Risikostratifizierung und invasive Diagnostik bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom und ansteigenden oder abfallenden Troponin T-Werten
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Dr. med. Moritz Biener, Heidelberg
Die Versorgung von Patienten mit akutem Koronarsyndrom ist eine Herausforderung. Neben der großen Variabilität der klinischen Symptomatik ist insbesondere das unterschiedliche Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko, das mit der zugrundeliegenden Erkrankung assoziiert ist, ein Grund hierfür. Dabei ist die Identifikation von Patienten mit einem hohen kardiovaskulären Risiko von herausragender Bedeutung, da gezielte invasive Diagnostik und medikamentöse Therapie mit einer besseren Prognose verbunden sind (1). Europäische Leitlinien empfehlen daher, das individuelle Risiko mittels validierter Risikoscores wie dem GRACE-Score zu bestimmen (2-4). Diese Beurteilungssysteme haben jedoch den Nachteil, dass sie nicht alle Aspekte des Patienten mit akutem Koronarsyndrom abbilden. Die zusätzliche Berücksichtigung von kardialen Biomarkern wie hochsensitivem kardialem Troponin T könnte zu einer verbesserten Risikobewertung von ACS-Patienten führen, da erhöhte Werte mit einer schlechteren Prognose assoziiert sind (5-6). Ziel unserer Studie war es, die prognostische Bedeutung von ansteigenden und abfallenden Troponinänderungen sowie die Assoziation mit invasiver Diagnostik zu analysieren. Hierfür wurden insgesamt 3327 Patienten, die sich in einem 6-Monats-Zeitraum in unserer kardiologischen Notaufnahme (Chest Pain Unit) vorstellten, auf die Möglichkeit eines Studieneinschlusses überprüft. Eingeschlossen wurden 572 Patienten, die sich entweder mit dem Verdacht auf ein akutes Koronarsyndrom (außer STEMI) oder mit akuten Symptomen sowie einem Troponinwert bei Aufnahme ≥ 14 ng/L vorstellten und entweder kontinuierlich steigende (n=254, 44.4%), kontinuierlich fallende (n=224, 39.2%) oder steigende Werte gefolgt von einem Abfall (n=94, 16.4%) aufwiesen. Die Risikostratifizierung erfolgte durch den zuständigen Arzt der Notaufnahme unter Berücksichtigung des Troponinwertes bei Aufnahme, kinetischer Änderungen, des GRACE-Scores sowie der klinischen Präsentation. Während eines mittleren Follow-ups von 407 Tagen wurden 15 Todesfälle, 5 Re-Myokardinfarkte sowie 18 Fälle des kombinierten Endpunktes (Tod oder Myokardinfarkt) registriert. Weder ansteigende noch abfallende Änderungen führten zu einer Verbesserung der niedrigen prognostischen Aussagekraft der Aufnahmewerte (AUC: steigend: 0.562 vs. 0.561, p=ns, Abb. 1, abfallend: 0.533 vs 0.575, p=ns, Abb. 2). Dennoch wurde bei Patienten mit steigenden Troponinänderungen eine Koronarangiografie früher durchgeführt, als bei Patienten mit fallenden Werten (Zeit bis zur Koronarangiografie [min]: 820.6, 95%CI: 328.4-1679.6 vs. 1247.5, 95%CI: 380.6-3540.6, p=0.001). In einem logistischen Regressionsmodell, das unter anderem den GRACE-Score berücksichtigte, wurde eine Kombination aus Aufnahme-Troponinwert und steigenden kinetischen Änderungen als wichtigster Prädiktor einer Koronarangiografie innerhalb 24 Stunden identifiziert. Demnach verbessern weder steigende noch fallende Troponinänderungen die Risikostratifizierung von Patienten, die sich mit einem akuten Koronarsyndrom in der Notaufnahme vorstellen. In der klinischen Praxis scheinen steigende Troponinwerte jedoch ein höheres kardiovaskuläres Risiko zu suggerieren und stimulieren – entsprechend den Empfehlungen der europäischen Leitlinien – eine frühere invasive Diagnostik.
Literatur:
1. Mehta SR, Cannon CP, Fox KA, Wallentin L, Boden WE, Spacek R, Widimsky P,
McCullough PA, Hunt D, Braunwald E, Yusuf S. Routine vs selective invasive strategies in patients with acute coronary syndromes: a collaborative meta-analysis of randomized trials. JAMA 2005;293:2908–2917.
2. Hamm CW, Bassand JP, Agewall S et al. ESC Guidelines for the management of acute coronary syndromes in patients presenting without persistent ST-segment elevation: The Task Force for the management of acute coronary syndromes (ACS) in patients presenting without persistent ST-segment elevation of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J. 2011; 32:2999-3054.
3. Fox KA, Clayton TC, Damman P, Pocock SJ, de Winter RJ, Tijssen JG, Lagerqvist B, Wallentin L. Long-term outcome of a routine versus selective invasive strategy in patients with non-ST-segment elevation acute coronary syndrome a meta-analysis of individual patient data. J Am Coll Cardiol 2010;55:2435–2445.
4. Fox KA, Dabbous OH, Goldberg RJ, Pieper KS, Eagle KA, Van de Werf F, Avezum A, Goodman SG, Flather MD, Anderson FA Jr, Granger CB. Prediction of risk of death and myocardial infarction in the six months after presentation
with acute coronary syndrome: prospective multinational observational study
(GRACE). BMJ 2006;333:1091.
5. Agewall S, Giannitsis E, Jernberg T, Katus H. Troponin elevation in coronary vs.
non-coronary disease. Eur Heart J. 2011; 32: 404-11.
6. Celik S, Giannitsis E, Wollert KC et al. Cardiac troponin T concentrations above
the 99th percentile value as measured by a new high-sensitivity assay predict longterm prognosis in patients with acute coronary syndromes undergoing routine early invasive strategy. Clin Res Cardiol. 2011; 100: 1077-85.
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