Neue Hypertonie-Leitlinie: Intensivere Therapie mit höherer Compliance
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Statement Prof. Dr. Felix Mahfoud, Sprecher der Arbeitsgruppe Arterielle Hypertonie (AG 43)
Die arterielle Hypertonie ist die häufigste chronische Erkrankung, die zu Komplikationen wie Schlaganfall, Demenz, Herzinfarkt und Herzinsuffizienz sowie Niereninsuffizienz führen kann. Aus Studien wissen wir, wie viel eine effektive Blutdrucksenkung unseren Patienten nützen kann: Pro 10mmHg systolischer Blutdrucksenkung verringert sich das Risiko für einen Schlaganfall um 27%, für Herzinsuffizienz um 28% und für eine schwerwiegende kardiovaskuläre Erkrankung um 20%.
Mit der Aktualisierung der ESC-Leitlinie wurde ein wichtiger Schritt für die Verbesserung der Behandlung von Patienten mit Hypertonie gemacht. Die neue Leitlinie zum Management der arteriellen Hypertonie beinhaltet vorrangig vier Kernpunkte, mit denen betroffene Patienten von Beginn der Krankheit an intensiver und zielgerichtet behandelt werden sollen.
Im Gegensatz zur US-amerikanischen Leitlinie geht die neue europäische Leitlinie nicht mit einer Änderung der Definition der Hypertonie einher. Sie wird weiterhin bei einem Blutdruck von über 140/90 mmHg und bei den über 80-jährigen von über 160/90 mmHg festgestellt. Das ist wohl einer der wichtigsten Aspekte der neuen Leitlinie. Während die US-Amerikaner die SPRINT-Studie, die in den USA durchgeführt wurde, als Basis für die neue Hypertonie-Definition heranziehen, gibt es unserer Meinung nach zu wenig epidemiologische oder klinische Daten, um die Änderung der Defintion zu rechtfertigen. Die Studie zeigte ein besseres Outcome für hypertensive Patienten mit hohem Risiko und einem Blutdruck zwischen 130 und 180 mmHg, wenn sie einer intensiven blutdrucksenkenden Therapie (Zielblutdruck 120 mmHg) zugeführt wurden. Das rechtfertigt aus unserer Sicht aber keine Neudefinition der Erkrankung. Wie beispielsweise die HOPE 3-Studie belegte, verbessert in der Allgemeinpopulation der Patienten mit niedrig normalen Blutdruckwerten eine antihypertensive Therapie die Prognose nicht.
Der zweite wichtige Punkt ist, dass wir einen engeren Zielblutdruck anstreben, der für die meisten Patienten zwischen 120 bis 130 mmHg systolisch und 70 bis 80 mmHg diastolisch liegen sollte. Eine absolute Neuheit ist dabei die Einrichtung eines unteren Zielkorridors, der bei der Blutdrucksenkung nicht unterschritten werden sollte. Der Blutdruck sollte systolisch nicht unter 120 mmHg und diastolisch nicht unter 70 mmHg fallen. Auch ältere Patienten über 65 müssen intensiver behandelt werden (Zielblutdruck 130-140 mmHg). Diese Blutdruckwerte zu erreichen wird eine große Herausforderung. Bei Patienten mit moderatem Risiko empfehlen wir im ersten Schritt noch immer die Lebensstilintervention, d.h. Reduktion der Salzzufuhr, des Alkoholgenusses und des Nikotins bei körperlicher Bewegung und gesunder Ernährung im Sinne von mediterraner Kost. Das ist in vielen Fällen allerdings nicht erfolgreich. Daher muss in den meisten Fällen schon früh medikamentös behandelt werden, um die niedrigen Zielwerte zu erreichen. Aufgewertet wurde in der neuen Leitlinie außerdem die Blutdruckmessung außerhalb der Praxis – sowohl der Langzeitblutdruck als auch der häusliche Blutdruck. Hierzu fehlen aber weiterhin wichtige Daten, denn obwohl wir wissen, dass die Langzeitblutdruckmessung prognostische Relevanz hat, ist noch immer unklar, was die optimalen Zielwerte für Patienten mit arterieller Hypertonie in der Langzeitblutdruckmessung sind und ob eine auf einen Langzeitblutdruck ausgerichtete Blutdruckeinstellung einer auf einen Praxisblutdruck ausgerichtete Blutdruckeinstellung überlegen ist.
Eine weitere wichtige Empfehlung der neuen Leitlinie ist, dass die meisten Patienten nun von Anfang an mit einer dualen Wirkstoff-Kombination behandelt werden sollten. Dadurch erwirken wir einerseits eine größere initiale Blutdrucksenkung, mit der die Patienten schneller ihren Zielwert erreichen. Andererseits bekämpfen wir durch die Reduktion der Tablettenlast das häufige Problem einer mangelnden Therapietreue. Viele Patienten mit arterieller Hypertonie nehmen ihre Medikamente unregelhaft ein. Eine Therapie mit Kombinationspräparaten in einer Tablette erleichtert den Patienten die Einnahme. Ist die duale Fixkombination nach drei Monaten nicht erfolgreich, sollten drei Wirkstoffe in einer Tablette kombiniert werden. Gelingt hierunter keine Blutdruckeinstellung, liegt eine therapieresistente Hypertonie vor und es sollte zusätzlich Spironolacton verabreicht werden.
Eine alternative Therapiemöglichkeit, die zukünftig womöglich wieder eine Rolle spielen wird, ist die renale Denervation. Dieses Verfahren muss aber noch weiter untersucht werden. Die neuen Studienergebnisse, die eine klare Evidenz für eine Blutdrucksenkung durch die Prozedur gezeigt haben, wurden erst nach der Aktualisierung der Leitlinie veröffentlicht, so dass diese nicht mehr berücksichtigt werden konnten. Die Leitlinien besagen, dass das Verfahren bis zum Abschluss der größeren randomisierten kontrollierten Studien zur Routinebehandlung der arteriellen Hypertonie nur im Einzelfall und an spezialisierten Zentren in Erwägung gezogen werden sollte. Die Studien, die Ende 2019/Anfang 2020 abgeschlossen sein werden, werden hoffentlich mehr Aufschluss über den Einsatz der renalen Denervation geben.