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Sind die Tage von Implantierbaren Defibrillatoren (ICD) bei Herzinsuffizienz gezählt?

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Zusammenfassung des Vortrags von Dr. Carsten Israel, Bielefeld

Wir haben in der Kardiologie immer bessere Möglichkeiten, eine schwere Herzinsuffizienz (HI) zu therapieren und sind insbesondere mit der interventionellen und medikamentösen Behandlung in den letzten Jahren sehr erfolgreich geworden. Wir können bei Patient:innen nach einem Herzinfarkt immer als Notfalleingriff versuchen, die Gefäße durch perkutane Koronarintervention (PCI) zu weiten, wodurch es immer seltener zur Ausprägung einer Ischämie kommt und das Fortschreiten einer Herzschwäche gebremst wird.

Außerdem stehen uns zunehmend bessere Medikamente zur Verfügung. Während wir früher nur ACE-Hemmer und Betablocker hatten, gibt es seit rund zehn Jahren Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitoren (ARNI) und seit etwa drei Jahren die SGLT-2-Hemmer. Diese Entwicklungen hatten einen sehr positiven Effekt auf die Prognose bei Herzschwäche, und zwar so gut, dass sich manche fragen, ob wir implantierbare Defibrillatoren (ICD) als weitere Therapieoption überhaupt noch benötigen.

Dazu gab es 2017 ein sehr einflussreiches Paper1, das im New England Journal of Medicine (NEJM) erschienen ist. Darin fassen die Autoren die wichtigsten Studien aus den Jahren 1995 bis 2015 zusammen und veranschaulichen in einer Grafik, wie viele HI-Patient:innen in der jeweiligen Studie an einem plötzlichem Herztod (SCD) gestorben sind. Dabei zeigen sie einen sukzessiv abnehmenden Verlauf. Mithilfe einer Ausgleichsgerade berechneten die Autoren, dass das Risiko für einen plötzlichen Herztod pro Jahrzehnt um 1,2% sinke, bis es irgendwann so niedrig sei, dass man es vernachlässigen könne. Sie kommen zu dem Schluss, dass der plötzliche Herztod bei HI-Patient:innen inzwischen so selten sei und seltener werde, dass eine Therapie mit ICD nicht mehr notwendig sei, bzw. gegenüber einer medikamentösen Therapie keinen weiteren Vorteil bringe. Das ist deshalb brisant, weil in den Leitlinien eine prophylaktische Indikation für einen ICD bei Patient:innen mit Herzschwäche und einer Ejektionsrate von unter 35% angezeigt wird. Die Autoren des Papers im NEJM legen damit den Schluss nahe, dass die Leitlinien entsprechend angepasst werden müssten. Aktuell erleben wir, dass diese Ansicht Schule macht.

Ich halte das für eine Fehleinschätzung.2

In der Analyse im NEJM von 2017 wird v. a. die RALES-Studie von 1995, in der praktisch alle eingeschlossenen Patient:innen eine sehr schwere HI der NYHA-Klasse III (ca. 70%) oder sogar IV (ca. 30%) hatten, mit der PARADIGM-HF-Studie von 2015 verglichen, in der die Patientinnen und Patienten ein wesentlich weniger schweres Stadium I (ca. 5%), II (ca. 70%) und nur selten III (ca. 25%), gar nicht Stadium IV aufwiesen. Dies allein kann schon die beobachtete geringere Sterblichkeit am plötzlichen Herztod in PARADIGM-HF erklären. Es wurden weiterhin Studien in die Analyse eingeschlossen, die nichts mit dem Thema zu tun haben, etwa zwei Untersuchungen zu Statinen, während andere wichtige Studien ausgelassen wurden. Unterm Strich muss man sich also fragen, wie aussagekräftig die Folgerung der Autoren tatsächlich ist.

Wenn man die Studien etwas genauer analysiert, kann man erkennen, dass das Risiko für einen plötzlichen Herztod bei Herzschwäche-Patient:innen zwar geringer geworden ist – in den 1980er Jahren lag die jährliche Mortalitätsrate bei rund 9%. Durch die neuen verbesserten Therapien ist sie auf 2,7% gesunken, allerdings stagniert der Wert dort seit Jahren bis heute. 2,7% pro Jahr klingt nicht niedrig, tatsächlich ist der Wert aber extrem hoch! Ab einem Prozentsatz von 1,2 pro Jahr sprechen wir von einem hohen Risiko. Der plötzliche Herztod bei schwerer Herzschwäche ist tatsächlich eine der häufigsten Todesursachen überhaupt. Dass der plötzliche Herztod sukzessive seltener wird, ist ein Mythos.

Wie sollen wir unsere Patientinnen und Patienten also therapieren? Auch hier geben die Studien Hinweise: Patient:innen bei denen eine schwere Herzinsuffizienz diagnostiziert wird, sterben zu 80 bis 99% an ihrer Herzschwäche und zwar zu 25-60% durch ein fortschreitendes Herzversagen und zu 25-60% am plötzlichen Herztod. Wenn wir nur eins von beidem behandeln, verschieben wir lediglich die Art der Todesursache. Das heißt je besser wir die Patient:innen hinsichtlich ihrer Herzschwäche behandeln und je länger sie überleben, desto größer wird das kumulative Risiko am plötzlichen Herztod (PHT) zu versterben. Wir vermitteln unseren Patient:innen damit nicht den ganzen Überlebensvorteil, den eine gute Behandlung der Herzschwäche mit sich bringen kann.

Noch ein interessanter Punkt aus der PARADIGM-HF-Studie: Hier wurde im Nachhinein die Überlebenswahrscheinlichkeit der Patient:innen mit Indikation für einen ICD verglichen, die keinen ICD und nur Medikamente bekamen und derjenigen, die einen ICD und Medikamente bekamen. Die Überlebensrate der letzteren lag mehr als dreimal höher! Das zeigt sehr gut, dass eine Device-Therapie gegen PHT und eine gute medikamentöse und interventionelle Behandlung keine Konkurrenten sind – sie sind komplementär. Eine gute Therapie einer Herzinsuffizienz deckt daher immer beides ab: Das Risiko am nicht-plötzlichen Herztod zu versterben, wie auch das Risiko für den plötzlichen Herztod.

An diesem Punkt kommt häufig der Kommentar, dass es ja auch ein Risiko für Komplikationen mit den ICD gäbe. Das ist zwar richtig. Wir haben in den letzten Jahren oft gehört, welche Komplikationen bei den Kabeln der Defibrillatoren auftreten können. Sie können einen Defekt haben, oder eine Infektion verursachen, die dann weitere Eingriffe nach sich ziehen. Daraus resultierte die Wahrnehmung, dass alles, was mit Kabeln zu tun hat, extrem gefährlich sei. Das jährliche Risiko für eine der beiden Komplikationen liegt allerdings bei je ca. 1%. Das Risiko, dass eine der beiden Komplikationen tödlich verläuft, liegt sogar nur bei ca. 0,1%. Trotzdem werden diese 0,1% Risiko für einen Todesfall durch einen ICD häufig als gewichtiger wahrgenommen als die Mortalitätsrate beim plötzlichen Herztod von 2,7% pro Jahr ohne ICD.

Was schließen wir daraus? Um eine letztendliche Behandlungsempfehlung zu geben, brauchen wir bessere Daten, das heißt es ist zu klären, wie viele Patient:innen tatsächlich an einer Defibrillatorkomplikation sterben. Wir benötigen erstmals eine richtige Nutzen-Risiko-Evaluation eines ICD bei Herzschwäche. Damit brauchen wir wahrscheinlich nicht weniger ICD-Implantationen, sondern mehr. Auch wenn wir in Deutschland die meisten Defibrillatoren in Europa implantieren, sind wir von einer adäquaten Therapie mit ICDs noch weit entfernt. Ein Großteil der Herzinsuffizienz-Patient:innen, die von einem Defibrillator profitieren würden, bekommen ihn nicht implantiert, eben weil die Wahrnehmung des Themas aktuell so fehlerhaft ist.

Ich möchte zum Schluss noch einmal betonen: Medikamentöse Behandlung und ICDs sind keine Konkurrenten. Im Gegenteil: Es sind zwei Therapien, die sich gegenseitig ergänzen und so für HI-Patient:innen die beste Überlebenswahrscheinlichkeit ermöglichen.

  • Shen L, Jhund PS, Petrie MC, Claggett BL, Barlera S, Cleland JGF, Dargie HJ, Granger CB, Kjekshus J, Køber L, Latini R, Maggioni AP, Packer M, Pitt B, Solomon SD, Swedberg K, Tavazzi L, Wikstrand J, Zannad F, Zile MR, McMurray JJV. Declining Risk of Sudden Death in Heart Failure. N Engl J Med. 2017 Jul 6;377(1):41-51. doi: 10.1056/NEJMoa1609758.