Clin Res Cardiol (2023). https://doi.org/10.1007/s00392-023-02180-w

“Das doppelte Lottchen” – Gefahren einer restriktiven familiären kardiogenetischen Testung bei der OP-Indikation thorakaler Aortenerkrankungen
D. Oehler1, F. Voß1, F. Bönner1, M. Kleber2, F. Cremer3, P. Binner2, M. Kelm1, T. Scheffold2
1Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie, Universitätsklinikum Düsseldorf, Düsseldorf; 2Medizinisches Versorgungszentrum Humangenetik, SYNLAB, Mannheim; 3Medizinisches Versorgungszentrum Humangenetik Mannheim GmbH, SYNLAB, Mannheim;

Hintergrund: Die Aortopathie, hier insbesondere die Erkrankung der Aorta ascendens, gilt als seltene Erkrankung. In den letzten zwei Jahrzehnten wurden zahlreiche Krankheitsgene identifiziert, die ursächlich für ein thorakales Aortenaneurysma sein können. Eine molekulargenetische Analyse ist jedoch in der täglichen Praxis nicht flächendeckend etabliert, obwohl aktuelle Leitlinien eine Testung empfehlen, da diese eine frühere Indikationsstellung einer präventiven OP ermöglichen kann.

Kasuistik: Die Vorstellung des Indexpatienten erfolgte zur molekulargenetischen Untersuchung bei bekanntem Aortenaneurysma. Der Patient verspürte belastungsunabhängig gelegentlich ein Ziehen in der Brust, ansonsten wurde keine relevante kardiale Symptomatik geschildert.  Kardiale Risikofaktoren waren eine arterielle Hypertonie sowie der plötzliche Herztod des Bruders im Alter von 28 Jahren. Der TTE-Befund deckte sich mit einem CT-Thorax, es zeigte sich ein Aneurysma der Aorta ascendens (Durchmesser 49 mm). Molekulargenetisch  konnten Varianten unklarer Signifikanz im TGFBR1- (assoziiert mit Loeys-Dietz-Syndrom) und B4GALT7-Gen (assoziiert mit Ehlers-Danlos-Syndrom, progeroider Typ autosomal rezessiv) nachgewiesen werden. Bei rezidivierender Schmerzsymptomatik wurde unabhängig vom Vorliegen der Varianten unklarer Signifikanz ein Aortenersatz durchgeführt; histologisch zeigte sich eine Medianekrose mit Intimaeinblutungen mit hohem Rupturrisiko. 

In der Familienuntersuchung wurde bei der echokardiografisch unauffälligen Schwester die B4GALT7 Variante in heterozygoter Form detektiert, sodass diese als genetische Ursache der Erkrankung unwahrscheinlich erscheint. Bei der gezielten genetischen Analyse einer Cousine des Indexpatienten, die im TTE ebenfalls ein fortgeschrittenes Aortenaneurysma zeigte, waren weder die Variante im TGFBR1- noch im B4GALT7-Gen nachweisbar. Aufgrund der Dyskongruenz der fehlenden vermuteten pathogenen Variante und des offensichtlichen klinischen Phänotyps leiteten wir eine umfangreiche Panel-Diagnostik in die Wege. Hierbei wurde eine ,als pathogen einzustufenden Variante im FBN1-Gen detektiert, welches mit dem Marfan-Syndrom und mit einem erhöhten Risiko für einen plötzlichen kardiovaskulären Tod assoziiert ist. Nur durch die erneute erweiterte Paneldiagnostik konnte also eine weitere, von der zunächst gefundenen, unabhängige genetische Prädisposition für eine aortale Erkrankung in dieser Familie nachgewiesen werden. Phänotypisch war hierbei auch der Sohn der Cousine des Indexpatienten betroffen. Leider erfolgte im Verlauf in einem externen Zentrum bei der klinischen Risikostratifizierung keine Berücksichtigung der komplexen familiären Risikoexposition, sodass eine frühzeitige Operation als nicht indiziert angesehen wurde und die Cousine des Indexpatienten verstarb.

Zusammenfassung: In der vorliegenden Kasuistik konnte gezeigt werden, dass auch innerhalb enger Familiengrenzen multiple genetische Prädispositionen parallel vorliegen können, und diese ein unabhängiges Risiko für einen plötzlichen kardiovaskulären Tod darstellen. In diesem Fall hätte ggf. durch eine frühzeitige operative Versorgung eine Risikoreduktion herbeigeführt werden können. Bei Familienmitgliedern mit ähnlichem Phänotyp aber weiterer genetischer Entfernung (ab 2. Grades) ist aus unserer Sicht daher eine komplette Multigen-Panelanalyse oder Ganzexom/Ganzgenomsequenzierung indiziert, um eine adäquate Risikostratifizierung durchführen zu können.


https://dgk.org/kongress_programme/jt2023/aV225.html