Clin Res Cardiol (2022). https://doi.org/10.1007/s00392-022-02002-5

Genauigkeit der Effektgrößenschätzung in großen kardiovaskulären Studien
L. Struß1, N. Sünnen1, K. Kaier2, E. Motschall2, L. Heger1, C. Bode1, K. Mahaffey3, C. Olivier1
1Klinik für Kardiologie und Angiologie I, Universitäts-Herzzentrum Freiburg - Bad Krozingen GmbH, Freiburg im Breisgau; 2Institut für Medizinische Biometrie und Statistik, Universitätsklinikum Freiburg, Freiburg; 3Center for Clinical Research, Stanford School of Medicine, Stanford, US;

Einleitung: Die Schätzung der Effektgröße (EG) ist essentiell für die Berechnung der Stichprobengröße während der Planung einer randomisierten kontrollierten Studie (RCT) und bestimmt deren Umfang. Eine Überschätzung der Effektgröße kann zu einem unzureichend gepowerten RCT führen.
Ziel: Bestimmung der Genauigkeit der Effektgrößenschätzung in kontemporären kardiovaskulären RCTs und Identifizierung von assoziierten Studiencharakteristika.
Methoden: Wir durchsuchten die Datenbank „Medline“ mit dem MeSH-Term „cardiovascular diseases“ nach Studien, die im New England Journal of Medicine (NEJM), The Journal of the American Medical Association (JAMA) oder The Lancet zwischen 2010 und 2019 veröffentlicht worden waren. Weitere Ausschlusskriterien waren drei oder mehr Studienarme, ein kontinuierlicher primärer Endpunkt, eine Stichprobengröße <100 Teilnehmer*innen und ein Single Center Aufbau. Die Effektgrößenmaße Hazard Ratio, Odds Ratio und Risk Ratio wurden zusammengefasst als Effektgrößen-Ratio (EGR) bezeichnet und ausgewertet. Die Genauigkeit der Schätzung wurde durch das Verhältnis des beobachteten zum geschätzten EGR gewichtet nach den Konfidenzintervallen bestimmt. Wir quantifizierten den Einfluss der Studiencharakteristika auf die Genauigkeit in einer einfachen und in einer multiplen linearen Regression.
Ergebnisse: Von 875 gefundenen Publikationen wurden 263 Überlegenheitsstudien eingeschlossen. 85 RCTs (32.2%) zeigten eine signifikante Überlegenheit der Intervention. Das mediane geschätzte EGR betrug 0.724 [IQR 0.600–0.795] und unterschied sich signifikant von dem medianen beobachteten EGR mit 0.910 [IQR 0.740–0.990] (p<0.001). 47 Studien (17.9%) unterschätzten die EG und 216 (82.1%) überschätzten die EG.  Die durchschnittliche Überschätzung in einer gewichteten linearen Regression betrug 17.0% (95%-CI 14.0–20.0; p<0.001). Die Ergebnisse der Subgruppen sind in der Abbildung dargestellt. In einer multiplen linearen Regression zeigten Industrie Finanzierung mit einer um 7.7 Prozentpunkte niedrigeren Überschätzung (95%-CI 1.7–13.8; p=0.012), Verwendung eines zusammengesetzten Endpunktes (13.9 Prozentpunkte; 95%-CI 8.1–19.8; p<0.001), eine Stichprobengröße ≤1000 Teilnehmer*innen (7.4 Prozentpunkte; 95%-CI 1.9–12.9; p=0.008) und Rekrutierung in mehr als einem Land (5.4 Prozentpunkte; 95%-CI 0.2–10.7; p=0.040) eine signifikante Assoziation mit einer höheren Genauigkeit der Effektgrößenschätzung.
Schlussfolgerungen: In vier von fünf kontemporären kardiovaskulären RCTs wird die Effektgröße der zu testenden Intervention überschätzt. Potentiell kann durch diese Überschätzungen die Hypothese des RCTs nicht mehr beantwortet werden. RCTs mit industrieller Finanzierung und zusammengesetztem Endpunkt waren unabhängig mit einer höheren Genauigkeit der Effektgrößenschätzung assoziiert und könnten auf Elemente zuverlässiger Studienplanung hinweisen.


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