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Neue Pilotprojekte in der Früherkennung: Rechtzeitige Behandlung kann Leben retten

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Statement Prof. Dr. Stephan Baldus, Köln, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie

Im Oktober 2021 haben wir ein Positionspapier zur Implementierung einer Nationalen Herz-Kreislauf-Strategie vorgestellt, das vier zentrale Herausforderungen adressiert. Neben der Verbesserung der intersektoralen Zusammenarbeit und der Digitalisierung in Versorgung und Forschung sowie Schaffung von besseren finanziellen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen für die kardiovaskuläre Forschung muss vor allem eine Etablierung von Früherkennungsprogrammen im Mittelpunkt stehen.

Zu dem letzten Punkt haben wir in der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie nun zwei Pilotprojekte entwickelt, die bereits in den nächsten Monaten starten sollen. Und die besonders zur Senkung der Sterblichkeit und Verbesserung der Lebensqualität beitragen können.

Früherkennung der familiären Hypercholesterinämie

Die familiäre Hypercholesterinämie ist eine genetisch bedingte Störung des Cholesterinstoffwechsels, die zu einem deutlich erhöhten Atheroskleroserisiko führt. In der Folge können Organkomplikationen wie Herzinfarkt oder Aortenklappensteose schon in jungen Jahren auftreten. Die familiäre Hypercholesterinämie kann durch Messung des LDL-Cholesterinspiegels, kombiniert mit gezielten genetischen Analysen bei Menschen mit erhöhten Werten, sicher diagnostiziert und wirksam therapiert werden – sowohl im Kindes- und Jugendalter als auch bei Erwachsenen.

Vor diesem Hintergrund haben andere europäische Länder bereits Screening-Programme etabliert und stehen hierdurch bei der Diagnostik dieser Erkrankung mittlerweile sehr gut da. In beispielsweise den Niederlanden werden über 70 Prozent der Fälle von familiärer Hypercholesterinämie erkannt. In Deutschland hingegen werden nach Schätzungen derzeit nur etwa 5 Prozent der Betroffenen adäquat therapiert, obwohl bereits seit 2015 in der nationalen S2k-Leitlinie ein generelles Screening auf familiäre Hypercholesterinämie bei Kindern empfiehlt. Bisher wurden dazu in Deutschland drei einzelne wissenschaftliche Projekte umgesetzt, an die wir mit einem neuen Pilotprojekt in Bayern und Niedersachsen anknüpfen möchten. In diesem neuen Pilotprojekt soll im Rahmen der U9- bis J1-Untersuchungen mittels Kapillarblutabnahme eine Bestimmung des LDL-Cholesterins erfolgen. Unter Berücksichtigung des Gendiagnostikgesetztes sowie der datenschutzrechtlichen Bestimmungen wird durch die wissenschaftliche Evaluation die Voraussetzung für eine gezielte humangenetische Diagnostik und daraus folgend die richtige Therapie für Mutationsträger*innen ermöglicht.

Insgesamt möchten wir so über vier Jahre hinweg 20.000 Kinder screenen. Die gewonnenen Daten sollen mit denen aus der vorhergegangenen VRONI-Studie zusammengeführt werden und damit die wissenschaftliche Evidenz und Voraussetzung für ein generelles Screening auf familiäre Hypercholesterinämie im Kindesalter bilden.

BNP-Screening zur Früherkennung der Herzinsuffizienz in Deutschland

Die Herzinsuffizienz ist in Deutschland die häufigste Ursache für eine ungeplante Krankenhausaufnahme und nimmt weiter stetig zu. Neben den hiermit verbundenen hohen direkten und indirekten ökonomischen Kosten ist es lange bekannt, dass jede Krankenhausaufnahme wegen dekompensierter Herzinsuffizienz die Prognose der betroffenen Patientinnen und Patienten weiter verschlechtert und in der Folge mit einer hohen Morbidität und Mortalität einhergeht. Dagegen könnten die Fortschritte der letzten Jahre in Diagnostik und Therapie der Herzinsuffizienz es ermöglichen, frühzeitig reversible Ursachen zu erkennen bzw. rechtzeitig eine geeignete Therapie einzuleiten. Wir schlagen daher ein Pilotprojekt zur Früherkennung der Herzinsuffizienz vor, welches die Grundlage für ein künftiges allen Krankenversicherten zugängliches Screeningangebot liefern könnte.

Ein einfach per Blutuntersuchung zu bestimmender Marker, das NTproBNP, zeigt bereits vor Eintritt der ersten Symptome das Vorliegen einer Herzinsuffizienz an. Patient*innen, bei denen der NTproBNP-Wert erhöht ist, sollten zunächst mittels einer Echokardiographie weiter abgeklärt werden, die bereits eine Vielzahl von relevanten Informationen für eine Therapieempfehlung beziehungsweise weitere diagnostische Schritte liefert.

Bei Personen, die älter als 60 Jahre sind oder aber älter als 50 Jahre und zugleich mindestens einen weiteren Risikofaktor für eine Herzinsuffizienz aufweisen, sollten im Rahmen von ohnehin geplanten Blutuntersuchungen durch die Hausärzt*innen auch der NTproBNP-Wert bestimmt werden. Patient*innen mit erhöhtem NTproBNP-Wert soll dann das Angebot gemacht werden, sich kardiologisch-fachärztlich vorzustellen, damit ein Ruhe-EKG und eine Echokardiographie durchgeführt werden können.

Wenn wir, wie angedacht, 10.000 Versicherte in den Regionen Baden-Württemberg, Saarland und Nordrhein-Westfalen screenen, würden voraussichtlich bei 5 bis 10 Prozent der Untersuchten erhöhteNT proBNP-Werte festgestellt. Studiendaten weisen darauf hin, dass bei 10 bis 30 Prozent dieser Personen eine strukturelle Herzerkrankung vorliegt, die behandlungsbedürftig ist, und sich so für 100 bis 200 Menschen therapeutische Konsequenzen ergäben.

Schirmherrschaft des Bundesgesundheitsministeriums

Werden im Nachgang beide Früherkennungsprogramme auf die gesamte Bevölkerung ausgerollt, kann es uns gelingen, eine Vielzahl von Menschen vor frühen Todesfällen oder vielen in Krankheit verbrachten Jahren zu schützen und so die Lebensqualität deutlich zu erhöhen.

Vor diesem Hintergrund freuen wir uns besonders, dass das Bundesgesundheitsministerium die Schirmherrschaft für die Nationale Herz-Kreislauf-Strategie übernommen hat und dieses wichtige Projekt damit auch die Unterstützung der Gesundheitspolitik auf nationaler Ebene erfährt.