Clin Res Cardiol (2023). https://doi.org/10.1007/s00392-023-02302-4

COVID-19: Wie gefährdet sind Menschen mit angeborenen Herzfehlern (AHF), speziell EMAH (ACHD-Patienten)?
R. Eyermann1
1Kinder- und Jugendmedizin, Kinderkardiologie, Sportmedizin, Sportkardiologie (DGK), Allgemeinmedizin, Dr. Eyermann, München;

Hintergrund:
Menschen mit gewissen Vorerkrankungen sind in Deutschland priorisiert geimpft worden. Doch was ist mit AHF?

Methodik:
Selektive Literaturrecherche und DGPK-Register.

Ergebnisse:
Patienten mit AHF haben per se kein höheres Risiko, an einer SARS-CoV-2-Infektion zu versterben, als die Allgemeinbevölkerung. So das Ergebnis weltweiter Erhebungen, aber auch der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie (DGPK-Register AHF u. EMAH).

Ausschlaggebend für die Gefährdung ist wohl weniger der AHF an sich, sondern andere, davon unabhängige Risikofaktoren wie Diabetes, männliches Geschlecht u. Übergewicht sowie physiologische Aspekte, die mit dem AHF zu tun haben, wie das Vorliegen einer Zyanose (O2-Sättigung ˂ 90%), pulmonaler Hypertonie, Niereninsuffizienz u. vorausgegangenen Klinikeinweisungen wegen Herzinsuffizienz.

Komplexität des Herzfehlers wenig ausschlaggebend:
Die Anwesenheit eines AHF bedeutet nicht notwendigerweise ein erhöhtes Risiko für Mortalität u. Morbidität in Folge einer COVID-19-Infektion.
Die aktuelle Analyse basiert auf weltweit erhobenen Daten von 1.044 EMAH, die mit SARS-CoV-2 infiziert waren; 907 von ihnen hatten eine laborbestätigte Diagnose. 24 Patienten verstarben an den Folgen der Infektion.  

Fallsterblichkeit von 2,3%:
Die Fallsterblichkeit liegt bei 2,3% und damit nicht höher als die der Allgemeinbevölkerung, die weltweit für 2,2% angegeben wird.
Allerdings waren die Patienten in dieser Studie im Schnitt gerade @35,1 Jahre alt. Und jüngere Menschen haben prinzipiell ein geringeres Sterberisiko durch COVID-19. In Deutschland liegt die Fallsterblichkeit in der Altersgruppe 35–59Jahe lt. RKI < 0,3% u. somit deutlich niedriger als die in der aktuellen Studie. Es ist daher zu vermuten, dass das junge Alter der EMAH-Patienten ihnen einen gewissen Schutz geboten hat u. z.T. die günstige Prognose erklären könnte.

Risiko hängt eher von anderen Faktoren ab:
Wenn es zu einem schweren Verlauf gekommen ist, lagen bei den betroffenen Patienten neben dem Herzfehler häufig weitere bekannte COVID-Risikofaktoren vor. So wiesen 7 Verstorbene einen einfachen AHF auf, sie waren aber alle an einem Diabetes erkrankt, waren übergewichtig u. im Alter 42 - 85 Jahren. 10 Verstorbene waren vor der Infektion zyanotisch, 5 von ihnen waren an einem Eisenmenger-Syndrom erkrankt. 2 weitere Betroffene hatten eine PAH.  

Beispiel: Angenommen ein Patient mit zurückliegender Fontan-Operation ist nicht zyanotisch u. hat auch keine Herzinsuffizienz oder Herzrhythmusstörung, dann scheint sein Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf nicht höher zu sein als für jemanden ohne AHF, aber vergleichbaren Komorbiditäten. Obwohl das viele Spezialisten für angeborene Herzfehler wahrscheinlich anders vorhergesagt hätten.

Konklusion:
Das Risiko scheint somit mehr von physiologischen Faktoren als von der Komplexität des zugrunde liegenden anatomischen Defekts abzuhängen.

Was bedeutet dies für eine Impfpriorisierung?
Unser Ziel ist es, Hochrisikopatienten auf ethisch verantwortungsvolle und datengetriebene Art und Weise zu schützen. Nach der Brisanz der aktuellen Daten könnte es angesichts der gewonnenen Erkenntnisse angemessen sein, EMAH zu priorisieren, wenn diese mindestens einen EMAH-spezifischen Risikofaktor für einen schweren COVID-19-Verlauf aufweisen. Zu diesen Risikofaktoren gehören demnach eine Zyanose, eine Anamnese einer klinisch relevanten Herzinsuffizienz, eine Hypoxie in Ruhe, ein fortgeschrittenes physiologisches Stadium u. eine PAH.


https://dgk.org/kongress_programme/ht2023/aV668.html