Neues zur Diagnostik und Therapie von Synkopen
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Statement Prof. Dr. Wolfgang von Scheidt, Chefarzt an der I. Medizinischen Klinik des Universitätsklinikums Augsburg, 26. April 2019
Synkopen sind ein häufig auftretendes Problem. Jeder zweite Mensch erlebt diese kurzen Ohnmachten im Laufe seines Lebens. In den allermeisten Fällen sind diese Geschehnisse harmlos und betreffen üblicherweise herzgesunde Patienten. Diese sogenannten Reflexsynkopen oder vasovagalen Synkopen entstehen aus einer überschießenden Reaktion des Reflexbogens des autonomen Nervensystems, die dazu führt, dass die Gefäße weit gestellt werden, der Blutdruck abfällt, die Durchblutung des Gehirns eingeschränkt oder gar nicht mehr vorhanden ist, der Patient in Folge bewusstlos am Boden liegt und erlangt letztlich von selbst wieder das Bewusstsein.
Davon abzugrenzen – und das macht das Thema so kompliziert – sind Synkopen, die durch kardiale Erkrankungen entstehen, allen voran durch bradykarde oder tachykarde Rhythmusstörungen. Die Ursachen können für den Patienten lebensgefährlich sein. Die Synkope von heute kann der plötzliche Herztod von morgen sein.
Die Kernaufgabe, die von Ärzten bei Synkopenpatienten geleistet werden muss, ist daher, das eine vom anderen zu unterscheiden. Das Problem dabei ist: anders als bei anderen Erkrankungen besteht der akute Zustand Synkope ja längst nicht mehr, wenn der inzwischen wieder wache Patient vor dem Arzt sitzt. Man muss also einen Indizienprozess führen, um die Ursache zu entdecken, was die Diagnostik sehr erschwert. In der europäischen Leitlinie aus 2018 sind dafür allerdings Kriterien und eine Reihenfolge bestimmter Diagnostikschritte festgelegt, die uns die Arbeit erheblich erleichtern.
Am Anfang steht immer die Frage, ob es sich tatsächlich um eine Bewusstlosigkeit handelte oder um einen Sturz ohne Bewusstlosigkeit. Das ist manches Mal nicht leicht aufzudecken, weswegen der Patient und auch Augenzeugen genauestens befragt werden müssen. Die Leitlinie schlägt dafür um die 180 Fragen vor, was in der Praxis natürlich unmöglich umzusetzen ist. Meist reichen hier aber schon 10-15 Fragen, wenn es die richtigen sind. Der Hergang des Ereignisses verrät schon viel. Treten die Synkopen bei dem Patienten immer im Stehen und nie im Liegen auf? Daraus kann man schlussfolgern, dass es sich nicht um rhythmogene Synkopen handelt, da diese positionsunabhängig auftreten. Geht die Synkope mit Vorboten wie Übelkeit, Schwindel oder Sehstörungen einher? Hierbei handelt es sich um klassische Anzeichen für eine Reflexsynkope. Wenn hingegen die Frage nach dem Auftreten von plötzlichem Herztod in der Familie positiv beantwortet werden kann, sollte der Arzt sofort hellhörig werden, denn dann handelt es sich um einen Hochrisikopatienten.
Auf die Befragung folgen körperliche Untersuchungen wie die Auskultation (Herzgeräusche können stichhaltige Indizien liefern), Blutdruckmessung im Liegen und im Stehen (hierdurch kann die orthostatische Hypotonie entdeckt werden) und ein 12-Kanal-EKG.
Anhand dieser Informationen kann bei fast der Hälfte der Patienten eine prima vista-Diagnose gestellt werden, d.h. die Ursache der stattgehabten Synkope ist bereits geklärt. Gelingt dies nicht, muss in einem nächsten Schritt eine Risikostratifizierung mittels Anhaltspunkten aus Anamnese, Untersuchung und EKG. Die Leitlinie gibt uns Kriterien vor, wann eine Hochrisiko-Konstellation vorliegt. Die von potentiell lebensbedrohlichen Rhythmusstörungen betroffenen Patienten können so identifiziert und stationär aufgenommen werden. Im Anschluss werden die entsprechende Diagnostik und Therapie eingeleitet.
Sollte bis zu diesem Schritt keine Erklärung für das Auftreten der Synkope(n) erkennbar sein, müssen wir eine Verdachtsdiagnose stellen und diese durch unterschiedliche Testverfahren verifizieren. Die Leitlinie macht hierfür dezidierte Vorgaben.
Nach Ausschluss der Patienten mit orthostatischer Hypotonie durch die oben beschriebene Blutdruckmessung bleiben nun noch zwei große Gruppen: Reflexsynkopen und rhythmogene Synkopen. Hinzu kommt die kleine Untergruppe von kardiogen aber nicht rhythmogen bedingten Synkopen, also beispielsweise durch ein Strombahnhindernis wie Lungenembolie oder Aortenstenose. Diese fallen aber üblicherweise durch Zusatzkriterien auf.
Patienten, bei denen Sie eine rhythmogene Ursache vermuten, erhalten ein Langzeit-EKG. Da das aber nur bei 4% der Patienten zu einem Ergebnis führt, empfiehlt die Leitlinie, es nur bei Patienten anzuwenden, die häufiger als einmal pro Woche eine Synkope erleiden. Das betrifft allerdings nur den geringsten Teil der Patienten. Das Langzeit-EKG ist in diesem Fall also ein sehr limitiertes Diagnostik-Instrument, weil eine Rhythmusüberwachung über einen längeren Zeitraum hinweg geboten wäre.
Hier zeigt sich der große Nutzen und Stellenwert des Loop-Rekorders. Dabei handelt es sich um einen kleinen, kabellosen Chip, der innerhalb einer Minute unter die Haut implantiert werden kann und über 3 Jahre hinweg den Herzrhythmus aufzeichnet. Sollte also Wochen oder Monate nach der Implantation die nächste Synkope auftreten, kann der Loop-Rekorder ausgelesen werden und offenbart den Herzrhythmus zum Zeitpunkt der Synkope. Der Loop-Rekorder ist ein hocheffektives Instrument in der Synkopen-Diagnostik und ist indiziert bei der Gruppe mit rezidivierenden unklaren Synkopen ohne Vorboten und ohne bisherigen Nachweis der Ursache.Leider wird die Implantation eines Loop-Rekorders bisher von den Krankenkassen als letzter Schritt in der Diagnostik angesehen, obwohl man schon sehr schnell an dem Scheideweg in der Diagnostik angekommen ist, in der er gewinnbringend eingesetzt werden kann. In der Realität muss aber, damit die Implantation vergütet wird, eine lange Diagnostikkaskade vorweggehen, die in weiten Teilen bei diesen Patienten unnötig ist, beispielsweise neurologische Untersuchungen. Diese Vorgaben der Krankenkassen stehen nicht im Einklang mit der aktuellen Leitlinie! Eine ambulante Implantation des Loop-Rekorders wird derzeit sogar überhaupt nicht vergütet, obwohl der Eingriff dafür prädestiniert ist. Auch die gesamte Nachsorge, das heißt ein Auslesen alle drei Monate oder permanent telemetrisch, wird nicht vergütet, unabhängig davon, ob der Loop-Rekorder stationär oder ambulant implantiert wurde. Diese Leistung wird also derzeit völlig kostenlos erbracht. Eine fehlende Vergütung kann dazu führen, dass der Rekorder gar nicht eingesetzt wird, was eine ganz reale und dramatische Unterversorgung der betroffenen Patienten zur Folge hat. Die Krankenkassen müssen ihre Haltung zum implantierbaren Loop-Rekorder unserer Meinung nach dringend überdenken.
Dies betrifft die Gruppe der Patienten, bei denen rhythmogene Synkopen vermutet werden.
Reflexsynkopen hingegen kann man über weitere Verfahren diagnostizieren. Das Kipptischverfahren ist sicherlich eines der Bekanntesten. Es hat in der neuen Leitlinie jedoch eine wichtige Umbewertung erfahren. Da bei bis zu der Hälfte der Patienten mit rhythmogenen Synkopen (also eindeutig anderer Synkopenursache) hier ein falsch-pathologisches Ergebnis entsteht, hat das Verfahren nicht die Spezifität, die ihm früher zugeschrieben wurde. Es wird inzwischen ausschließlich als Bestätigungstest vorgesehen, wenn die begründete Verdachtsdiagnose Reflexsynkope gestellt worden ist.
Ein weiteres Verfahren, das in der Leitlinie zwar noch beschrieben wird, unserer Ansicht allerdings sehr mit Vorsicht zu genießen ist, ist die Carotis-Sinus-Massage. Dabei reizt man einen Druckrezeptor an der Halsschlagader durch Massage zunächst der linken und dann der rechten Halsseite. Sollte eine Überempfindlichkeit des Druckrezeptors vorliegen, wird hierdurch ein Blutdruckabfall, vor allem aber eine Bradykardie bis hin zu Asystolie provoziert. Besteht diese Asystolie länger als 3 Sekunden, wird der Test als positiv eingestuft. Problematisch ist allerdings, dass bis zu 40% aller Männer über 65 Jahren einen überempfindlichen Carotis-Sinus-Reflex haben. Dies bedeutet, dass die Spezifität auch für dieses Verfahren sehr eingeschränkt ist. Die Carotis-Sinus-Massage soll laut Leitlinie bei allen Patienten über 40 Jahre mit ungeklärter Synkope, die vereinbar mit einem Reflexmechanismus ist, angewendet werden. Ein pathologischer Test ist jedoch nur spezifisch wertbar, wenn die spontanen Synkopenereignisse durch eine für einen überempfindlichen Carotis-Sinus-Reflex typische Auslösesituation entstanden sind, beispielsweise durch einen Blick über die Schulter beim Ausparken. In allen anderen Fällen kann es sich um ein unspezifisches, d.h. falsch pathologisches Resultat der Carotis-Sinus-Massage handeln.
Daher empfiehlt sich bei Patienten ohne anamnestische Hinweise für eine Reizung des Carotis-Sinus-Rezeptors die Implantation eines Loop-Rekorders, um künftige spontane Asystolien als Synkopenursache zu erkennen. Dies haben wir im Kommentar der DGK zu der Leitlinie festgehalten.
Patienten mit Reflexsynkopen, die mit Vorboten einhergehen, was etwa 80% der Fälle betrifft, haben die Möglichkeit, mit sogenannten mechanischen Gegenregulationsmanövern gegenzusteuern. In der kurzen Vorwarnzeit haben sie die Gelegenheit, sich durch eine Reaktivierung des Sympathikus-Systems zu helfen. Dazu empfehlen wir den sogenannten Jendrassik-Handgriff oder ein Überkreuzen der Beine. Vorbeugen kann man Reflexsynkopen unter anderem durch Stützstrümpfe, ein Stehtraining oder in seltenen Fällen einem blutdrucksteigernden Medikament.
Manche Patienten mit Reflexsynkopen ohne Vorboten sind potentielle Schrittmacherkandidaten, denn die Verletzungsgefahr ist bei ihnen besonders groß. Auch hier müssen wir über einen Loop-Rekorder feststellen, ob die Synkopen eine kardioinhibitorische Komponente aufweisen. Ein Schrittmacher heilt diese Patienten zwar nicht, kann aber dafür sorgen, dass sich durch den unter Schrittmacher nicht mehr vorhandenen Frequenzabfall Vorboten einstellen. Dies hilft, Verletzungen bis hin zu lebensbedrohlichen Kopfverletzungen beim Sturz zu verhindern.Generell sollte die Schrittmacherindikation bei Patienten mit Reflexsynkopen jedoch äußerst zurückhaltend gestellt werden, und dies erst nach Dokumentation einer spontanen Asystolie mittels Loop-Rekorder. Eine auf dem Kipptisch provozierte Asystolie ist hier deutlich weniger prädiktiv bezüglich eines Nutzens einer Schrittmachertherapie.
Worauf die Leitlinie leider nicht eingeht, sind die seltenen Patienten mit rezidivierenden Synkopen, die eine unerkannte Ionenkanalerkrankung haben, beispielsweise das Long-QT- oder das Brugada-Syndrom. Die Möglichkeit, dass eine solche Erkrankung vorliegt, sollten Ärzte aber vor allem bei jungen Patienten mit positionsunabhängigen Synkopen ohne Vorboten und Vorkommen eines plötzlichen Herztodes in der Familie im Hinterkopf behalten.
Zum Kongress ist die Pocket-Leitlinie zur Synkopen-Diagnostik der DGK erschienen, die Sie am Stand der DGK erhalten oder sich im Internet unter http://leitlinien.dgk.org als pdf herunterladen können.
Weitere Informationen finden Sie zudem in der Aufzeichnung eines einstündigen Webinars zu dem Thema auf kardiologie.org.