Clin Res Cardiol (2021). 10.1007/s00392-021-01933-9

Eine virtuelle Ärztin als Teil des Versorgungsprozesses: Ergebnisse einer Interviewstudie zu Erwartungen und Präferenzen von Patienten mit Herzinsuffizienz und deren Angehörigen im Projekt PASSION-HF
B. Zippel-Schultz1, J. Brandts2, C. Eurlings3, E. Furtado Da Luz Brzychcyk4, M. Barrett4, L. Hill5, L. Dixon5, C. Ski6, D. Thompson5, K. Schütt2, T. Hoedemakers7, D. Müller-Wieland2, T. M. Helms1, H.-P. Brunner-La Rocca8, für die Studiengruppe: PASSION-HF
1Deutsche Stiftung für chronisch Kranke, Berlin; 2Med. Klinik I - Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin, Uniklinik RWTH Aachen, Aachen; 3Cardiology Department, Laurentius Hospital Roermond, Roermond, NL; 4Cardiology, St. Vincents University Hospital, Dublin, IE; 5School of Nursing and Midwifery, Queens University Belfast, Belfast, UK; 6Integrated Care Academy, University of Suffolk, Ipswich, UK; 7Sananet, AT Sittard, NL; 8Department of Cardiology, Maastricht University Medical Centre, HX Maastricht, NL;

Herzinsuffizienz (HI) gehört zu den häufigsten chronischen Erkrankungen, ist durch eine hohe Morbidität und Mortalität (1) sowie wiederkehrende Krankenhausaufenthalte gekennzeichnet und verursacht hohe Kosten für das Gesundheitssystem (2). Die zeitnahe Therapieanpassung an die Patient*innenbedürfnisse ist entscheidend, um eine Verschlechterung der Erkrankung zu vermeiden (3). Dies wird jedoch u. a. durch eine ungleiche Versorgungsdichte in ländlichen und städtischen Regionen erschwert. eHealth-Anwendungen haben das Potenzial, diese Situation zu entlasten. Eine zentrale Frage ist, ob Patient*innen digitale Anwendungen als Teil ihrer Versorgungsprozesse akzeptieren.

Das Projekt „PASSION-HF“ (Interreg NWE 702) hat das Ziel, einen digitalen, interaktiven Therapiebegleiter DoctorME zu entwickeln. Diese*r virtuelle Arzt / Ärztin soll HI-Patient*innen im Alltag begleiten und es ihnen ermöglichen, sich zuhause weitgehend selbstständig zu behandeln.

Der erste Schritt war eine explorative Mix-Method-Studie (März-Juni 2019) in Deutschland, Irland, den Niederlanden und im Vereinigten Königreich. Qualitative Leitfadeninterviews wurden durch Antworten auf einem standardisierten Fragebogen ergänzt. Thematisiert wurden die Erwartungen an ein virtuelles Unterstützungssystem und der Nutzen aus Patient*innensicht, der Versorgungsprozess sowie Risiken und Vertrauen. Die Interviews wurden mittels Inhaltsanalyse (4) und „Atlas.TI“ ausgewertet. Der quantitative Teil konzentrierte sich neben demographischen Faktoren, auf Fragen zum Selbstmanagement der HI, zur Technologieakzeptanz und Arzt-Patienten-Beziehung. Die Ergebnisse wurden mit Hilfe deskriptiver Statistik („SPSS“) ermittelt.

Insgesamt wurden 49 Patient*innen und 33 Angehörige befragt. Die meisten Patient*innen waren männlich (76 %) und zwischen 60 und 69 Jahren (43 %) alt. Die Männer waren neuen Technologien gegenüber aufgeschlossener. Sie schätzten sich als kompetenter bei der Nutzung ein als Frauen.

In ihrem Versorgungsprozess präferieren die Befragten aktuell den persönlichen Kontakt zu ihrem Arzt / ihrer Ärztin. Herausgestellt wurden a) die menschliche Komponente und b) eine Skepsis gegenüber neuen Technologien. Viele Befragte äußerten die Meinung, dass ein Arzt / eine Ärztin individueller auf ihre Bedürfnisse eingehen könnte, z. B. nonverbale Hinweise berücksichtigt. Auch waren die Interviewten unsicher, wie sehr sie der Richtigkeit und Genauigkeit der Aussagen einer eHealth-Anwendung vertrauen können.

Großes Potenzial wurde v. a. in a) der besseren Verfügbarkeit (zeitlich und örtlich) und b) einer personalisierten Medizin von eHealth-Lösungen gesehen. Die Interviewten sahen es als positiv an, dass DoctorME jederzeit und überall zur Verfügung stehen würde. Wartezeiten und lange Wege würden entfallen. Viele Teilnehmende vermuteten, dass eHealth-Lösungen Neben- und Wechselwirkungen von Medikamenten besser als Behandler*innen erkennen und Patient*innen vor bevorstehenden Verschlechterungen warnen könnten. Auf Basis vieler Daten wäre eine personalisierte Medizin möglich. Die Interviewten betonten auch, dass die Gewohnheit eine große Rolle spielt.

Die Ergebnisse liefern wertvolle Hinweise für die Entwicklung und Umsetzung von eHealth-Lösungen, die gemeinsam mit den beteiligten Akteur*innen vorangetrieben werden sollten, um die Potenziale für die zukünftige Versorgung voll nutzen zu können. PASSION-HF mit DoctorME wird 2021 in einer klinischen Studie in den vier europäischen Ländern getestet.

https://dgk.org/kongress_programme/ht2021/P97.htm