Beiträge der Herzkreislaufforschung zu den Fortschritten moderner Kardiologie
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Statement Prof. Dr. Thomas Eschenhagen (Hamburg?
Tagungspräsident der 84. Jahrestagung der DGK
Herz-Kreislauf-Erkrankungen zählen nach wie vor zu den häufigsten Todesursachen, trotz großer Behandlungserfolge in der Kardiologie. Um weiteren Fortschritte zu erreichen, muss Grundlagenforschung wieder ganz großgeschrieben werden.
Herz-Kreislauferkrankungen können besser behandelt werden denn je. Gemessen an den Therapie-Erfolgen hat die Herz-Kreislauf-Forschung in den letzten 20 Jahren große Fortschritte gemacht. So ging die Mortalität aufgrund von Herz-Kreislauf-Beschwerden beständig zurück. Doch in den letzten beiden Jahren scheint hier leider eine Art Talsohle erreicht zu sein.
Die Erfolge der Herz-Kreislauf-Medizin haben unterschiedliche Ursachen – von innovativen Medikamenten, einer besseren Versorgungsstruktur bis hin zur Verbreitung eines allgemein gesünderen Lebensstils. Da wir Herz-Kreislauf-Erkrankungen immer besser in den Griff bekommen, entsteht in der Öffentlichkeit und bei politischen Entscheidungsträgern oft der Eindruck, dass in diesem Bereich bereits alles geklärt sei. Dabei wird vergessen, dass Herz-Kreislauf-Erkrankungen nach wie vor zu den häufigsten Todesursachen zählen. Zudem steigt, im Gegensatz zu Krebs, die Zahl der Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit dem Alter immer mehr an und auch die Risikofaktoren Diabetes und Übergewicht nehmen weltweit kontinuierlich zu.
Außerdem verstehen wir nach wie vor nicht alle Herz-Kreislauf-Erkrankungen gut. Zum Beispiel wissen wir bei Patienten mit diastolischer Herzinsuffizienz, also bei jedem zweiten Fall von Herzinsuffizienz, nicht, was diese Krankheit genau ist. Die Patienten zeigen eine Symptomatik, ohne dass das Herz in seiner Pumpfunktion sichtbar eingeschränkt wäre. Dazu gibt es eine Menge Theorien, aber kein einziges Arzneimittel, das die Symptome, die Leistungsfähigkeit oder das Überleben verbessern würde.
Es ist erfreulich, wenn Herzinfarkt heute gut behandelbar ist. Allerdings sterben viele Menschen daran, ehe sie überhaupt ins Krankenhaus kommen, weil ihr kardiologisches Problem nicht erkannt wurde.
Grundlagenforschung weiter intensiv fördern
Bei der kardiovaskulären Medizin besteht zudem die Gefahr, immer mehr zur Versorgungs-Medizin zu werden. Kardiologen in Kliniken machen sehr viel in der Akuttherapie, was sehr gut ist und wozu sie auch von der Verwaltung angehalten werden. Zugleich schränkt das aber zunehmend ihre Möglichkeiten in der Forschung ein. Das ist in jenen medizinischen Disziplinen anders, in denen man weniger interventionell behandeln kann. Daher spreche ich mich vehement dafür aus, die Grundlagenforschung weiter intensiv zu fördern.
Schwerpunkte der DGK-Jahrestagung im Bereich Grundlagenforschung
Bibliometrische Messungen zeigen, dass die deutsche Herz-Kreislauf-Forschung derzeit in Bezug auf die Zahl von Publikationen hinter den USA den zweiten Rang belegt (etwa gleichauf mit Großbritannien). In den Bereichen Vorhofflimmern und Aortenklappen liegen die deutschen Forscher auf Platz zwei, bei der Herzinsuffizienz auf Platz vier, bei der Atherosklerose allerdings nicht unter den Top fünf.
Das Motto des diesjährigen Kongresses lautet: „Von der Grundlagenforschung zur Hochleistungsmedizin“. Damit wollte ich die beiden Pole ansprechen, zwischen denen sich die deutsche Herzmedizin bewegt. Es gab in den letzten Jahren große Investitionen in die Grundlagenforschung. Insbesondere für die translationale Forschung hat die deutsche Bundesregierung viel Geld in die Hand genommen. Das wirkt sich zwar noch nicht auf die Forschungsstatistiken aus, dennoch passieren derzeit in manchen deutschen Forschungsbereichen spannende Dinge. Beispielsweise präsentieren wir bei der Jahrestagung in einer Session die Forschungsentwicklungen zu den nicht kodierenden RNAs. Man hat mit Erstaunen festgestellt, dass das humane Genom zum überwiegenden Teil aus nicht kodierenden Bereichen besteht. Nur zwei bis drei Prozent dienen der Kodierung von Proteinen, alles andere ist regulatorisch. Durch die Erforschung der nicht kodierenden RNAs erhofft man, neues therapeutisches Potenzial für die Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu gewinnen.
Im Bereich der neuen Technologien ist die CRISPR/Cas9 Methode in letzten Jahren zu einem sehr wichtigen Tool geworden. Mit dieser Genom-Editierung kann man mit hoher Präzision und Effektivität Gensequenzen manipulieren und möglicherweise auch angeborene Gendefekte – etwa Kardiomyopathien – behandeln und zu einer definitiven Gentherapie kommen.
Genomik ist einer der Schwerpunkte der Jahrestagung. Im Bereich der genetischen Grundlagen gibt es sehr viele neue Erkenntnisse. Die entsprechende Session heißt aber nicht ohne Grund „Was kommt bei den Patienten an?“. Die Antwort sei vorweggenommen: bisher noch nicht sehr viel. In den großen Feldern Herzinfarkt, Hypertonie und Herzinsuffizienz kann man für die individuellen Patienten bislang nur in Ausnahmefällen Aussagen treffen.
Im Bereich der personalisierten Medizin und der „Big Data“ besteht aber die Hoffnung, durch die Auswertung großer Datenmengen individuelle Charakteristika frühzeitig erkennen und dadurch Krankheiten auch individuell therapieren zu können. Beispielhaft stehen dafür wiederum die angeborenen Herzkrankheiten. Wenn wir etwa schon früh sehen, ob jemand an einer hypertrophen oder einer dilatativen Kardiomyopathie leidet, so könnte man auch schon frühzeitig in die eine oder andere Richtung behandeln. Wir könnten uns vom jetzt vorherrschenden „one for all“-Prinzip verabschieden, das in der Regel erst viel später mit der Therapie einsetzt. Paradigmatisch für die individualisierte Therapie könnten die Erkenntnisse sein, die wir über die Behandlung seltener Herzerkrankungen gewinnen, da man hier bereits einen individuellen Therapieansatz verfolgt.
Beim großen Thema Vorhofflimmern war die letzte große Neuerung die Ablation, die mittlerweile aber auch schon seit zwanzig Jahren etabliert ist. Bei frühen Formen des Vorhofflimmerns erwies sie sich als sehr effizient, bei späten jedoch nicht. Daher arbeiten aktuell viele Forscher an gezielten neuen Ablations-Strategien.
Und schließlich bleibt das große Thema der Kardiologie die Regeneration des Herzmuskels. Jede Herzmuskelzelle, die im Laufe des Lebens vereinzelt oder bei Herzinfarkten in großer Zahl stirbt, ist definitiv verloren. Daher arbeitet die Forschung intensiv an Methoden, die sehr niedrige natürliche Regenerationsrate (<1% pro Jahr) zu stimulieren oder aus Stammzellen neue Herzmuskelzellen herzustellen und diese als Zellsuspension oder als Herzmuskelflicken in geschädigte Herzen einzubringen. Nach eher enttäuschenden Ergebnissen der Knochenmarkzelltherapie gibt es hier z.B. mit den pluripotenten Stammzellen neue berechtigte Hoffnung auf echte Erneuerung der Herzmuskelfunktion.