Popma, J.J., et al., Transcatheter Aortic-Valve Replacement with a Self-Expanding Valve in Low-Risk Patients. N Engl J Med, 2019. 380(18): p. 1706-1715.
- Investigators, U.T.T., et al., Effect of Transcatheter Aortic Valve Implantation vs Surgical Aortic Valve Replacement on All-Cause Mortality in Patients With Aortic Stenosis: A Randomized Clinical Trial. JAMA, 2022. 327(19): p. 1875-1887.
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