Clin Res Cardiol (2023). https://doi.org/10.1007/s00392-023-02302-4

Digitoxinintoxikation nach Genuss von selbst gepflücktem „Salbeitee“
C. Merten1, M. Borlich1, L. Iden1, G. Richardt1
1Herz- und Gefäßzentrum, Segeberger Kliniken GmbH, Bad Segeberg;

Ein 54jähriger Patient stellte sich in der Notaufnahme vor und klagte über Oberbauchschmerzen sowie Übelkeit und Erbrechen. Aufgrund von Erkältungsbeschwerden habe er sich aus Salbei einen Hustentee kochen wollen und dazu in seinem Garten die Blätter geerntet. Einige Stunden nach Konsum des Tees traten die gastrointestinalen Beschwerden auf; weitere Symptome bestanden nicht. Auch die körperliche Untersuchung war unauffällig. Ebenso gab es im Aufnahmelabor keine wegweisenden Veränderungen.

Im EKG fiel ein ektoper atrialer Rhythmus mit einer HF von 63/min auf, zudem ein AV-Block I° mit einer PQ-Zeit von 260 ms sowie muldenförmige ST-Streckensenkungen in den Ableitungen I, II, III, aVF, V4-V6, die an die typischen EKG-Veränderungen einer Digitalisüberdosierung denken ließen (Abb). 

 Tatsächlich passten die von Angehörigen mitgebrachten Blätter vielmehr zu einer Fingerhutpflanze als zu Salbei, so dass der Patient unter dem Verdacht auf eine Digitalisintoxikation aufgenommen und am Monitor überwacht wurde.

Die Spiegelbestimmung ergab einen Digitoxinspiegel von 77µg/l (therapeutischer Zielbereich 10-25 µg/l) und bestätigte die Verdachtsdiagnose einer Digitoxinintoxikation nach akzidenteller Ingestion von Fingerhutblättern.

Zudem erfolgte die Gabe von Aktivkohle noch in der Notaufnahme sowie eine Therapie mit Colestyramin zur Unterbrechung des enterohepatischen Kreislaufs. Auf die Gabe von Digitalis-Antitoxin wurde aufgrund der milden Symptomatik verzichtet.

Die EKG-Veränderungen bildeten sich innerhalb weniger Tage zurück, und der Patient konnte beschwerdefrei und mit normalisiertem EKG entlassen werden.

 

Während in der Vergangenheit Digitalispräparate in der Kardiologie häufig zum Einsatz kamen, werden sie heute nur noch relativ selten eingesetzt. Die typischen EKG-Veränderungen einer Digitalisintoxikation sind daher weniger präsent. Dieser Fall illustriert, wie wichtig zum einen die EKG-Diagnostik auch bei Patienten mit nicht-kardialen Symptomen ist, da hier das EKG unmittelbar den Hinweis auf die Noxe gegeben hat, und zum anderen wie wichtig auch die Kenntnis der typischen Digitalis-induzierten EKG-Veränderungen, die bei Medikamentenüberdosierung wie bei akzidenteller Ingestion von Fingerhutpflanzen gleichermaßen auftreten. 



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