Inzidenz und klinische Bedeutung von unbehandelten Kammertachykardien bei ICD/CRT-D-Patienten unter zurückhaltender antitachykarder Programmierung
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Dr. Deborah Groteloh, Nauen
Es ist gut belegt, dass Patienten mit überlebtem plötzlichem Herztod und solche mit schwerer Herzinsuffizienz durch einen implantierten Cardioverter-Defibrillator (ICD) wirksam vor dem plötzlichen Herztod bewahrt werden können. Aus den frühen Studien zur ICD-Therapie (MADIT, MADIT-2, SCD-HeFT) ergab sich als signifikantes Ergebnis, dass der ICD bei definierten Risikopatienten das Überleben verbessert.
Aber zugleich zeigte es sich, dass bei vielen Patienten, 18% in MADIT-2 und über 30% in SCD-HeFT, inadäquate Therapieepisoden auftreten. Zusätzlich wurde aus der initialen wissenschaftlichen Evaluation nicht klar, welche Schocks wirklich lebenserhaltend waren und ob nicht einige Therapien zwar technisch adäquat, aber dennoch für die Prognose des Patienten unnötig waren. Es ist unmittelbar einfühlbar, dass bewusst erlebte Defibrillatorschocks äußerst unangenehm sind. In Sekundäranalysen der grundlegenden Defibrillatorstudien wurde außerdem aber nachgewiesen, dass inadäquate und adäquate Schocks mit ungünstiger Prognose assoziiert sind.
Entsprechend lag in den letzten Jahren der wissenschaftliche Focus auf dem vielleicht im ersten Moment etwas paradox anmutenden, aber sehr nachvollziehbaren Ziel, ICD-Therapieepisoden möglichst zu vermeiden, ohne die Schutzwirkung des ICD zu beeinträchtigen. Das zur Abgabe lebenserhaltender Schocks implantierte Gerät sollte möglichst gar nicht in Aktion treten. In der MADIT-RIT-Studie und der ADVANCE III-Studie wurde gezeigt, dass durch Verlängerung der Tachykardiedetektion vor Therapieabgabe und durch Programmierung einer hohen Frequenzgrenze für die Detektion von Kammertachykardien (VTs) die Zahl inadäquater und unnötiger Therapien (sowohl Schocks, als auch antitachykarde Überstimulation) massiv gemindert werden konnte. In MADIT-RIT konnte durch eine hohe Detektionsfrequenz sogar die Sterblichkeit signifikant gemindert werden. Seither wird eine zurückhaltende antitachykarde Programmierung empfohlen. Umfangreiche auf Telemonitoring basierte Daten zeigen aber, dass die Zurückhaltung in der antitachykarden Therapie offenbar auf Skepsis stößt und nicht flächendeckend umgesetzt wird. Dass auf eine Behandlung von Kammertachykardien durch Schocks, aber auch durch antitachykarde Stimulation, bei einer Frequenz unter 200 bpm bei vielen Patienten verzichtet werden kann und/oder lange Detektionszeiten bis zu 60 s in der VT-Zone programmiert werden können, schien für viele Rhythmologen der Intuition sehr zu widersprechen. Könnten nicht hierdurch vermehrt Synkopen auftreten und lebensbedrohliche Tachykardien akzeptiert werden?
Ziel der vorliegenden Pilotstudie war es zu überprüfen, ob bei der Implementierung therapievermeidender Programmierstrategien in den therapeutischen Alltag der ICD- und CRT-D-Therapie die in randomisierten Studien gezeigten günstigen Effekte und die Sicherheit hoher Detektionsfrequenzen und langer Detektionszeiten reproduzierbar sind.
Hierfür wurden bei 55 unselektierten Patienten (30 mit ICD, 25 mit CRT-D-Systemen, mediane LVEF 30%, 23% weiblich, 75% mit Koronarer Herzerkrankung) eine ausführliche detaillierte Analyse und elektrogrammbasierte Validierung von interkurrenten nichttherapierten VTs unternommen. Bei den Patienten waren unterschiedliche Strategien zur Therapievermeidung und zusätzlich eine Monitorzone zur Dokumentation nichttherapierter Episoden programmiert. Ein langes Detektionsintervall war bei 46 (84%) eingestellt. Bei 25 (46%) wurde eine niedrigste Detektionsfrequenz >/= 200/min gewählt, und bei 22 (40%) waren sowohl verlängerte Detektion, als auch eine hohe Detektionsfrequenz als Strategien zur Therapievermeidung implementiert. Es wurde die Zeit bis zum ersten Auftreten einer nichttherapierten VT mittels Kaplan-Meyer-Analyse evaluiert. Zusätzlich wurden Zykluslänge und Dauer der ersten Episode, das Auftreten von VTs mit CL >300ms und </=300ms sowie die längste Dauer dieser unbehandelten VT-Episoden dokumentiert.
Die mittlere Nachverfolgungszeit lag bei 22 Monaten. Während dieser Zeit trat bei mehr als der Hälfte der Patienten zumindest eine VT auf. Abb. 1 zeigt das Überleben der Patienten ohne eine erste unbehandelte VT-Episode. Die mittlere Zykluslänge der ersten VT lag bei 290ms und die mittlere Länge der VTs bei 22 Schlägen. Bei 20 Patienten (36%) trat eine VT mit einer Zykluslänge > 300ms auf (im Mittel über 21 Schläge) und 18 (33%) erlitten eine VT mit einer Zykluslänge </=300ms (im Mittel über 23 Schläge). Zwei Patienten verstarben im Verlauf, einer aufgrund eines fortgeschrittenen Bronchialkarzinoms und einer in der terminalen Herzinsuffizienz. Ein Patient berichtete eine Synkope nach Miktion, die nicht mit einer gespeicherten Arrhythmie korreliert war. Ein Patient mit multiplen schnellen unbehandelten VTs berichtete rezdivierende arrhythmieassoziierte paroxysmale Schwindelzustände ohne Synkope.
Schlussfolgernd lässt sich aus dieser limitierten Pilotstudie herleiten, dass nichttherapierte VTs bei der Mehrheit einer unselektierten Alltagskohorte von ICD- und CRT-D-Patienten innerhalb von weniger als 2 Jahren unter langer VT-Detektion und/oder hoher Detektionsfrequenz auftreten, aber offenbar regelhaft asymptomatisch oder oligosymptomatisch toleriert werden. Auch kann die Sicherheit solcher zurückhaltender antitachykarder Therapiestrategien in einem „real world scenario“ aus den vorliegenden Daten vorläufig bestätigt werden. Größere Studien zur Bewertung nichttherapierter VTs sind sinnvoll.
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