Typ-2-Diabetes: Neue Medikamente senken die kardiovaskuläre Sterblichkeit
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Statement PD Dr. Michael Lehrke, Universitätsklinikum Aachen
DGK-Pressekonferenz, Freitag 7. Oktober 2016
Diabetiker haben ein erhöhtes Risiko, Herz-Kreislauferkrankungen zu entwickeln. Ein erhöhter Blutzuckerspiegel muss schon deshalb unbedingt behandelt werden. Doch leider haben wir über viele Jahre in zahlreichen Studien gesehen, dass eine Zuckersenkung alleine das Herz-Kreislaufrisiko von Diabetikern nicht reduziert. In einigen Studien gab es bei Patienten, bei denen der Blutzucker besonders deutlich gesenkt wurde, sogar mehr Todesfälle, als bei einer moderateren Einstellung des Diabetes. In diesen Studien haben wir gelernt, dass eine intensivierte Diabetestherapie insbesondere im frühen Krankheitsverlauf einen Benefit bringt, während bei langer Diabetesdauer mit bereits aufgetretenen Komplikationen kein zusätzlicher Nutzen erreicht wird. Dies hat zu einer individualisierten Diabetestherapie geführt.
Mittlerweile wissen wir aber, dass es nicht nur darum geht, ob der Blutzuckerspiegel gesenkt wird, sondern auch darum, wie dies geschieht. Mit anderen Worten: Unterschiedliche in der Behandlung des Typ-2-Diabetes eingesetzte Medikamente beeinflussen das Herz-Kreislaufrisiko in unterschiedlichem Maße.
Zwei der in den vergangenen Jahren neu eingeführte Substanzklassen führen in Studien zu einer signifikanten kardiovaskulären Risikoreduktion. Das sind zum einen die SGLT2-Inhibitoren, die an der Niere wirken und dafür sorgen, dass überflüssige Glukose mit dem Harn ausgeschieden wird, und zum anderen die GLP1-Rezeptoragonisten, die die Wirkung des Inkretin-Hormons GLP-1 (Glucagon-like Peptid 1) im Körper imitieren. Sie erhöhen die Glukose-abhängige Insulinausschüttung des Pankreas, verlangsamen die Passage von Nahrung durch den Magen und besitzen kardioprotektive Eigenschaften. Während SGLT2-Inhibitoren geschluckt werden, müssen die GLP1-Rezeptoragonisten regelmäßig unter die Haut injiziert werden.
Sicherheitsstudien verändern die therapeutische Landschaft
Seit einigen Jahren werden von den Zulassungsbehörden Studien mit kardiovaskulären Endpunkten wie Herzinfarkt oder kardiovaskulärem Tod gefordert. Der Hintergrund war ursprünglich, dass man ganz sichergehen wollte, dass die neuen Substanzen nicht vielleicht das Risiko sogar erhöhen. Dadurch ist das Wissen, das wir über die einzelnen Substanzen haben, enorm gestiegen. Von einigen neuen Medikamenten wissen wir jetzt, dass sie sicher sind, bei anderen haben wir gelernt, dass sie das Leben der Patienten verlängern und kardiovaskuläre Ereignisse verhindern. Entscheidender Weise treten diese günstigen Wirkungen unabhängig von der Blutzuckersenkung auf. Wir dürfen davon ausgehen, dass diese Daten den Behandlungs-Algorithmus für Typ-2-Diabetes deutlich verändern werden.
Die erste dieser Studien war EMPA-REG OUTCOME mit dem SGLT2-Inhibitor Empaglifozin. Die Auswertung zeigte bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und makrovaskulärer Vorerkrankung eine signifikante Senkung des kombinierten Risikos von kardiovaskulär bedingtem Tod, nicht-tödlichen Myokardinfarkten oder nicht-tödlichen Schlaganfällen (also den primären Endpunkt 3 Point MACE) um 14 Prozent. Die kardiovaskuläre Mortalität wurde um 38 Prozent verringert. Darüber hinaus konnten durch eine Behandlung mit Empagliflozin das Risiko der Gesamtsterblichkeit um 32 Prozent und das Risiko für Krankenhauseinweisungen wegen Herzinsuffizienz um 35 Prozent verringert werden, während die Herzinfarkt- und Schlaganfall-Häufigkeit nicht relevant verändert wurde. Dieses Ergebnis war in dieser Form nicht vorhersehbar und wird auch nicht völlig verstanden. Mehrere Hypothesen werden diskutiert. Unter anderem entfalten SGLT2-Inhibitoren eine blutdrucksenkende, diuretische Wirkung. Diese reicht allerdings nicht aus, um den Effekt zu erklären. Des Weiteren werden Wirkungen über das Zusammenspiel von Herz und Niere, vegetativem Nervensystem und des kardialen Metabolismus diskutiert. Ein Schutz der Nierenfunktion von Patienten mit Diabetes konnte ebenfalls durch die SGLT2-Inhibition nachgewiesen werden.
Bei den GLP1-Rezeptoragonisten zeigt sich ein ähnliches Bild. Hier konnte für das lang wirksame Liraglutid und das sehr lang wirksame Semaglutid eine Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse demonstriert werden, was für Liraglutid mit einer Senkung der kardiovaskulären und der Gesamtmortalität einherging. Dies wird vermutlich über einen anderen Mechanismus als unter der SGLT2-Inhibition vermittelt. So ließen sich insbesondere unter einer Behandlung mit Semaglutid vaskuläre Ereignisse wie der Schlaganfall senken, während das Auftreten einer Herzinsuffizienz jedoch nicht beeinflusst wurde. Auch hier ist der relevante Wirkungsmechanismus noch nicht verstanden und es ist weitere Forschung erforderlich.
In neuen Therapie-Algorithmen für den Typ-2-Diabetes wird das bewährte Metformin bis auf weiteres Substanz der ersten Wahl bleiben. Die SGLT2-Inhibitoren könnten in Zukunft einen weiteren Schritt nach vorne machen und in Kombination mit Metformin schon relativ früh im Krankheitsverlauf zum Einsatz kommen, gefolgt von den GLP1-Rezeptoragonisten. Insulin wird weiterhin beim Typ-2-Diabetes die letzte Option bleiben.
Quellen: Zinman B, et al. Empagliflozin, Cardiovascular Outcomes, and Mortality in Type 2 Diabetes. N Engl J Med. 2015 Nov 26;373(22):2117-28; Wanner C et al. Empagliflozin and Progression of Kidney Disease in Type 2 Diabetes. N Engl J Med. 2016 Jul 28;375(4):323-34. Marso SP et al. Liraglutide and Cardiovascular Outcomes in Type 2 Diabetes. N Engl J Med. 2016 Jul 28;375(4):311-22; Marso SP et al. Semaglutide and Cardiovascular Outcomes in Patients with Type 2 Diabetes. N Engl J Med. 2016 Sep 15. [Epub ahead of print]