Herzfrequenz bei Aufnahme in der Chest Pain Unit – Hinweise auf negativen prognostischen Effekt sowohl von Tachykardien als auch von Bradykardien
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Dr. Andrea Monika Perne, Mainz
Hintergrund:
Der Einfluss der Herzfrequenz auf die Prognose von Patienten mit kardialen Erkrankungen ist seit vielen Jahren Gegenstand intensiver Forschungsbemühungen. Ergebnisse großer randomisierter und kontrollierter Studien (u.a. SHIFT) konnten den negativen Einfluss einer zu hohen Herzfrequenz unter anderem bei Patienten mit einer eingeschränkten linksventrikulären Ejektionsfraktion deutlich belegen und in der Folge auch Eingang in die spezifischen Therapieempfehlungen finden. Auch im Rahmen eines akuten Koronarsyndroms bestätigten verschiedene Studien den negativen prognostischen Effekt einer erhöhten Herzfrequenz. Allerdings mehrten sich jüngst die Hinweise, dass auch eine deutlich erniedrigte Herzfrequenz in gewissen Kollektiven von kardial erkrankten Patienten mit einer Prognoseverschlechterung einhergehen könnte.
Ziel unserer Studie war die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen initialer Herzfrequenz bei Patienten mit akutem Myokardinfarkt und kardiovaskulären Folgekomplikationen in einem standardisiert behandelten Patientenkollektiv an deutschen Chest Pain Units.
Methoden:
2008 erfolgte die Initiierung eines nationalen Chest Pain Unit-Netzwerks durch die DGK. Parallel begann der Aufbau eines Registers mit dem Ziel einer umfangreichen Erfassung und detaillierten Charakterisierung sowie Nachverfolgung der in diesen spezialisierten Einheiten versorgten Patienten. Zwischen Dezember 2008 und Juli 2014 wurden über 30.000 Patienten aus 38 Zentren in dieses Register eingeschlossen. Hieraus extrahierten wir alle Patienten mit der Hauptdiagnose eines STEMI oder NSTEMI und lückenlosen Basisdaten und unterteilten sie nach Aufnahme-Herzfrequenz in 4 Gruppen: Gruppe 1: HF <50/min, Gruppe 2: HF 50-69/min, Gruppe 3: HF 70-89/min und Gruppe 4: HF ≥90/min. Es erfolgte ein Vergleich dieser Gruppen in Bezug auf demographische Daten, Patientencharakteristika, Behandlungsformen, Komplikationen und kardiovaskulären Ereignissen 3 Monate nach Entlassung.
Ergebnisse:
6168 Patienten erfüllten die Einschlusskriterien, ein knappes Drittel (27,9%) hiervon waren STEMI-Patienten. Nach Einteilung der Patienten bezüglich ihrer Herzfrequenz bei Aufnahme befand sich der Großteil der Patienten im Bereich mittlerer Herzfrequenzen (Gruppe 2: 32,3% und Gruppe 3: 44,5%), gefolgt von Gruppe 4 mit 20,9% und Gruppe 1 mit 2,3%. Patienten mit Herzfrequenzen >90/min litten häufiger unter Komorbiditäten wie Diabetes, chronischer Niereninsuffizienz oder pulmonaler Erkrankungen, während die bradykarden Patienten (HF <50/min) signifikant häufiger eine kardiale Anamnese in Form eines stattgehabten Myokardinfarktes und/oder einer koronaren Revaskularisation vorweisen konnten. Unterschiede zeigten sich ebenfalls in Bezug auf die Behandlungsstrategien: Bei Patienten mit einer initialen Herzfrequenz >90/min wurde signifikant seltener eine Herzkatheteruntersuchung durchgeführt, dies allerdings vor dem Hintergrund einer insgesamt hohen Rate an Koronarangiographien von 91,5%. Auch Revaskularisationen in Form von perkutaner koronarer Intervention oder einer aortokoronaren Bypassoperation waren in Gruppe 4 seltener und wurden am häufigsten in Gruppe 1 durchgeführt. Bei Betrachtung der Gesamtmortalität sowie des kombinierten Endpunktes Tod und Myokardinfarkt (MACE) nach 3 Monaten zeigte sich hinsichtlich beider Endpunkte ein signifikant schlechteres Abschneiden der Gruppe 4. Bezüglich der MACE-Ereignisrate war darüber hinaus in der Gruppe 1 ein nicht signifikanter Trend zu vermehrten Ereignissen zu beobachten. Grund für die fehlende Signifikanz könnte womöglich die insgesamt eingeschränkte Rate an vollständigen und auswertbaren Nachverfolgungsdaten mit nur 49% in Bezug auf die Gesamtmortalität und 42% hinsichtlich der Rate an MACE sein mit entsprechend geringer Gruppengröße insbesondere in Gruppe 1.
Fazit:
In Abhängigkeit ihrer Herzfrequenz bei Aufnahme unterscheiden sich Patienten mit akutem Myokardinfarkt in deutschen Chest Pain Units deutlich in Bezug auf Komorbiditäten, Behandlungsstrategien und Prognose im weiteren Verlauf. Patienten mit einer Herzfrequenz >90/min stellen hinsichtlich der kardiovaskulären Ereignisse in den folgenden Monate eine Hoch-Risikogruppe dar. Zusätzlich gibt es Hinweise, dass auch Patienten mit einer Herzfrequenz <50/min eine eingeschränkte Prognose aufweisen, zur Bestätigung wären Untersuchungen mit größeren Patientenzahlen und möglichst lückenlosen Follow-up-Daten wünschenswert.
Gesamt | < 50 bpm | 50-69 bpm | 70-89 bpm | ≥ 90 bpm | P – Wert | |
N | 6168 | 140 | 1994 | 2744 | 1290 | |
Demographische und klinische Charakteristika | ||||||
Alter | 69,0 (57,4; 77,0) | 70,3 (59,4; 78,4) | 67,7(56,7; 76,1) | 69,1 (57,5; 76,8) | 69,9 (58,7; 78,4) | < 0,001 |
Frauen % | 29,6% | 22,9% | 25,2 % | 31,3% | 32,4 % | < 0,0001 |
BMI | 27,2 (24,7; 30,3) | 27,0 (24,5; 29,7) | 27,1(24,5; 30,0) | 27,3 (24,7; 30,4) | 27,3 (24,6; 30,8) | 0,08 |
Z.n. Myokardinfarkt | 20,7% | 23,6% | 22,5% | 18,9% | 21,3 % | < 0,05 |
Z.n. ACVB-OP | 10,7% | 10,7% | 11,1% | 10,7% | 10,0 % | 0,80 |
Z.n. PCI | 23,9% | 27,1% | 26,3% | 23,1% | 21,3 % | < 0,01 |
ICD or SM | 4,1% | 2,1% | 4,2% | 4,0% | 4,1 % | 0,69 |
Diabetes | 26,5% | 23,6% | 21,5% | 26,4% | 35,0 % | < 0,0001 |
Art. Hypertonie | 77,1% | 75,0% | 76,3% | 77,5% | 77,6 % | 0,68 |
Hyperlipoproteinämie | 51,4% | 54,3% | 53,1% | 51,4% | 48,3 % | 0,05 |
Nikotinkonsum | 37,2% | 34,3% | 38,7% | 37,1% | 35,4 % | 0,24 |
Chron. Niereninsuff. | 10,2% | 7,9% | 9,6% | 9,6% | 12,6 % | < 0,05 |
Symptome bei Aufnahme | ||||||
Systolischer RR | 140 (127; 160) | 140 (120; 156) | 140 (125; 156) | 140 (130; 160) | 140 (125; 160) | < 0,001 |
Systolischer RR <= 90 mmHg | 1,7 % | 6,4 % | 1,4 % | 1,2 % | 2,6 % | < 0,0001 |
Zeichen Herzinsuffizienz | 10,6 % | 9,3 % | 7,7 % | 9,8 % | 16,9 % | < 0,0001 |
Angina pectoris | 89,9 % | 88,6 % | 92,5 % | 90,8 % | 83,8 % | < 0,0001 |
Dyspnoe | 25,2 % | 27,1 % | 20,7 % | 23,6 % | 35,2 % | < 0,0001 |
Diagnostik | ||||||
Aufnahme-EKG: | ||||||
ST-Hebung oder LSB | 26,9 % | 31,4 % | 24,6 % | 27,6 % | 28,3 % | < 0,05 |
Vorhofflimmern | 6,2 % | 7,9 % | 2,6 % | 4,2 % | 16,0 % | < 0,0001 |
2. oder 3.° AV-Block | 0,8 % | 7,9 % | 1,0 % | 0,4 % | 0,3 % | < 0,0001 |
Echokardiographie | ||||||
LVEF < 40 % | 22,3 % | 22,6 % | 16,4 % | 20,6 % | 34,6 % | < 0,0001 |
Interventionen nach Aufnahme | ||||||
PCI | 77,6 % | 82,4 % | 80,6 % | 78,5 % | 70,0 % | < 0,0001 |
ACVB-OP | 3,0% | 2,1% | 2,6% | 2,8% | 4,3% | <0,01 |
Schrittmacher | 0,4 % | 3,9 % | 0,4 % | 0,2 % | 0,3 % | < 0,0001 |
Tabelle 1: Patientencharakteristika Bpm: beats per minute/Herzfrequenz pro Minute; Z.n.: Zustand nach; PCI: percutaneous coronary intervention; ACVB-OP: aortokoronare Bypassoperation, SM: Schrittmacher; ICD: implantierbarer Cardioverter Defibrillator; RR: Blutdruck; LSB: Linksschenkelblock; LVEF: linksventrikuläre Ejektionsfraktion;
Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz und Kreislaufforschung e.V. (DGK) mit Sitz in Düsseldorf ist eine gemeinnützige wissenschaftlich medizinische Fachgesellschaft mit mehr als 9000 Mitgliedern. Sie ist die älteste und größte kardiologische Gesellschaft in Europa. Ihr Ziel ist die Förderung der Wissenschaft auf dem Gebiet der kardiovaskulären Erkrankungen, die Ausrichtung von Tagungen, die Aus-, Weiter- und Fortbildung ihrer Mitglieder und die Erstellung von Leitlinien. Weitere Informationen unter www.dgk.org.