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Protamingabe zur Prävention von Blutungskomplikationen nach TAVI

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Dr. Baravan Al-Kassou und PD Dr. Alexander Sedaghat, Bonn

Hintergrund
Die kathetergestützte Aortenklappenimplantation („transcatheter aortic valve implantation“ [TAVI]) hat sich seit der Einführung im Jahr 2002 zu einer etablierten Therapie-Option in der Behandlung der schweren symptomatischen Aortenklappenstenose bei Patientinnen und Patienten mit mittlerem bis hohem Operationsrisiko entwickelt. Im Laufe der letzten Dekade wurden große technische und klinische Fortschritte auf dem Gebiet der interventionellen Aortenklappenimplantation erreicht. So konnten durch die zunehmende klinische Erfahrung und die kontinuierliche Weiterentwicklung von Transkatheter-Herzklappensystemen prozedurbedingte Komplikationen signifikant reduziert und das Behandlungsergebnis der Patient*innen erheblich verbessert werden. Nichtdestotrotz ist die TAVI weiterhin mit gewissen prozedurspezifischen Komplikationen wie Gefäß- und Blutungskomplikationen assoziiert, die einen signifikanten Einfluss auf die Morbidität und Mortalität der Patient*innen haben. Insofern ist die Prävention von Blutungen und die Optimierung des peri- und postprozeduralen Managements vaskulärer Komplikationen von zentraler Bedeutung für die weitere Verbesserung des Behandlungsergebnisses nach TAVI.

Ergebnisse vorheriger Studien
Im Kontext von Gefäß- und Blutungskomplikationen konnte in einer vorherigen Studie gezeigt werden, dass die Verwendung von Protamin zur Antagonisierung der Heparin-Wirkung, im Vergleich zu ausgelassener Heparin-Antagonisierung, zu niedrigeren Raten schwerer Blutungsereignisse nach TAVI führt. Nichtsdestotrotz fehlen bisher Daten und Empfehlungen zum optimalen Dosierungsverhältnis von Protamin zu verabreichtem Heparin, um Blutungskomplikationen effektiv zu verhindern, ohne das thromboembolische Risiko der Patient*innen zu steigern. Dementsprechend variiert die tägliche klinische Praxis von selektiver bis routinemäßiger Verabreichung von Protamin in verschiedenen Dosierungsverhältnissen, die von partieller bis hin zu vollständiger Antagonisierung der Heparin-Aktivität reichen.

Ziel der Beobachtungsstudie
Das Ziel der vorliegenden multizentrischen Beobachtungsstudie, die an den Herzzentren der Universitätskliniken Bonn, Düsseldorf und Köln durchgeführt wurde, war ein Vergleich der Sicherheit und Wirksamkeit von partieller versus vollständiger Heparin-Antagonisierung mittels Protamin zur Prävention von Blutungskomplikationen bei Patient*innen, die eine TAVI erhalten. Hierfür wurden 1446 Patient*innen eingeschlossen, die eine TAVI mit der modernen Generation von Klappenprothesen erhielten und von denen 623 eine partielle sowie 823 eine vollständige Heparin-Antagonisierung erlangten. Der primäre Endpunkt der Studie war eine Kombination aus 30-Tage-Mortalität mit lebensbedrohlichen sowie schweren Blutungen. Zu den Sicherheitsendpunkten gehörten Schlaganfall und Myokardinfarkt nach 30 Tagen.

Die Population der Studie
Die Studienpopulation hatte ein mittleres Alter von 81,1 (±6,0) Jahren mit einem medianen STS-Score von 3,6 % und EuroSCORE II von 4,3 %. Insgesamt waren die klinischen Variablen gut ausbalanciert zwischen den beiden Gruppen, mit Ausnahme der häufigeren Inzidenz von peripherer arterieller Verschlusskrankheit bei Patient*innen, die eine vollständige Heparin-Antagonisierung erhielten (32,6 % vs. 19,3 %, p=0,01).

Ergebnisse der Studie
Der kombinierte primäre Endpunkt der Studie trat seltener bei Patient*innen mit vollständiger (5,6 %) als bei Patient*innen mit partieller Heparin-Antagonisierung (10,4 %, p<0,01) auf. Dieser Unterschied war hauptsächlich durch eine signifikant reduzierte Rate von lebensbedrohlichen (0,5 vs. 1,6 %, p=0,05) und schweren Blutungen (3,2 vs. 7,5 %, p<0,01) bedingt. Dementsprechend war der postprozedurale Abfall des Hämoglobinwertes sowie die Notwendigkeit einer Transfusion von Erythrozytenkonzentraten bei Patient*innen, die eine vollständige Heparin-Antagonisierung erhielten, geringer als bei jenen mit partieller Heparin-Antagonisierung (1.5±1.2 vs 1.7±1.2g/dl, p<0.01 bzw. 10,4 vs. 15,9 %, p<0,01). Darüber hinaus war die Inzidenz schwerer Gefäßkomplikationen bei Patient*innen mit vollständiger Heparin-Antagonisierung signifikant geringer (3,5 vs. 7,5 %, p<0,01). Hinsichtlich des Sicherheits-Endpunktes waren keine Unterschiede in der Inzidenz von Schlaganfällen und Myokardinfarkten zwischen den zwei Patientengruppen in dem Beobachtungszeitraum von 30 Tagen zu beobachten (2,2 vs. 2,6 %, p=0,73; 0,2 vs. 0,4 %, p=0,64).

Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit stehen im Einklang mit einer kürzlich veröffentlichten Studie, die signifikant niedrigere Raten schwerer Blutungsereignisse nach TAVI bei Patient*innen mit Heparin-Antagonisierung im Vergleich zu jenen ohne Aufhebung der Heparin-Aktivität zeigte. Darüber hinaus stimmen die Ergebnisse mit denen früherer Studien auf dem Gebiet der kardiopulmonalen Bypass-Versorgung sowie der Halsschlagader-Endarterektomie überein, die verringerte Blutungskomplikationen bei Patient*innen mit antagonisierter Heparin-Aktivität nachweisen konnten. Insbesondere auf dem Gebiet der Herzchirurgie mehren sich die Hinweise dafür, dass eine optimierte Dosierung von Protamin zur adäquaten Heparin-Antagonisierung sowohl einer Unter- als auch Überdosierung von Protamin überlegen ist.

Fazit
Insofern schlussfolgern wir, dass eine vollständige Antagonisierung der antikoagulatorischen Heparin-Aktivität mittels Protamin einer partiellen Heparin-Antagonisierung im Hinblick auf die Prävention von Blutungsereignissen nach TAVI überlegen ist, ohne zu einer erhöhten Inzident thromboembolischer Ereignisse zu führen. Nichtsdestotrotz sind weitere, randomisierte Studien notwendig, um die Ergebnisse der vorliegenden multizentrischen Beobachtungsstudie zu validieren. 

Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz und Kreislaufforschung e.V. (DGK) mit Sitz in Düsseldorf ist eine gemeinnützige wissenschaftlich medizinische Fachgesellschaft mit fast 11.000 Mitgliedern. Sie ist die älteste und größte kardiologische Gesellschaft in Europa. Ihr Ziel ist die Förderung der Wissenschaft auf dem Gebiet der kardiovaskulären Erkrankungen, die Ausrichtung von Tagungen die Aus-, Weiter- und Fortbildung ihrer Mitglieder und die Erstellung von Leitlinien. Weitere Informationen unter www.dgk.org