Clin Res Cardiol 108, Suppl 1, April 2019

Klinische Charakteristika und Langzeitverlauf von Patienten mit idiopathischem Kammerflimmern
K. M. Niemeyer1, S. Kirmse1, S. Dittmann1, B. Stallmeyer1, E. Schulze-Bahr1
1Institut für Genetik von Herzerkrankungen (IfGH), Universitätsklinikum Münster, Münster;
Hintergrund: Idiopathisches Kammerflimmern (IVF) gehört zu den seltenen Erkrankungen und wird als Ausschlussdiagnose bei Patienten mit überlebtem Kammerflimmern und fehlenden Hinweisen auf spezifische kardiale oder extrakardiale Ursachen festgestellt. Aufgrund der Lebensbedrohung dieser bisher ungeklärten Krankheitsentität ist die eingehende Charakterisierung von IVF-Patienten sowie Kenntnisse des Langzeitverlaufs wichtig.
Methodik: Aus 107 Patienten mit Kammerflimmern unklarer Genese, die sich im Institut für Genetik von Herzerkrankungen im Universitätsklinikum Münster zwischen 2001 und 2014 vorstellten, wurden retrospektiv mittels klinischer und apparativer Diagnostik (EKG, B-EKG, TTE, Kardio-MRT, Koronarangiographie) spezifische Ursachen ausgeschlossen und letztendlich 38 Patienten als IVF gefunden. Neben den epidemiologischen Merkmalen wurden EKG-Parameter durch die computergestützte Ausmessung untersucht. Der rezidivfreie Langzeitverlauf wurde durch die telefonische Patientenbefragung oder dokumentierte Rezidive in klinischen Verlaufskontrollen ermittelt.
Ergebnisse: Von 107 Patienten mit initial als ungeklärt definiertem Kammerflimmern fanden sich retrospektiv bei 69 Patienten (64%) Hinweise auf spezifische Erkrankungen, am häufigsten strukturelle Herzerkrankungen (n=32, 30%) und kardiale Ionenkanalerkrankungen (n=17, 16%). Bei 38 Patienten (36%, davon 21 (55%) männlich) bestätigte sich die Diagnose IVF. Bei einem mittleren Manifestationsalter von 38  ± 14 Jahren ereignete sich IVF  bei 26 Patienten in Situationen mit eher vagaler Aktivität (tagsüber in Ruhe oder im Schlaf). Bei 30 Patienten (79%) stellte IVF das Erstsymptom dar, lediglich bei 5 IVF-Patienten (13%) wurden zuvor Synkopen bzw. bei 3 Patienten (8%) Herzrasen bemerkt. 10 Patienten (23%) hatten eine positive Familienanamnese für einen ungeklärten plötzlichen Herztod oder  Kammerflimmern, 5 Pat. (13%) hatten eine nachgewiesene Genmutation. Elektrokardiografisch zeigten sich normwertige mittlere Zeiten für das PQ- (170 ±18ms), QRS- (91±13ms) und QTc-Intervall (408±30ms) in Ableitung II bei hoher Prävalenz des inkompletten Rechtsschenkelblocks (n=7/33, 21%). 36 Patienten (95%) wurden mit einem implantierten Defibrillator (ICD) versorgt. Bei einer medianen Nachbeobachtungszeit von 32 Monaten (IQR 13-98 Monate) erleiden 15 von 38 Patienten (39%) ein Rezidiv bei einer medianen rezidivfreien Zeit von 39 Monaten. In diesem Kollektiv wies der rezidivfreie Verlauf keine Unterschiede in Abhängigkeit vom Geschlecht (p=0,979), der Familienanamnese (p=0,957) oder der vagalen im Vergleich zur adrenergen Triggerung des Erstereignisses (p=0,768) auf. Es fand sich ein Trend zu einer kürzeren medianen rezidivfreien Zeit bei Auftreten von Synkopen (8 Monate) oder Herzrasen (22 Monate) als Erstsymptom im Vergleich zu IVF als Erstsymptom (39 Monate, p= 0,173, Log Rank-Test).
Schlussfolgerung: Die Ausschlussdiagnose IVF bedarf einer ständigen Reevaluierung hinsichtlich möglicher Differentialdiagnosen. Patienten mit idiopathischem Kammerflimmern weisen ein hohes Risiko für Rezidive auf.

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