Therapie der Hypercholesterinämie bei Hochrisikopatienten in Deutschland: Leitlinien vs. Versorgungsrealität
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Dr. Galin V. Michailov, München
Hintergrund und Studienziel:
Kardiovaskuläre (KV) Erkrankungen stellen nach wie vor die häufigste Ursache für vorzeitige Mortalität und Morbidität in Deutschland dar. Ein Faktor bei der Entstehung und dem Voranschreiten der Atherosklerose sind Störungen im Lipidstoffwechsel, die durch eine entsprechende Lebensstiländerung und/oder eine adäquate medikamentöse Therapie beeinflussbar sind. Statine stellen heutzutage aufgrund der konsistenten und ausgeprägten Senkung des Low Density Lipoprotein (LDL), sowie in zahlreichen großen klinischen Studien nachgewiesenen Reduktion von kardiovaskulären Ereignissen, den Goldstandard für die Behandlung von Patienten mit einer Hypercholesterinämie dar. Hochrisikopatienten mit deutlich erhöhten LDL-Cholesterinwerten benötigen neben Diät, Bewegung und Gewichtsreduktion nahezu immer noch eine zusätzliche, medikamentöse Therapie, um die angestrebten Zielwerte von LDL <70 mg/dl[[1]] bzw. LDL <100 mg/dl[2] zu erreichen. Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, die Therapie der Hypercholesterinämie in Deutschland zu evaluieren.
Methoden und Ergebnisse:
Für diese retrospektive Auswertung wurde eine repräsentative Stichprobe von 64.053 anonymisierten Patientenprofilen aus 815 Allgemeinmedizinerpraxen herangezogen. Eingeschlossen wurden Patienten mit primärer Hypercholesterinämie (ICD-10 Codes: E78.0, E78.2, E78.4, E78.5, E78.8 und E78.9) und aktuell gemessenen LDL-Werten. Für die Identifikation von Hochrisikopatienten wurden die DGK/ESC-Leitlinien herangezogen. Dabei wurden Primärpräventionspatienten mit einem bekannten Diabetes mellitus Typ2 (DM2) separat von den zwei Gruppen der Sekundärpräventionspatienten (KVK und KVK plus zusätzliche Risikofaktoren (KVK+)) betrachtet. Innerhalb dieser drei Hochrisikogruppen wurden die Patienten weiterhin in drei Therapiegruppen eingeteilt: keine lipidsenkende Therapie (ØLT), moderate lipidsenkende Therapie (MLT) oder intensive lipidsenkende Therapie (ILT). Als Unterscheidungsgrenze zwischen MLT und ILT wurde eine Therapie mit min. Simvastatin 40 mg/dl (oder äquivalent) oder eine Kombinationstherapie aus zwei Lipidsenkern gewählt. Die Ergebnisse konnten aufgrund der Repräsentativität der Stichprobe auf die gesamte deutsche Bevölkerung extrapoliert werden.
Laut unserer Hochrechnung leben in Deutschland ca. 2,5 Mio. Hypercholesterinämie-Patienten, die ein sehr hohes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse aufweisen und den empfohlenen LDL-C-Zielwert <100 mg/dl bzw. 70 mg/dl nicht erreichen. Die KVK+-Patienten stellen mit 51% die größte Gruppe der Hochrisikopatienten dar und tragen gleichzeitig das höchste KV-Risiko aufgrund ihrer Risikokonstellation mit mehr als einen Hochrisikofaktor (Abb. 1). Diesem Umstand Rechnung tragend ist der relative Anteil an nicht-therapierten Patienten innerhalb dieser Gruppe mit 15% am geringsten und nimmt in Richtung der Primärpräventionsgruppe (DM2) auf ca. 29% zu (Abb. 2). Bei Betrachtung der LDL-Intervalle (30 mg/dl) stellt man allerdings fest, dass der relative Anteil an Patienten ohne Therapie von ca. 9% im ersten Intervall auf ca. 36% im letzten Intervall ansteigt (Abb. 3). Insgesamt gibt es in Deutschland ca. 173.000 Hochrisikopatienten, die trotz einer maximalen lipidsenkender Therapie einen LDL-Wert von ≥160 mg/dl aufweisen (siehe Tab. 1).
Zusammenfassung:
Bei Hochrisikopatienten mit sehr hohen LDL-Werten ist eine Therapie selbst mit hochpotenten Statinen häufig nicht ausreichend. Nach wie vor erhalten in Deutschland viele Hochrisikopatienten keine medikamentöse Therapie und ihr relativer Anteil nimmt sogar mit steigenden LDL-Werten zu. Andere verfügbare lipidsenkende Substanzen bringen derzeit nur eine geringe bis moderate zusätzliche LDL-Senkung und können bei Hochrisikopatienten mit initial sehr hohen LDL-Werten (LDL ≥ 160 mg/dl) nicht die gemäß Leitlinien erforderliche LDL-Senkung erzielen. Diese Patienten benötigen zu ihrer vorhandenen lipidsenkenden Therapie neue wirksame Therapieoptionen, um das bestehende hohe Risiko für neue kardiovaskuläre Ereignisse zu reduzieren.
Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz und Kreislaufforschung e.V. (DGK) mit Sitz in Düsseldorf ist eine gemeinnützige wissenschaftlich medizinische Fachgesellschaft mit mehr als 9000 Mitgliedern. Sie ist die älteste und größte kardiologische Gesellschaft in Europa. Ihr Ziel ist die Förderung der Wissenschaft auf dem Gebiet der kardiovaskulären Erkrankungen, die Ausrichtung von Tagungen, die Aus-, Weiter- und Fortbildung ihrer Mitglieder und die Erstellung von Leitlinien. Weitere Informationen unter www.dgk.org.
[1] European Society of Cardiology, European Guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice. European Heart Journal, 2012. 33.
2 AKdÄ, Empfehlungen zur Therapie von Fettstoffwechselstörungen. Arzneiverordnung in der Praxis, 2012. 39.