Depressivität als wesentlicher Einflussfaktor auf die Krankheitswahrnehmung bei älteren Patienten mit symptomatischer Aortenklappenstenose: Assoziation zum Ausmaß der Grunderkrankung und Dynamik nach Transkatheter-Aortenklappen-Implantation (TAVI)
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Dr. Gudrun Dannberg, Prof. Dr. Marcus Franz, Jena
Hintergrund
Patienten mit hochgradiger symptomatischer Aortenklappenstenose, bei denen eine Therapie mittels Transkatheter-Aortenklappenimplantation (TAVI) indiziert ist, stellen ein spezielles Kollektiv, insbesondere in Hinblick auf Alter und Komorbiditäten, dar. Dies bedeutet auch, dass neben funktionellen Outcomes und der Prognose quo ad vitam die Lebensqualität und das mentale Befinden wichtige Aspekte bei der Beurteilung des Therapieerfolges darstellen.
Wie auch bei anderen chronischen Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, wie z.B. der Koronaren Herzerkrankung, stellen das Vorhandensein von Depressivität und Angst relevante Komorbiditäten dar. Bezüglich der Krankheitshäufigkeit ist von hohen Dunkelziffern auszugehen. Der Einfluss dieser Faktoren auf das klinische Outcome und die Lebensqualität innerhalb der stetig wachsenden Gruppe von TAVI-Patienten ist bislang kaum untersucht. Basierend auf Daten, insbesondere auf dem Gebiet der Herzinsuffizienz, kann aber angenommen werden, dass eine ungünstige Beziehung zwischen dem Vorhandensein von Depressivität und Angst einerseits und der Schwere der Herzinsuffizienz andererseits besteht. Zum Effekt einer klar definierten strukturellen Intervention, wie z.B. der TAVI-Prozedur, auf vorbestehende psychische Befindensstörungen, insbesondere auf die Depressivität, existieren nahezu keine Arbeiten.
Staging-Klassifikationen
Die 2017 neu eingeführte Staging-Klassifikation des extra-valvulären kardialen Schadens bei Aortenklappenstenose beschreibt ein Krankheitskontinuum, welches sukzessive zunächst den linken Ventrikel, dann den linken Vorhof und schließlich, über die Entwicklung einer Pulmonalen Hypertonie, auch das rechte Herz einbezieht. In der großen Partner 2 – Studie konnte nachgewiesen werden, dass das beschriebene Staging von prognostischer Relevanz hinsichtlich des 1-Jahres-Überlebens ist.
Vor diesem Hintergrund fokussierten wir in unseren Untersuchungen auf die Frage, in welchem Ausmaß Depressivität bei symptomatischen älteren Patienten mit Aortenklappenstenose die Lebensqualität beeinflusst und ob dies in Beziehung zur Schwere des kardialen Schadens steht. Zusätzlich untersuchten wir, ob sich durch die TAVI-Prozedur selbst Auswirkungen auf die Depressivität ergeben.
Beobachtungsstudie
In einer Beobachtungsstudie unserer Arbeitsgruppe wurden 224 Patienten des Jenaer Aortenklappen-Registers (JAKR; Alter 78 ± 8 Jahre; STS-Score 4,4 ± 3,1 %) prospektiv nachverfolgt und zunächst entsprechend der o.g. Staging-Klassifikation den einzelnen Stadien zugeordnet (Abb.1).
Im Weiteren wurden die Patienten der Stadien 0 bis 2 (Linksherzerkrankung) zu einer Staging-Gruppe A und die Stadien 3 bis 4 (zusätzlich Pulmonale Hypertonie / Rechtsherzerkrankung) zu einer Staging-Gruppe B zusammengefasst. Zur Detektion von Depressivität und Angst nutzten wir die gut etablierte Hospital Anxiety and Depression Scale for Germany (HADS-D), wobei für Depressivität und Angst ein cut-off -Wert von 8 Punkten galt. Außerdem erhoben wir weitere Parameter der Lebensqualität wie den EQ-5D-5L-Fragebogen einschließlich der visuell analog scale (EQ-VAS) und die clinical frailty scale (CFS) und untersuchten funktionelle Parameter wie brain natriuretic peptide (BNP) und den 6-Minuten-Gehtest (SMWT). Alle Werte wurden vor TAVI (Baseline) sowie 6 Wochen, 6 und 12 Monate nach TAVI dokumentiert.
Ergebnisse
Von unseren Patienten, die ein typisches TAVI-Kollektiv repräsentieren, wurden 168 (75 %) der Staging-Gruppe A und 56 Patienten (25 %) der Staging-Gruppe B zugeordnet. Im Vergleich dieser beiden Gruppen zeigten sich von den untersuchten Parametern lediglich die BNP-Serumspiegel signifikant unterschiedlich mit, erwartungsgemäß, deutlich höheren Werten in Gruppe B.
Pathologische Werte für Depression im HADS-D fanden sich initial im Gesamtkollektiv bei 57/224 Patienten (25,5 %) und, getrennt bewertet, in Gruppe A bei 44/168 Patientin (26,2 %) sowie in Gruppe B bei 13/56 Patienten (23,2 %). Auch das semiquantitative Punkte-Niveau der Patienten mit erhöhter Depressivität im HADS-D zeigte keinen Unterschied zwischen Gruppe A (10,2±2,5) und Gruppe B (10,8±2,4; p=n.s.). Allerdings wiesen Patienten mit erhöhter Depressivität sowohl in Gruppe A als auch in Gruppe B im Vergleich zu nicht depressiven Patienten vor TAVI signifikant schlechtere Werte in den erhobenen Lebensqualitätsparametern auf.
In der Verlaufsbeobachtung zeigte sich interessanterweise, dass Patienten mit initial pathologischen Werten für Depressivität eine signifikante und stabile Verbesserung ihrer depressiven Stimmungslage nach erfolgter TAVI erlebten und dies unabhängig vom initialen Stadium des extravalvulären kardialen Schadens war. Dabei fand sich diese signifikante Verbesserung bei depressiven Patienten der Gruppe A bereits im 6-Wochen-Verlauf (p<0,001), bei den Patienten der Gruppe B war dies erst nach 6/12 Monaten nachweisbar (p= 0,040). Eine ähnliche Dynamik fand sich in den BNP-Serumspiegeln, bei denen wir bei Patienten in Gruppe A ebenfalls bereits nach 6 Wochen einen signifikanten Abfall konstatieren konnten (p<0,001) während dieser in Gruppe B erst nach 6 Monaten zu verzeichnen war (p=0,013) (Abb.2).
Fazit
Zusammenfassend haben unsere Studienergebnisse gezeigt, dass wir bei älteren Patienten mit hochgradiger symptomatischer Aortenklappenstenose, ähnlich wie z.B. bei Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz, von einem hohen Anteil an (nicht diagnostizierter) Depressivität ausgehen müssen. Obwohl von nachweisbarer prognostischer Bedeutung, scheint nach unseren Beobachtungen das Ausmaß der extravalvulären kardialen Schädigung keinen Einfluss auf die Häufigkeit des Auftretens von Depressivität bzw. die subjektive Wahrnehmung der Krankheitsschwere zu haben. Im Gegensatz dazu wirkte sich eine vorhandene Depressivität deutlich auf die Parameter des EQ-5D-5L als gut validiertes Tool zur Erfassung der Lebensqualität aus. Interessanterweise führte die TAVI-Prozedur an sich, ohne zusätzliche pharmakologische oder psychologische Intervention, zu einer signifikanten stabilen Verbesserung des mentalen Befindens der depressiven Patienten beider Gruppen, die bei depressiven Patienten mit einer geringer ausgeprägten kardialen Schädigung bereits im 6 Wochen Verlauf, bei ausgeprägterer Schädigung erst nach 6 Monaten nachweisbar war.
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