Vorhofflimmern und Schlaganfallrisiko in der Allgemeinbevölkerung
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Dr. Renate Schnabel, Hamburg
Vorhofflimmern (VHF) ist eine häufig unterschätzte Erkrankung zunehmender Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung. Hauptgründe sind eine alternde Bevölkerung und längeres Überleben mit kardiovaskulären Erkrankungen. Eventuell spielt auch das zunehmend stärkere Bewusstsein für diese Erkrankung und damit häufigere Diagnose von VHF eine Rolle. Daten zu VHF stammen überwiegend aus Registern oder Krankenhausdatenbanken. So tragen der europaweite „Euro Heart Survey on Atrial Fibrillation“ und das deutschlandweite Kompetenznetz Vorhofflimmern zum Verständnis von diagnostischen Maßnahmen, Art des VHF von paroxysmal bis permanent, Begleiterkrankungen und leitliniengerechter Therapie bei Patienten mit diagnostiziertem VHF bei. Primärpräventive Mechanismen zur Vermeidung der Erkrankung müssen aber früher ansetzen. Wenige Daten sind verfügbar zu VHF in der Normalbevölkerung. Deshalb haben wir in der Populations-basierten Gutenberg-Gesundheitsstudie (GHS) die Prävalenz von VHF sowie das Vorliegen bekannter Risikofaktoren für das Auftreten der Erkrankung sowie thrombembolischer Komplikationen in der deutschen Bevölkerung untersucht.
Bei den ersten 5000 Teilnehmern der GHS lag die Häufigkeit von VHF bei 3,2% (n=161), vorherrschend bei Männern (4,6% (n=115), Frauen 1,9% (n=46)). Die gewichtete Prävalenz bezogen auf die Gesamtpopulation betrug 2,5%. Sowohl bei Männern als auch bei Frauen zeigte sich eine nicht lineare Zunahme mit dem Alter. Bei 35- bis 44-jährigen Männern lag die Prävalenz bei 0,7% und stieg auf 10,6% bei 65- bis74-jährigen an. Bei Frauen ließ sich ein Anstieg von 0,3% auf 4,9% feststellen. Studienteilnehmer mit VHF sind älter und weniger als ein Drittel dieser Personen sind weiblich. Das kardiovaskuläre Risikoprofil ist ungünstiger und die Prävalenz von kardiovaskulären Erkrankungen wie Herzinfarkt und Herzinsuffizienz höher. Insbesondere geben knapp 10% der Teilnehmer mit VHF an, einen Schlaganfall erlitten zu haben im Vergleich zu 1,5% in der übrigen Kohorte.
Bei 40% (n=65) der Teilnehmer mit bekanntem VHF wurde VHF auf dem Studien EKG dokumentiert. Von den 136 Teilnehmern, die berichteten die Diagnose VHF bereits von einem Arzt gestellt bekommen zu haben, konnte bei 29,4% (n=40) während der Untersuchung VHF auf dem Studien EKG erkannt werden. Bei 25 Teilnehmern, 0,5% der Gesamtkohorte und 15,5% der Teilnehmer mit Vorhofflimmern war VHF vor der Teilnahme an der Studie nicht bekannt und wurde somit während der Untersuchung im Studienzentrum erstmalig festgestellt. Über den Framingham-Risikoscore für VHF wäre bei diesen Individuen ein Risiko von im Mittel 2,0% errechnet worden, innerhalb der nächsten fünf Jahre an VHF zu erkranken.
Um bei Probanden mit VHF das Risiko für einen Schlaganfall ohne adäquate Behandlung innerhalb des nächsten Jahres zu ermitteln, wurden die Risikostratifizierungsalgorithmen des CHADS2 (Herzinsuffizienz, Hypertonie, Alter, Diabetes, Schlaganfall [zweifach]) und CHA2DS2-VASc-Scores (Herzinsuffizienz oder kardiale Dysfunktion, Hypertonie, Alter ≥75 Jahre [zweifach], Diabetes, Schlaganfall [zweifach], vaskuläre Erkrankung, Alter 65-74 Jahre und Geschlecht) benutzt. Nach CHA2DS2-VASc-Score hatten nur 11,2% ein vernachlässigbares Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden. Fast drei Viertel der Teilnehmer mit VHF hatten unbehandelt ein Risiko von über 2%, nach CHADS2 sogar mehr als 80%. Im übrigen Studienkollektiv waren der mediane CHADS2 und CHA2DS2-VASc-Score 1,0. Der mittlere CHADS2 beziehungsweise CHA2DS2-VASc-Score bei Probanden mit der Erstdiagnose von VHF auf dem Studien EKG war 2,0 und 3,0 mit einem mittleren Ein-Jahres-Risiko für ein thrombembolisches Ereignis von 4,0% respektive 3,2%.
Wie erwartet wurde kardiale Medikation deutlich häufiger von Teilnehmern mit VHF eingenommen. Eine Antikoagulationstherapie oder Plättchenhemmung wurde von 42,7% der Teilnehmer mit VHF verneint. Der mediane CHADS2- beziehungsweise CHA2DS2-VASc-Score bei diesen Probanden belief sich auf 1,0 und 2,0. Einen CHADS2-Score ≥1 wiesen 58,7% dieser Teilnehmer auf. Nach Studienlage würde eine adäquate Antikoagulation mit Warfarin bei diesen Individuen das Risiko für ein thrombembolisches Ereignis innerhalb des nächsten Jahres von 2,1% auf 0,75% reduzieren, was einer relativen Risikoreduktion von 65% und einer absoluten Risikoreduktion von 1,4% entspricht.
Eine antiarrhythmische Therapie, ausgenommen Betablocker, wurde von zirca 20% der Probanden mit VHF angegeben, 16% nahmen Digitalispräparate ein.
Die beobachteten gewichteten Häufigkeiten dieser deutschen Kohorte entsprechen den kürzlich in einer isländischen Studie publizierten Daten. VHF tritt vorwiegend in höherem Lebensalter auf, was der auch in dieser Population beobachtete Anstieg mit fortschreitendem Alter verdeutlicht. Im Vergleich zeigte sich eine Prävalenz des Herzinfarktes von 2,3% und Schlaganfall von 1,5%. Damit ist VHF eine relativ häufige Erkrankung.
Von Interesse ist die Beobachtung, dass 14,3% der Teilnehmer mit VHF abgesehen vom Alter keine der bekannten und wiederholt validierten Risikofaktoren für VHF hatten, fast die Hälfte der Individuen mit VHF hatten maximal einen Risikofaktor, und nur zirca ein Fünftel wiesen drei oder mehr Risikofaktoren auf. Dies deutet darauf hin, dass weitere andere Risikofaktoren bei der Entstehung von VHF im Spiel sein müssen. Aktuell können wir nachweisen, dass VHF eine in der Gesamtbevölkerung relevante Erkrankung mit einem deutlichen Anstieg der Prävalenz mit zunehmendem Lebensalter ist. Ein Screening mittels Zwölf-Kanal EKG kann bisher nicht diagnostizierte Fälle aufdecken.
Schnabel RB, Wilde S, Wild PS, Munzel T, Blankenberg S: Atrial fibrillation: its prevalence and risk factor profile in the general population. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(16): in press.