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Leitlinie zur Myokardrevaskularisation: Neue Aspekte in der Behandlung der Koronaren Herzkrankheit

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Statement Prof. Dr. Franz-Josef Neumann, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kardiologie und Angiologie II des Universitäts-Herzzentrums Freiburg-Bad Krozingen, 26. April 2019 

Nur vier Jahre nach der letzten Aktualisierung ist im August 2018 eine neue Version der europäischen Leitlinie zur Myokardrevaskularisation erschienen. Aufgrund der essentiellen Bedeutung der Myokardrevaskularisation, also der Verbesserung bzw. Wiederherstellung der Durchblutung des Herzmuskels, für die Behandlung der Koronaren Herzkrankheit (KHK) werden die entsprechenden Leitlinien in enger Taktung auf den neuesten Stand gebracht und dabei die aktuelle Datenlage berücksichtigt. Die neueste Leitlinie beinhaltet daher diverse wichtige Änderungen gegenüber der Vorgängerversion.

Funktionsdiagnostik 

Zum einen betont die Leitlinie, dass man sich im diagnostischen Prozess nicht allein auf die Angiographie verlassen sollte, sondern weitere funktionelle Messungen herangezogen werden müssen, gerade zur Durchführung einer perkutanen Koronarintervention (PCI). Speziell werden hier die Messung der Fraktionellen Flussreserve (FFR) und die iFR (Instantaneous wave-free Ratio) genannt. Auch die intrakoronare Bildgebung (OCT) wurde in ihrer Bedeutung aufgewertet, speziell bei der Beurteilung von In-Stent-Stenosen und den Mechanismen bei Therapieversagern.

Vollständige Revaskularisation 

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass eine komplette Revaskularisation des Myokards anzustreben ist, um das beste Ergebnis zu erzielen. Es sollen also nicht nur die führende, sondern alle hämodynamisch bedeutsamen Verengungen behandelt werden. In den Notfallsituationen Infarkt und kardiogener Schock hingegen soll zunächst einmal nur die Hauptläsion Ziel des Eingriffs sein und die weiteren Läsionen später behandelt werden.
Die Leitlinie betont nachdrücklich, dass sowohl die PCI als auch die Bypass-Operation dieses Ziel erreichen und die Prognose von Patienten mit KHK verbessern können. Es werden evidenzbasierte Kriterien angeführt, die definieren, wann welches der beiden Verfahren angewendet werden sollte. Diese Kriterien haben sich seit dem Erscheinen der Vorversion nicht wesentlich verändert, doch aufgrund der gewachsenen Datenlage wurden die Evidenzgrade hierfür nun erhöht.

Stents und Zugangswege 

Neu ist, dass Drug Eluting Stents (DES) gegenüber Bare Metal Stents (BMS) generell der Vorzug gegeben werden sollte, unabhängig davon, wie lange die Gerinnung gehemmt wird. Bioresorbierbare Stents, sogenannte Scaffolds, werden aufgrund der problematischen Datenlage vorerst grundsätzlich nicht außerhalb von klinischen Studien eingesetzt.
Außerdem empfiehlt die neue Leitlinie, den Zugang über die Radialarterie für jeden Patienten zunächst als Standardverfahren heranzuziehen und sich nur aufgrund starker Argumente und prozeduraler Aspekte für einen femoralen Zugang zu entscheiden.
Auch im chirurgischen Bereich gewinnt die Radialarterie in den neuen Guidelines an Bedeutung, denn sie soll bei hochgradigen Stenosen eher für einen Bypass verwendet werden als eine Vene.

Gerinnungshemmende Therapie 

Im Gerinnungsbereich gibt es erstmals die Empfehlung, die neuen oralen Antikoagulantien (NOAKs) den Vitamin-K-Antagonisten bei Patienten vorzuziehen, die zusätzlich eine plättchenhemmende Therapie benötigen. Wir erleben in der Praxis durchaus noch, dass Patienten aufgrund der Berichterstattung zu angeblich erhöhten Blutungsrisiken unter NOAKs verunsichert sind. Es ist deswegen wichtig, noch einmal festzuhalten, dass gerade eben schwerwiegende Blutungsrisiken, wie die von Hirnblutungen, unter NOAKs deutlich geringer sind als unter Vitamin-K-Antagonisten. Das ist der entscheidende Grund, warum wir NOAKs bevorzugen.

Patientenwunsch 

Erstmals betont die neue Leitlinie die Bedeutung des Patientenwunsches bei der Wahl zwischen PCI und Bypass-Operation. Als Basis für die Empfehlung an unsere Patienten ziehen wir selbstverständlich rein wissenschaftliche Kriterien heran. Im klinischen Alltag begegnet es uns gelegentlich, dass Patienten, denen wir eine Operation empfehlen, den starken Wunsch nach einer interventionellen Behandlung äußern. Die Leitlinie betont jetzt, dass auf diesen Wunsch eingegangen und der Patienten nochmals sorgfältig durch die Mitglieder des „Heart Teams“ aufgeklärt werden soll. Wenn ein Patient so umfassend und gut aufgeklärt ist und auch um den Preis eines kleinen statistischen Nachteils im Langzeitverlauf weiter eine PCI wünscht, sollte man sie ihm nicht verwehren, wenn sie technisch sinnvoll durchführbar ist.