Veränderungen der Herzinfarkttherapie des älteren Patienten – Daten des Berliner Herzinfarktregisters (BHIR)
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Dr. med. Jens-Uwe Röhnisch et al., Berlin
Hintergrund: Ältere Patienten mit akutem Myokardinfarkt haben eine schlechtere Prognose und werden häufig weniger invasiv behandelt als jüngere Infarktpatienten. Aktuelle Veröffentlichungen zeigen, dass trotz eines grundlegenden Wandels in der Therapie des akuten Myokardinfarkts im Verlauf des letzten Jahrzehnts ältere ACS Patienten nach wie vor benachteiligt sind (EHJ 2012 33: 630-639). In unserer Studie haben wir uns deshalb gefragt, wie die Situation in Berlin im 10-Jahresvergleich aussieht und ob sich der Wandel in der Infarkttherapie in der Behandlung der über 79-Jährigen in Berlin niedergeschlagen hat.
Berliner Herzinfarktregister: Seit 1999 werden im Berliner Herzinfarktregister (BHIR) prospektiv Daten von Patienten mit einem akuten Myokardinfarkt erhoben. Den am BHIR teilnehmenden Kliniken werden die Ergebnisse der Datenerhebung regelmäßig mitgeteilt, so dass sich die Kliniken mit dem Gesamtschnitt vergleichen können. Mit diesem Ansatz ist das BHIR zur Zeit das einzige Outcome – orientierte Register in der Kardiologie in Berlin und auch das einzige regional orientierte und krankenhausbasierte Register bundesweit, in dem kontinuierlich über einen Zeitraum von nunmehr 14 Jahren – auch zwischen den Einrichtungen vergleichbare – Daten zur stationären Versorgung von inzwischen über 30.000 Herzinfarktpatienten gesammelt wurden.
Im BHIR werden alle Patienten erfasst, die mit der Diagnose „Akuter Myokardinfarkt“ (Typ I) innerhalb von 24h nach Symptombeginn stationär aufgenommen werden. Die pseudonymisierten Daten werden mittels eines Erhebungsbogens von speziell geschulten Medizinern aus jedem Krankenhaus erfasst, in der Wissenschaftlichen Dokumentationsstelle des BHIR an der TU Berlin analysiert und den Kliniken zurückgespiegelt.
Versorgung älterer Herzinfarktpatienten: Für die aktuelle Analyse wurden aus dem BHIR 1891 Patienten >80 Jahre mit akutem Herzinfarkt und Prähospitalzeit <24h aus den Jahren 1999 bis 2001 (n= 650) und 2009 bis 2011 (n=1241) ausgewählt. Während das durchschnittliche Alter mit 85 Jahren über den 10-Jahresvergleichszeitraum unverändert blieb, hat sich die Zahl von Patienten ohne ST-Streckenhebung (NSTEMI) aufgrund der zwischenzeitlichen Neudefinition des Infarkts (auf der Basis von Biomarkern) vervierfacht. Die Zahl der Patienten mit ST-Streckenhebung (STEMI) blieb über die 10 Jahre konstant.
Die Basischarakteristika der älteren Patienten sind über die Zeit, was Diabetes (28%) und Patienten mit vorangegangenem Infarkt (27%) betrifft, vergleichbar. Für Niereninsuffizienz (12% auf 40%), Herzinsuffizienz (17% auf 27%), Hypertonie (73% auf 90%) und Hypercholesterinämie (19% auf 44%) zeigt sich im 10-Jahresvergleich ein Anstieg. Die Zunahme könnte kodierbedingt begründet sein, denn zwischenzeitlich wurde das DRG basierte Krankenhausabrechnungssystems eingeführt.
Der Notarzt beschleunigt die Patientenerstversorgung und bahnt die Klinikaufnahme. Dies ist vor allem für STEMI Patienten wichtig, bei denen Schnelligkeit einer der Eckpfeiler der Therapie ist. Insofern ist es erfreulich, dass der Anteil an älteren STEMI Patienten, die vom Notarzt erstversorgt wurden, von 1999/2001 bis 2009/11 von 45% auf fast 60% gesteigert werden konnte. Trotz dieser Steigerung blieb die Zeit zwischen Symptombeginn und stationärer Behandlung im Verlauf der 10-Jahre mit 2,5 Stunden für STEMI und 3 Stunden für NSTEMI unverändert lang und lag jeweils eine halbe Stunde über der Prähospitalzeit der unter 80-jährigen Patienten. Es ist davon auszugehen, dass es älteren Patienten schwerer fällt, schnell einen Notruf zu initiieren, da sie z.B. häufiger alleinstehend sind.
Neben der Schnelligkeit ist die Eröffnung des verschlossenen Herzkranzgefäßes mittels einer Katheterintervention der zweite wichtige Punkt der Akuttherapie des Herzinfarktpatienten. Hier sind über den 10-Jahresvergleichszeitraum sehr erfreuliche Veränderungen zu sehen. Während 1999/01 nur 13% der STEMI Patienten eine Katheterintervention erhielten, waren dies 10 Jahre später 80% aller STEMI Patienten. Auch die klinikinterne Zeit bis zur Behandlung konnte über den Beobachtungszeitraum für die STEMI Patienten von 2,6 Stunden auf 1,2 Stunden verkürzt werden. Bei den NSTEMI Patienten zeigte sich eine Zunahme von 7% auf 45% (s. Abbildung 1). Diese Zahlen sind umso erstaunlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, dass 2009/11 unter den Patienten auch 11 Patienten im Alter von 100 Jahren und darüber waren, wovon wiederum 5 Patienten eine Katheterintervention erhielten.
Wie der Abbildung 2 zu entnehmen ist, hat sich auch die medikamentöse Therapie bei Entlassung unter dem Einfluss der Leitlinien für Infarktpatienten (v.a. für Statine) verbessert.
Krankenhaussterblichkeit: Über den Untersuchungszeitraum konnte die Krankenhaussterblichkeit der älteren Infarktpatienten von 27% auf 15% fast halbiert werden. Dieser Rückgang ist vor allem auf einen Rückgang der Sterblichkeit bei den Patienten mit NSTEMI (26% auf 11%) zurückzuführen. Der Sterblichkeitsrückgang bei Patienten mit STEMI fiel geringer aus (28% auf 23%, s. Abbildung 3).
Da sich die Patientencharakteristika über die Zeit verändert haben, wurde auch eine logistische Regression gerechnet. So konnten in einem statistischen Modell die Unterschiede zwischen den Patienten bezogen auf die Krankenhaussterblichkeit bereinigt werden. Im Ergebnis zeigte sich, dass die Wahrscheinlichkeit im Krankenhaus zu versterben adjustiert für Alter, Geschlecht, Niereninsuffizienz, Diabetes, vorangegangenen Infarkt, Herzinsuffizienz, Schock bei Aufnahme, ST-Streckenhebung im EKG und Katheterintervention über den 10-Jahreszeittraum mehr als halbiert werden konnte (Einschluss 2009/11 im Vergleich zu 1999/01 OR=0,43 mit 95% KI: 0,28-0,65).
Fazit: In Berlin sind über den 10-Jahresuntersuchungszeitraum beeindruckende Veränderungen in der Behandlung der älteren Infarktpatienten aufzeigbar. So konnte der Anteil an STEMI Patienten mit Katheterintervention von 13% auf 80% gesteigert werden. Zeitgleich wurden Krankenhausverweildauer und Krankenhaussterblichkeit über alle Infarktpatienten halbiert und die leitliniengerechte Entlassungsmedikation wurde statistisch signifikant verbessert.
Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz und Kreislaufforschung e.V. (DGK) mit Sitz in Düsseldorf ist eine gemeinnützige wissenschaftlich medizinische Fachgesellschaft mit mehr als 8200 Mitgliedern. Sie ist die älteste und größte kardiologische Gesellschaft in Europa. Ihr Ziel ist die Förderung der Wissenschaft auf dem Gebiet der kardiovaskulären Erkrankungen, die Ausrichtung von Tagungen die Aus-, Weiter- und Fortbildung ihrer Mitglieder und die Erstellung von Leitlinien. Weitere Informationen unter www.dgk.org