Auswirkungen der Verordnungspraxis von Antihypertonika auf die Trinkwasserqualität in Deutschland am Beispiel Berlins
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Dr. Sebastian Schimmelpfennig und Dr. Claudia Simon, Berlin
Die Berliner Wasserbetriebe versorgen 3,5 Mio. Einwohner mit Trinkwasser, das zu 70 % über Uferfiltration und Grundwasseranreicherung aus Grundwasser entnommen wird, das durch Oberflächengewässer beeinflusst ist. Aus diesem Grund hat die Qualität der Oberflächengewässer großen Einfluss auf die Trinkwasserqualität insbesondere in Berlin.
Mit dem Fortschritt in der Analysentechnik werden vermehrt anthropogene Spurenstoffe in den Oberflächengewässern detektiert, die trotz ihrer geringen Konzentrationen ein potentielles Risiko für die aquatische Umwelt und die Trinkwasserversorgung darstellen. Unter den meist Abwasser-bürtigen Substanzen befinden sich neben Industrie- und Haushaltschemikalien viele Arzneimittel und deren Transformationsprodukte. In der Vergangenheit (vor 2013) wurden bereits viele Arzneimittel in den Berliner Gewässern analysiert. Diese lagen meistens in niedrigen Konzentrationen vor (z.B. Primidon, Sulfamethoxazol), wurden bei der Uferfiltration biologisch abgebaut (z.B. Carbamazepin, Metoprolol) oder waren humantoxikologisch unbedenklich (z.B. Röntgenkontrastmittel). Seit wenigen Jahren werden jedoch vermehrt sehr polare, hoch wirksame, schlecht abbaubare und in hohen Mengen verordnete Arzneimittel und deren Rückstände in den Gewässern detektiert (z.B. Gabapentin seit 2013, Valsartan, Valsartansäure und Oxipurinol seit 2015). Die Konzentrationen dieser „neuen“ Substanzen liegen vielfach höher als die bisher analysierbaren Arzneimittelrückstände. Aus diesem aktuellen Anlass und im Besonderen wegen des Sartantransformationsproduktes Valsartansäure möchten sich die Berliner Wasserbetriebe (BWB) gemeinsam mit dem Landesamt für Gesundheit und Soziales Berlin (LAGeSo) an die Berliner Ärzte wenden.
Verordnungspraxis
Im Alter von 18 bis 79 Jahren leidet in Deutschland jeder Dritte an einer arteriellen Hypertonie (Bluthochdruck)[i]. Die Behandlung erfolgt in der Regel mit Medikamenten. In Deutschland werden jährlich 15 Mrd. Tagesdosen Antihypertonika (Blutdrucksenker) verordnet (Stand 2014, mittlere jährliche Steigerung seit 2007: 4,5 %)i. Zur Anwendung kommen ca. 64 Wirkstoffe aus 8 Wirkstoffgruppen. Die 3 häufigsten Wirkstoffgruppen sind ACE-Hemmer (38 %), Sartane (18 %) und Betablocker (15 %)i.
Die aus den Verordnungen resultierenden Wirkstoffmengen zeigen eine abweichende Verteilung, da die Wirkstoffkonzentrationen[ii] sehr unterschiedlich sind, z.B. 2,5 mg/DDD[iii] für Ramipril, den häufigsten ACE-Hemmer, oder 600 mg/DDD für Eprosartan. Die Frachten der Antihypertonika summieren sich in Deutschland auf über 400 t/Jahr, wobei mehr als die Hälfte davon von nur zwei Wirkstoffen verursacht wird: Metoprolol (150 t/Jahr, Betablocker) und Valsartan (70 t/Jahr). [Abb. 1–2]
Umwelt- und Trinkwasserrelevanz
Die verordneten Antihypertonika gelangen in der Regel durch die Ausscheidungen der Patienten über den Pfad Kanalisation-Kläranlage-Oberflächengewässer in den Wasserkreislauf. Die am Ende in die Umwelt emittierten Frachten reduzieren sich dabei durch im Körper und in der Kläranlage ablaufende Abbau- oder Umwandlungsprozesse, deren Intensität je nach Wirkstoff und Aufbereitungstechnologie sehr unterschiedlich ausfallen kann. Im Ablauf einer Berliner Kläranlage werden Wirkstoffmengen von Betablockern gemessen (z.B. Metoprolol), die um mehr als 90 % geringer sind als die verordneten Wirkstoffmengen, die von der im Einzugsgebiet der Kläranlage lebenden Bevölkerung emittiert werden. Bei den Sartanen werden hingegen die verordneten Wirkstoffmengen nahezu vollständig im Kläranlagenablauf wiedergefunden [Abb. 3]. Bei dieser Wirkstoffgruppe muss daher von einem sehr geringen bis keinem Rückhalt im menschlichen Körper und in den Kläranlagen ausgegangen werden. Aus diesem Grund kann Valsartansäure, ein Transformationsprodukt des Valsartans, in vergleichsweise hohen Konzentrationen in Oberflächengewässern nachgewiesen werden (1–3 µg/L)[iv] und stellt daher ein potentielles Risiko für aquatische Lebewesen dar. Eine ökotoxikologische Risikobewertung liegt jedoch noch nicht vor.
Auch bei der Uferfiltration zum Zwecke der Trinkwassergewinnung ist nur eine geringe Abbaubarkeit der Sartane festzustellen. Im Gegensatz dazu wird Metoprolol vollständig im Untergrund zurückgehalten. Aus diesem Grund ist Valsartansäure im Gegensatz zu Metoprolol trinkwasserrelevant und stellt ein humantoxikologisches Risiko dar. Seit 2015 liegt eine Risikobewertung des Umweltbundesamtes [v] vor. Demnach beträgt der Gesundheitliche Orientierungswert (GOW) für Valsartansäure im Trinkwasser 0,3 µg/L und sollte nicht überschritten werden. [Abb. 4]
Valsartan ist aufgrund seiner spezifischen Eigenschaften und steigenden Verordnungsmengen derzeit das einzige Antihypertonika, das die Qualität der Trinkwasserressourcen in Deutschland gefährden kann.
Handlungsoptionen
Prinzipiell stehen End-of-pipe-Technologien zur Reduzierung der in die Umwelt abgegebenen Arzneimittel zur Verfügung, z.B. Ozonung oder Aktivkohleadsorption im Klärwerk oder im Wasserwerk. Diese Verfahren sind jedoch kosten- und energieintensiv, widersprechen dem Verursacherprinzip und sind für Valsartansäure leider ineffektiv (schlechte Entfernbarkeit durch Aktivkohle, mittlere Entfernbarkeit durch Ozonung)[vi].
Im speziellen Fall von Valsartan ist eventuell eine effiziente Maßnahme an der Quelle möglich: eine Anpassung der Verordnungspraxis durch die behandelnden Ärzte.
Valsartan hat einen Anteil von nur 6 % an den in Deutschland verordneten Antihypertonika, d.h. 94 % der verordneten Tagesdosen für Bluthochdruckpatienten erfolgt bereits mit Medikamenten, die die Trinkwasserressourcen nicht gefährden. Neben anderen Wirkstoffgruppen, z.B. ACE-Hemmern, stehen auch innerhalb der Sartane alternative Wirkstoffe zur Verfügung. Prädestiniert ist in diesem Fall die Substitution durch Candesartan, da es unter den Sartanen die geringste Wirkstoffkonzentration je Tagesdosis aufweist (Faktor 10–18 geringer als Valsartan) und zum gleichen Preis wie Valsartan erhältlich ist (keine Mehrkosten für Patienten oder Krankenkassen).
Letztendlich bleibt die Entscheidung zur Auswahl des geeigneten Blutdrucksenkers beim behandelnden Arzt.
Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz und Kreislaufforschung e.V. (DGK) mit Sitz in Düsseldorf ist eine gemeinnützige wissenschaftlich medizinische Fachgesellschaft mit mehr als 10.000 Mitgliedern. Sie ist die älteste und größte kardiologische Gesellschaft in Europa. Ihr Ziel ist die Förderung der Wissenschaft auf dem Gebiet der kardiovaskulären Erkrankungen, die Ausrichtung von Tagungen die Aus-, Weiter- und Fortbildung ihrer Mitglieder und die Erstellung von Leitlinien. Weitere Informationen unter www.dgk.org
[i] Arzneiverordnungs-Report 2015, Schwabe, Paffrath, Springer-Verlag Berlin
[ii] laut amtlicher Fassung des ATC-Index mit DDD-Angaben für Deutschland im Jahre 2016, Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO) im Auftrag des DIMDI
[iii] DDD, definierte Tagesdosis (defined daily dose), Die definierte Tagesdosis basiert auf der Menge eines Wirkstoffes, die typischerweise für die Hauptindikation bei Erwachsenen pro Tag angewendet wird (Erhaltungsdosis, ambulante Dosis).
[iv] Drucksache 17/16749 des Abgeordnetenhauses von Berlin; http://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/17/SchrAnfr/s17-16749.pdf
[v] GOW-Liste des Umweltbundesamtes, Stand August 2017
[vi] Vorläufige Beurteilung der Entfernbarkeit von Valsartansäure nach derzeitiger Datenlage; Forschungsprojekt TestTools; http://www.kompetenz-wasser.de/TestTools.596.0.html