Clin Res Cardiol (2023). https://doi.org/10.1007/s00392-023-02180-w

Distress bei Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern (EmaH): Datenerhebung und psychokardiologisches Behandlungsangebot
M. Huber1, A. Freiberger1, C. Andonian-Dierks1, H. Kaemmerer1, J. Beckmann2, N. Nagdyman1, P. Ewert1, S. Freilinger1
1Klinik für angeborene Herzfehler und Kinderkardiologie, Deutsches Herzzentrum München, München; 2Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften, Technische Universität München, München;

HINTERGRUND: Erwachsene mit angeborenen Herzfehlern (EmaH) sind trotz verbesserter medizinischer Behandlung und verbesserter Überlebensdauer chronisch herzkrank und weisen besondere Bedürfnisse hinsichtlich einer lebenslangen medizinischen Versorgung auf. Basierend auf aktuellen Forschungsergebnissen, die auf eine erhöhte Prävalenz psychischer Komorbiditäten bei EmaH hinweisen, wurde eine spezielle psychokardiologische Sprechstunde eingerichtet. Die Kontaktaufnahme mit EmaH erfolgte bislang über ärztliches und pflegerisches Fachpersonal der Klinik. In der Stressforschung wird negativer Stress als „Distress“ bezeichnet.

ZIELE: Ermittlung des Distress-Erlebens bei ambulant und stationär behandelten EmaH und Zuordnung des Distress zu verschiedenen Aspekten der körperlichen, psychischen und sozialen Situation. Der Wunsch und die tatsächliche Inanspruchnahme eines psychokardiologischen Behandlungsangebots durch die Patienten sollen zudem direkt evaluiert werden.

METHODIK:  Fragebogen-Erhebung. Verwendet wurde ein im Bereich der Psychoonkologie validierter und etablierter Distress-Fragebogen (deutsche Version des NCCN Distress-Thermometers, Skala 0-10, 10 entspricht maximalem Distress), ergänzt durch das Angebot einer Kontaktaufnahme durch psychotherapeutisch versiertes Personal bei vorliegendem schriftlichem Einverständnis.  Verteilung des Fragebogens durch das pflegerische Personal im Rahmen eines ambulanten oder stationären Klinikaufenthaltes zwischen 01.03.2022 und 07.10.2022.

ERGEBNISSE: Insgesamt wurden 309 Fragebögen zurückgeleitet. Bei 178 Patienten (57,6 %) lag ein klinisch relevanter Distress von ≥5 vor. 43 Patienten (13,9 % aller untersuchten) wünschten eine psychokardiologische Kontaktaufnahme. 23 Patienten (53,4 %) in dieser Gruppe gaben einen Distress ≥5 an (mittlerer Distress in dieser Gruppe 6,4/10). Bei 29 dieser 43 Patienten (67,4 %) erfolgte bereits ein eingehendes psychokardiologisches Erstgespräch. Bereits in ambulanter psychotherapeutischer Behandlung befanden sich 8 Patienten (2,6 % aller Patienten). Ein Distress ≥5 lag in dieser Gruppe bei 85 % der Patienten vor (mittlerer Distress 6,9/10). Keinen psychokardiologischen Kontakt wünschten 244 Patienten (78,9 % aller Patienten). Der Distress lag bei 134 Patienten (55,0 % in dieser Gruppe) ≥5 (mittlerer Distress 4,8/10). Keine Angaben machten 14 Patienten (4,5 %). Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum (01.03.2021 bis 07.10.2021), in dem anlässlich von Konsilanforderungen 31 psychokardiologische Erstgespräche stattanfanden, erfolgten im Untersuchungszeitraum 49 Erstgespräche (Steigerung von 58 %). Die Ergebnisse zur Genese des Distress werden detailliert dargestellt.

DISKUSSION: Durch die Distress-Bögen hatten EmaH die Möglichkeit, ihren Bedarf direkt zu kommunizieren. Es konnte in diesem Rahmen zudem breit über das psychokardiologische Behandlungsangebot informiert werden. Die erhobenen Daten zeigen, dass bei mehr als der Hälfte der untersuchten EmaH ein klinisch relevantes Distress-Level vorliegt. Der Wunsch nach einer Kontaktaufnahme mit psychokardiologisch versierten Mitarbeitern besteht dennoch in vergleichsweise geringem Umfang. Gründe hierfür könnte die Krankheitsverarbeitung und Krankheitsidentität bei EmaH sein. Insgesamt gehen wir von einem Mehrwert einer psychokardiologischen Beratung für die EmaH-Versorgung aus, wenngleich die Akzeptanz des psychokardiologischen Behandlungsangebotes und die Wege der Kontaktaufnahme weiterer Untersuchungen bedürfen.


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