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DGK-Klarstellung zu neuen blutverdünnenden Medikamenten (NOAKs): Studien belegen Überlegenheit und Sicherheit, Kosten-Nutzen-Vergleich darf nicht auf Therapiekosten reduziert werden

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Stellungnahme der DGK

Düsseldorf, 30. Juni 2014 – „Immer mehr Patienten mit Vorhofflimmern oder einem erhöhten Thrombose- und Embolie-Risiko profitieren von innovativen blutverdünnenden Substanzen, den neuen oralen Antikoagulantien (NOAKs), die diese Therapie in den vergangenen Jahren anwenderfreundlicher und sicherer gemacht haben. Zuletzt hat allerdings in der öffentlichen Diskussion eine oft einseitige Darstellung der möglichen Risiken dieser Medikamente, die keineswegs die wissenschaftliche Evidenz widerspiegelt, zu einer Verunsicherung vieler Patienten, aber auch Verschreiber geführt“, sagt Prof. Dr. Christian W. Hamm, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK). „Die DGK sieht sich daher zu einer Klarstellung veranlasst.“

Das Thema ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, weil blutverdünnende Medikamente ein breites Einsatzgebiet zur Vorbeugung von Schlaganfällen, Thrombosen und Embolien haben. Viele Menschen in Deutschland benötigen eine blutverdünnende Dauertherapie.

Der Hintergrund der Diskussion: Lange Zeit standen für die Langzeit-Antikoagulation nur Vitamin K-Antagonisten[1] (VKA) wie Marcumar zur Verfügung, die mit anderen Medikamenten und auch Nahrungsmitteln zum Teil Wechselwirkungen eingehen konnten, und eine Behandlung oft kompliziert gestalteten. Sie erfordern eine präzise Einstellung der individuellen Dosierung, was eine regelmäßige Messung der Blutgerinnung erfordert. Bei zu niedriger Dosierung verlieren sie ihre Wirkung. Wird zu viel eingenommen, steigt das Risiko von Blutungen, auch im Gehirn und in inneren Organen.

NOAKs: Weniger Blutungen, in vielen Fällen bevorzugte Therapieform

NOAKs ermöglichen jetzt eine Gerinnungshemmung mit individuell konstanter Dosierung und ohne relevante Nahrungs- oder Arzneimittelinteraktionen. „Es ist wissenschaftlich belegt, dass bei vielen Patientengruppen NOAKs im Vergleich zur bisherigen Therapie mit VKA erheblich weniger Blutungen verursachen. Insbesondere die oftmals tödlichen Blutungen ins Gehirn wurden im Vergleich unter NOAKs deutlich seltener beobachtet“, sagt Prof. Dr. Harald Darius (Berlin). „Es liegen für alle relevanten Indikationen groß angelegte, randomisierte Studien mit mehr als 70.000 Patienten in exzellenter Qualität vor, wie sie bisher noch niemals für Antithrombotika durchgeführt wurde. Die Forderungen nach einer Evidenz-basierten Medizin sind daher durch die Vertreter dieser Substanzklasse beispielhaft erfüllt worden. Die Ergebnisse der jeweiligen Zulassungsstudien belegen die Wirksamkeit und bessere Sicherheit der Substanzen. Darüber hinaus war noch nie eine derartige Anzahl an Subgruppenanalysen mit ausreichend großen Patientenkollektiven durchgeführt worden, so dass auf dem Gebiet der NOAKs eine einzigartige Datenfülle vorliegt.“ Dies stehe in deutlichem Gegensatz zur geringen Datenbasis für Warfarin und der unzureichenden Datenbasis zu dem in Deutschland verwendeten Phenprocoumon (Marcumar).

Die Ergebnisse zu den NOAKs sind auch die Grundlage der aktuellen Empfehlungen und Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften, denen zufolge in vielen Situationen NOAKs die bevorzugte Therapieform gegenüber VKA darstellen.

Erwartbares Nutzen-Risiko-Verhältnis abwägen

„Alle Medikamente, also NOAKs ebenso wie VKA, die auf die Gerinnung einwirken, können eine Blutungsneigung begünstigen“, betont Prof. Dr. Georg Ertl (Würzburg). „Aus medizinischer Sicht ist das Verhältnis des zu erwartenden Nutzens und der zu erwartenden Risiken abzuwägen. Wenn also die Risiken von NOAKs dargestellt werden, muss ihr relativer Nutzen ebenso berücksichtigt werden wie das Risiko-Nutzen-Verhältnis der therapeutischen Alternativen.“

Kostenvergleich darf nicht nur Therapiekosten berücksichtigen

Kritisiert wird von der DGK auch die Diskussion um die hohen Kosten der neuen Blutgerinnungshemmer, die nicht ausreichend differenziert sei. „Arzneimittelbudgets, die nur die reinen Arzneimittelkosten im Blick haben und nicht die Gesamtkosten für das Gesundheitssystem, sind kurzsichtig“, so DGK-Präsident Prof. Hamm. „Höheren Arzneimittelpreisen, die bei den Krankenkassen anfallen können, stehen zum Beispiel bei den Rentenversicherungsträgern mögliche Einsparungen bei Reha-Maßnahmen und in der dauerhaften Versorgung der invalidisierten Patienten nach Schlaganfall und insbesondere hämorrhagischem Schlaganfall gegenüber. Gesteigerte Patientensicherheit erhöht somit nicht zwangsläufig die globalen Gesundheitskosten.“

Zusammenfassend hält die DGK fest:

  • Wissenschaftliche Ergebnisse im Sinne einer Evidenz-basierten Medizin sind ernst zu nehmen. Die Aufsichtsbehörden in den USA und in Europa haben bisher keinerlei Maßnahmen zur Einschränkung der Indikationen getroffen, für die NOAKs zugelassen sind. In Rote-Hand-Briefen der Hersteller in Abstimmung mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sind lediglich die bekannten Kontraindikationen und Vorsichtsmaßnahmen betont worden, um Verschreibungsfehler der Ärzteschaft zu verhindern, was ausdrücklich die Zustimmung der DGK findet.
  • Die DGK empfiehlt die konsequente Anwendung von Leitlinien-empfohlenen Instrumenten der Risikoabschätzung anhand der individuellen Patientencharakteristika. Das gilt sowohl für die Abschätzung des Schlaganfallrisikos anhand des CHA2DS2VASc-Scores als auch für das Blutungsrisiko anhand des HAS-BLED-Score. Damit kann der Indikationsstellung für eine Antikoagulationstherapie, aber auch der Nicht-Verschreibung eines Blutverdünners eine rationale Basis gegeben werden. Aus juristischen Gründen ist auch eine Dokumentation der Beweggründe für die Therapie bzw. Nicht-Verschreibung dringend empfehlenswert.
  • Beipackzettel und wissenschaftliche Fachinformationen reflektieren umfassend Nebenwirkungen, Kontraindikationen und Vorsichtsmaßnahmen. So sind regelmäßige Kontrollen der Nierenfunktion bei Einsatz der NOAKs notwendig.

„Die Berücksichtigung dieser Punkte sollte zu einem verantwortungsvollen Umgang mit den NOAKs beitragen“, fasst Prof. Karl-Heinz Kuck (Hamburg)  zusammen. „So sollte nach Evidenz-basierter Abschätzung des Thrombose- bzw. Schlaganfallrisikos und der möglichen Behandlungskomplikationen wie Blutungen oder Akkumulation bei Niereninsuffizienz der Vorteil der neuen Substanzen, die eine effektivere und sicherere Therapie ermöglichen, möglichst vielen Patienten risikomindernd zugute kommen.“

Zur Wirkungsweise von NOAKs

NOAKs sind eine neue Klasse der oralen Antikoagulantien, deren Wirkung auf der direkten Blockade eines einzelnen Gerinnungsfaktors beruht. Im Gegensatz dazu hemmen VKA die Synthese verschiedener Gerinnungsfaktoren. Die Wirkprinzipien der zugelassenen NOAKs beruhen auf der Antagonisierung des Faktors IIa[2] oder der Faktors Xa[3]. Die Medikamente werden eingesetzt, um Schlaganfälle bei Patienten mit Vorhofflimmern, oder die Entstehung von Thrombosen und Embolien bei Knie- und Hüftgelenkersatzoperationen zu verhindern. Darüber hinaus wurde die Wirksamkeit der Medikamente in der Therapie und Sekundärprophylaxe der tiefen Venenthrombose und/oder Lungenembolie sowie die Sekundärprävention kardiovaskulärer Ereignisse bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom gezeigt.

 

Kontakt:

Prof. Dr. Eckart Fleck (Pressesprecher, Berlin)
presse@dgk.org

Kerstin Krug (Ansprechpartnerin in der Pressestelle der DGK)
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B&K – Bettschart&Kofler Kommunikationsberatung

kofler@bkkommunikation.com;+49 30 700159676

 

Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz und Kreislaufforschung e.V. (DGK) mit Sitz in Düsseldorf ist eine wissenschaftlich medizinische Fachgesellschaft mit über 8.000 Mitgliedern. Ihr Ziel ist die Förderung der Wissenschaft auf dem Gebiet der kardiovaskulären Erkrankungen, die Ausrichtung von Tagungen und die Aus-, Weiter- und Fortbildung ihrer Mitglieder. 1927 in Bad Nauheim gegründet, ist die DGK die älteste und größte kardiologische Gesellschaft in Europa. Weitere Informationen unter www.dgk.org.

 

[1] Zum Beispiel Phenprocoumon (Marcumar) oder Warfarin

[2] Thrombinantagonisten z.B. Dabigatranetexilat

[3] Rivaroxaban, Apixaban oder Edoxaban; letzteres ist in der EU noch nicht zugelassen