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Kardiologie in einer neuen Normalität – wie wir Grenzen überwinden und neue Welten entdecken

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Statement Prof. Dr. Denise Hilfiker-Kleiner, Marburg, Präsidentin der 87. Jahrestagung

 Indem wir bestehende Grenzen überwinden, eröffnen sich neue Welten, Chancen und Möglichkeiten in allen Lebensbereichen, so auch in der DGK und in der Kardiologie. Daher habe ich im Jahr 2019 das Thema „Grenzen überwinden und neue Welten entdecken“ für die 87. Jahrestagung gewählt. Damals wollte ich vor allem Grenzen innerhalb der Kardiologie, beispielsweise zwischen Grundlagenforschung und Klinik, zwischen klinischen Disziplinen aber auch zwischen Nationen und Kontinenten aufzeigen und auf die Chancen hinweisen, die sich uns bieten, wenn wir sie überwinden.

Nun bestimmt seit dem Frühjahr 2020 die Covid-19 Pandemie unser aller Leben, womit auch das Motto der Jahrestagung eine weitere, sehr aktuelle, Bedeutung erhalten hat. Denn quasi über Nacht entstanden zahlreiche neue Grenzen, die es zu überwinden galt und gilt. Gleichzeitig haben sich völlig neue Möglichkeiten und Chancen und damit neue Welten aufgetan, besonders in der biomedizinischen Forschung und Medizin.

Einschränkungen und Grenzen durch die Pandemie in der Kardiologie

In Bezug auf den klinischen Alltag in der Kardiologie waren die neuen, durch die Covid-19 Pandemie entstandenen, Grenzen für Ärztinnen und Ärzte und Patientinnen und Patienten besonders spürbar. Behandlungen wurden abgesagt oder verschoben und die Behandlungskapazitäten zeitweise massive reduziert. Die Folgen für Patientinnen und Patienten sind noch nicht vollumfänglich erfasst, aber erste Daten deuten auf deutlich negative Effekte in der Patientengesundheit hin. Die finanziellen Folgen für Kliniken und Praxen sind eine weitere Herausforderung.

Auch die kardiovaskuläre Forschung und Lehre ist von den Einschränkungen betroffen. Geschlossene Labore und abgesagte Forschungsaufenthalte unseres wissenschaftlichen Nachwuchses an Universitäten von nationalen und internationalen Kooperationspartnern und eine in kürzester Zeit digitalisierte Lehre haben Wissenschaftler und Studierende gleichermaßen herausgefordert. Hinzu kommen fehlende Praktika, Home Office, fehlende persönliche Kontakte und die Herausforderungen im Bereich der Prüfungen.

Die Grenzen waren und sind auch in unserer kardiologischen Gesellschaft spürbar. Die 86. Jahrestagung in Mannheim und die Herztage in Berlin mussten in ihrer ursprünglichen Form abgesagt werden und fanden in einer kondensierten Form online statt. Liebgewonnene Gewohnheiten und Traditionen waren so plötzlich nicht mehr möglich.

Zurechtfinden in einer neuen Realität

All diese Einschränkungen gilt es zu überwinden und tatsächlich scheint sich nun eine „Neue Normalität“ einzustellen. In unserem Alltag wurden besonders die neuen Dimensionen des digitalen Raums in einem Tempo erkundet und erschlossen, wie es ohne COVID-19 nicht passiert wäre. Digital Health ist Alltag geworden, digitale Systeme sind im gesamten Gesundheitssystem fester und selbstverständlicher verankert, als sie es noch vor einem Jahr waren. Aber auch digitale Meetings und Tagungen, Home Office und digitales Studium sind heute, im Jahr 2021, schon fast eine Selbstverständlichkeit. Innerhalb der DGK wurden zahlreiche Veranstaltungen der DGK Akademie digital angeboten und der neue, digitale Kongress DGK.Online 2020 und DGK.Online 2021 bereichert seitdem die kardiologische Weiterbildung.

Covid-19 bestimmt nicht nur unseren Alltag, auch in der Kardiologie nimmt die Pandemie einen großen Raum ein. Dieses Problem wird in mehreren Vorträgen erläutert. Auch die Pathomechanismen der COVID-19 Erkrankung sind eng mit dem kardiovaskulären System verknüpft. Die Sitzung „What lessons can we learn from the COVID-19 pandemic?“ widmet sich der ganzen Themenvielfalt der COVID-19 Pandemie und ihren Effekten auf die Kardiologie.

Räumliche und gesellschaftliche Grenzen überwinden

Doch auch abseits der Pandemie müssen nach wie vor Grenzen überwunden werden. Gesellschaftlich beschäftigen uns physische Grenzen, nämlich zwischen Ländern und Kontinenten. Migrationsströme haben Einfluss auf unser Gesundheitssystem, unter anderem indem Krankheitsbilder, die in Deutschland sehr selten auftraten, (wieder) häufiger vorkommen, z.B. rheumatische Erkrankungen oder nicht korrigierte kongenitale Erkrankungen, die auch die Kardiologie betreffen.

Die Dringlichkeit, diese Herausforderungen anzunehmen und darauf zu reagieren hat mich unter anderem dazu bewogen, Südafrika als Partnerland für die 87. Jahrestagung zu wählen und Prof. Karen Sliwa, Direktorin des Hatter Instituts for Cardiovascular Research in Africa (Kapstadt, Südafrika), einzuladen. Sie wurde als erste Frau Präsidentin der World Heart Federation und steht in engem Austausch mit der WHO. Sie und ihre Kollegen haben die kardiologischen Probleme Afrikas bereits in einem sehr schönen Artikel in der Kongressausgabe des Magazins „Herz“ (Springerverlag) beschrieben. Ebenfalls berichtet sie in ihrem Vortrag „Worldwide registry on peripartum cardiomyopathy (PPCM), EURObservational Research Programme“ über weltweite Fälle und Behandlungsstrategien bei peripartaler Kardiomyopathie.

Ebenso sollten Ab- und Ausgrenzungen auf Grund der Herkunft, der Hautfarbe und des Geschlechts auch in unserem Fach aufgelöst werden.  Es wäre doch wunderbar, wenn wir in Zukunft noch deutlich diverser werden und es mehr kardiologische Oberärztinnen, Chefärztinnen und regelmäßig auch Präsidentinnen und Präsidenten der DGK geben würde. 

Grenzen innerhalb der Kardiologie

Grenzen in der Kardiologie sind vielschichtig, wir bemerken sie z.B.  zwischen Grundlagenforschung und Klinik oder zwischen universitärer und nicht universitärer Medizin. Im Programm der 87. Jahrestagung finden sich eine Vielzahl von Sitzungen und Posterpräsentationen, die spezifisch Grundlagen, Translation und Klinik im Wechselspiel aufgreifen und respektive über die Chancen und Möglichkeiten der digitalen Medizin zur Vernetzung von Kliniken und Praxen, von Ärzten und Patienten, berichten.

„Neue Welten“ in der Kardiologie – Das erwartet Sie auf der 87. Jahrestagung

Zu den neuen Welten, die sich kürzlich in der Kardiologie aufgetan haben, gehören vor allem die Themen Big Data und künstliche Intelligenz sowie unter Pandemie-Bedingungen auch digitale Medizin, E-Health und Telemedizin. Diese Themen finden sich in diversen Sitzungen auf der 87. Jahrestagung wieder. Hervorheben möchte ich in dem Zusammenhang die Sitzung der Tagespräsidentin „Big data and artificial intelligence for cardiovascular health” mit nationalen Experten, die die neuen Potentiale aber auch Limitationen auf diesen Gebieten beleuchten werden.

Daneben zeigen auch die Vorstellungen der neuen Leitlinien, beispielsweise zum Management von Vorhofflimmern und dem akuten Koronarsyndroms ohne persistierende ST-Strecken- Hebungen (NSTE-ACS), neue Welten der Therapiemöglichkeiten auf.

Ebenfalls rückt die Sensibilität für eine interdisziplinäre Kardiologie immer mehr in den klinischen Alltag. Auch in diesem Bereich möchte ich Ihnen die Sitzungen „Cardiovascular disease around pregnancy“, „Was Kardiologinnen/Kardiologen über Onkologie wissen sollten“, „Herz, Hirn und Psyche“ und „Kardiovaskuläre Prävention: Fakten, Möglichkeiten und Limitationen“ besonders ans Herz legen.

„Neue Welten in der Wissenschaft“ werden naturgemäß vor allem in der Grundlagenforschung entdeckt und hier empfehle ich die Vorträge zu Single Cell Transcriptomics, einer neuen Technologie, die es erlaubt die Genexpression einzelner Zellen zu bestimmen. Dieses Thema wird in zahlreichen Sitzungen und auch Postervorträgen aufgegriffen. Die Sitzung der Tagespräsidentin mit ausgewiesenen Expertinnen und Experten „The power of single cell transcriptomics“ ist ein Highlight dazu. Ebenfalls zu den neueren Entdeckungen gehört die Wahrnehmung des Herzens als ein Endokrines Organ („The heart as an endocrine organ“).

Das Kongressmotto passt nicht nur gut zu unserer nun voll digitalisierten 87. Jahrestagung, sondern es soll uns auch im positiven Sinne auf eine neue Normalität einstimmen, in der wir das Beste aus unserer „alten Welt“ mit in eine „Neue Welt“ nehmen können. Diese Chance gilt es zu nutzen und genau darauf zielt auch der Wissenschaftsrat in seinem, im Januar verabschiedeten, Papier „Impulse aus der Covid-19-Krise für die Weiterentwicklung des Wissenschaftssystems in Deutschland“ ab. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen wunderbaren und stimulierenden Kongress in den neuen Sphären der digitalen Welt.