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Wissenschaftsbetrug: Bessere Früherkennung, schärfere Sanktionen und eine „Kultur der Redlichkeit“

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Mannheim, Donnerstag, 4. April 2013 – Immer wieder kommt es vor, dass frei erfundene Resultate den Weg in  renommierte  Journale finden oder zur Vergabe von Fördermitteln führen. „Wissenschaftsbetrug ist verlockend, lässt sich doch schwierig kontrollieren, wie die Daten erhoben wurden. Und immer wieder gibt es Beispiele dafür, wie leicht es ist, Daten einfach zu erfinden und dann auch noch hervorragend zu publizieren. Deshalb ist Wissenschaftsbetrug auch besonders schwerwiegend, zumal das ganze Wissenschaftssystem auf Vertrauen in die Ehrlichkeit der Wissenschaftler beruht“, sagt Prof. Georg Ertl (Würzburg), Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie auf einer Pressekonferenz der 79. Jahrestagung der DGK in Mannheim. Darüber hinaus kann Wissenschaftsbetrug zu überflüssigen und falsch angelegten Folgearbeiten führen, die ihre Konzepte auf falschen Voraussetzungen aufbauen. „Im Bereich der medizinischen Forschung kommt noch dazu, dass gefälschte Studienergebnisse direkt Patienten gefährden können“, so Prof. Ertl.

In der medizinischen Forschung kann man im Wesentlichen auf zwei Formen wissenschaftlichen Betruges stoßen: Plagiate und gefälschte Resultate. Dabei geht es aktuell in Deutschland um eine geringe Zahl von Fällen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) bearbeitet pro Jahr rund 18.000  Projekte.  Dr. Robert Paul Königs von der DFG in Bonn: „Darunter finden wir weniger als zehn Fälle von betrügerischem Fehlverhalten. Für ganz Deutschland liegen keine genauen Zahlen vor. Eine aktuelle Untersuchung der National Science Foundation der USA fand in 8.000 betrachteten Anträgen 100 Fälle von Plagiatsverdacht, das sind 1,25 Prozent. Diese Zahl liegt zwar höher als erwartet, zeigt jedoch auch, dass die allermeisten Wissenschaftler redlich arbeiten.“

Clevere Wissenschaftsbetrüger sind kaum zu erkennen

Prof. Hubert Blum (Freiburg) unterstreicht, wie groß die Schwierigkeiten sind, die gerissene Betrüger der Forschergemeinschaft antun können: „Sind die ‚Betrüger‘ clever, ist der Betrug bei der Beurteilung der eingereichten Arbeit selbst durch internationale Experten nicht zu erkennen. Der Betrug wird dann – oft erst Jahre später – nachweisbar.“ Aufgrund dieser Erfahrungen gibt es institutionalisierte Mechanismen, mit denen die Qualität von Forschungsergebnissen vor deren Publikation beurteilt und gesichert werden soll. Wichtigstes Instrument ist dabei der Peer Review als mehrstufiges Gutachtenverfahren, so Prof. Blum.

Dieses wird zum Beispiel bei der Deutschen Medizinischen Wochenschrift (DMW) von Schriftleitung, Herausgeber, Redaktion und Chefredaktion in Zusammenarbeit mit externen Experten durchgeführt. „Ziel dieses Verfahrens ist die Qualitätssicherung durch einen moderierten wissenschaftlichen Dialog auf der Basis von Sachargumenten. Hierbei werden die eingesetzten Methoden, inkl. Statistik, Materialien und ggf. Patientendaten ebenso evaluiert wie die Übereinstimmung von Forschungsergebnissen und Schlussfolgerungen. Ggf. werden zur Qualitätssicherung von Forschungsergebnissen bzw. zur Sicherung von Aussagefähigkeit und Schlussfolgerungen vor der Publikation weitere Experimente oder Daten gefordert.

Die sichere Erkennung von Unredlichkeit in der Wissenschaft oder von vorsätzlicher Fälschung ist jedoch auch durch den Peer Review nicht möglich, sagt Prof. Blum. Deshalb versuchen die Publikationsorgane durch weitere Maßnahmen die Qualität und Publikationswürdigkeit von Studienergebnissen zu sichern: Dazu gehört die schriftliche Bestätigung der Richtigkeit und Originalität der Daten sowie des individuellen Beitrags aller Autoren zur Publikation. Und die Bestätigung der Registrierung der zu publizierenden Studie in einem anerkannten nationalen oder internationalen Studienregister nach positivem Votum der Ethikkommission.

Um Betrug in der Praxis feststellen zu können, gibt es heute eine Reihe von Hilfsmitteln, so Professor Jürgen Schrader (Düsseldorf): Computersoftware kann Plagiate finden, man erkennt gespiegelte oder wiederverwendete Grafiken, kann Statistiken überprüfen und weit mehr. „In der Regel hat man aber zunächst nur Hinweise, dass mit einer bestimmten Publikation etwas nicht stimmt. In solchen Fällen ist eine genaue Prüfung angesagt. Diese übernimmt an den Universitäten üblicherweise eine ‚Kommission für gute wissenschaftliche Praxis‘“.

Kultur der Redlichkeit fördern

Prof. Blum: „Perspektivisch geht es meines Erachtens in erster Linie darum, die ‚Kultur der Redlichkeit‘ in Wissenschaft und Forschung zu fördern und einzufordern. Diese Kultur muss bereits am Anfang des Medizinstudiums und des wissenschaftlichen Arbeitens, z. B. vor Beginn einer Dissertationsarbeit, thematisiert und vermittelt werden. Die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis sind deshalb Teil der akademischen Lehre und der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses.“

Empfindliche Sanktionen bei wissenschaftlichem Fehlverhalten

Trotz aller Präventivmaßnahmen kommt es aber doch immer wieder vor, dass im Zuge der Antragstellung bei der DFG wissenschaftliches Fehlverhalten aufgedeckt wird. In solchen Fällen können relativ empfindliche Sanktionen verhängt werden. Dr. Königs: „Beispielsweise kann den Schuldigen die Antragsberechtigung bei der DFG auf Zeit aberkannt werden. Vor allem aber nimmt die Reputation erheblichen Schaden, wenn eine Fälschung oder ein Plagiat nachgewiesen sind. Und das ist im Wissenschaftsbetrieb nach wie vor ein ziemlich scharfes Schwert.“

Die deutschen Universitäten haben sich in unterschiedlichem Ausmaß ein Regelwerk gegeben, das zum Teil sehr genau festlegt, was Fehlverhalten in der Wissenschaft ausmacht. Wenn eine Universität begründete Hinweise hat, dass nicht regelkonform gearbeitet wurde, dann kann/muss auch die jeweilige Fachgesellschaft aktiv werden. Prof. Schrader: „Das kann im schlimmsten Fall bedeuten, dass eine Mitgliedschaft entzogen wird, bei minder schweren Verstößen wird man sich ein abgestuftes Vorgehen überlegen. Zu meiner Freude muss ich sagen, dass wir in der DGK bislang nicht tätig werden mussten.“

Maßstäbe werden immer strenger

Die an wissenschaftliches Arbeiten angelegten Maßstäbe sind in den letzten Jahren strenger geworden. So muss heute klar dokumentiert werden, was die einzelnen Autoren einer Publikation dazu beigetragen haben. „Ehrenautorschaften“, also das Hinzufügen unbeteiligter Personen zur Autorenlisten, sind heute nicht mehr akzeptabel.

Bei Arbeitsgruppen- und Laborleitern Bewusstsein schaffen

Ferner, so Prof. Blum, sollten Forschungsergebnisse intern im Rahmen von Seminaren der Arbeitsgruppe (AG) präsentiert und mit den AG-Leitern diskutiert werden: „Diese haben eine Fürsorge-, aber auch eine Aufsichtspflicht.“

Dr. Königs: „Wenn Fehlverhalten vorliegt, sehen wir uns auch die Rolle der Laborleiter genauer an. Denn es genügt nicht, als Vorgesetzter zu betonen, selbst nicht gefälscht zu haben. Vielmehr darf es einer Leitungsperson nicht egal sein, wenn es im eigenen Labor zu Fehlverhalten kommt. Daher gilt es, mehr Bewusstsein für wissenschaftlich korrektes Verhalten zu schaffen. Insofern haben die prominenten Fälle der letzten Zeit auch eine gute Seite: Sie haben dazu beigetragen, die Sensibilität für das Problem zu schärfen.“

„Schutz der Wissenschaft und Schutz des Wissenschaftlers“

Sollten einmal Amtsträger der DGK, Preisträger und Stipendiaten der DGK oder Autoren von Publikationen der DGK unter Verdacht einer Inkorrektheit stehen, so ist das zunächst einmal Sache des Vorstandes zu entscheiden, ob und wann eine Aktion erfolgen soll, ob zum Beispiel die dafür zuständige Kommission für wissenschaftliche Qualität eingeschaltet wird, führt DGK-Präsident Prof. Ertl aus. Strategisch wird sich in Zukunft auch die Projektgruppe „Ethik in der Kardiologie“ mit Fragen der Redlichkeit in der Forschung befassen.

„Grundsätzlich geht es der DGK sowohl um den Schutz der Wissenschaft als auch um den Schutz des Wissenschaftlers“, so der DGK-Präsident. „Natürlich stellt Redlichkeit in der Forschung einen hohen Wert dar, allerdings gilt das auch für den Schutz eines Wissenschaftlers vor falschen Vorwürfen oder Verleumdungen. Wissenschaft ist eine hoch kompetitive Angelegenheit, und leider ist nicht auszuschließen, dass Wettbewerb und Konkurrenz nicht immer nur mit lauteren Methoden betrieben werden.“

Schließlich sei zu bedenken, dass hinter jedem Fall von Wissenschaftsbetrug auch ein menschliches Schicksal steht, sagt Prof. Ertl: „Auch hier, wie in der klinischen Medizin, können falsche Anreize zu unredlichem Handeln ermuntern oder, aus Sicht des Betroffenen, sogar zwingen. Die DGK reagiert also erst nach einer schlüssigen Prüfung der erhobenen Vorwürfe.“

 

Kontakt:

Pressesprecher der DGK

Prof. Dr. Eckart Fleck

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Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz und Kreislaufforschung e.V. (DGK) mit Sitz in Düsseldorf ist eine gemeinnützige wissenschaftlich medizinische Fachgesellschaft mit mehr als 8200 Mitgliedern. Sie ist die älteste und größte kardiologische Gesellschaft in Europa. Ihr Ziel ist die Förderung der Wissenschaft auf dem Gebiet der kardiovaskulären Erkrankungen, die Ausrichtung von Tagungen die Aus-, Weiter- und Fortbildung ihrer Mitglieder und die Erstellung von Leitlinien. Weitere Informationen unter www.dgk.org