Clin Res Cardiol (2021). 10.1007/s00392-021-01933-9

Psychokardiologie – Wichtige praxisrelevante Aspekte bei angeborenen Herzfehlern
R. Eyermann1
1Rehabilitation f. Kinder & Jugengliche, AHB, Kind-Mutter/Vater-Rehabilitation, Klinik Schönsicht, Berchtesgaden;

Hintergrund:
Die Evidenz für die Bedeutung psychosozialer Aspekte in Entstehung und Verlauf von Herz-Kreislauf-Erkrankungen wächst. Aber häufig ist die Therapie vieler Patienten noch zu einseitig und meist von rein somatischen Ideen zu ihren Herzerkrankungen geprägt.

Methodik:
Evidenzbasierte Literaturrecherche, Erfahrungen, Praxis-Fazit.

Ergebnisse:

1. Aufwachsen und leben mit AHF:

Frühe Korrektur-OP signalisiert den Eltern meist eine vitalbedrohliche Krankheit des Kindes. Geburt und Begleitung bei schwerem AHF stellen für Eltern einen massiver Einschnitt in ihre Lebensplanung dar. Folge sind oft anhaltende, real begründete, aber zum Teil auch neurotisch überlagerte Ängste. Selbstzweifel und Selbstvorwürfe der Eltern äußern sich in der Betrachtung von Zeugung/Geburt als persönliches Versagen, als genetische „Minderwertigkeit“, als Strafe des Schicksals.

Häufig haben Patienten mit AHF als Adulte auch psychische Probleme. Sie entwickeln Ängste, neurokognitive Defizite, gestörtes Körperbild u. Beziehungsprobleme. Overprotektion ist häufig und behindert viele Kinder in deren progressiven Reifung deutlich.

Forschungen ergaben ein häufig größeres Ausmaß elterlicher Fürsorge bei Kindern mit AHF als bei gesunden Kindern. Jüngste Daten internationaler Studien, aktueller Befragungen Adulter mit AHF (EMAH) nach ihren Kindheitserinnerungen u. Untersuchungen der Relation zwischen elterlicher Overprotektion, - definiert als Einmischung, überzogene Kontakte, Infantilisierung u. Behinderung der Unabhängigkeit -, und Angstzuständen, die mit der Erkrankung in Relation stehen, liegen vor. Nach Beurteilung der Schwere des AHF, Ausmaßes der Angstzustände und der während der Kindheit wahrgenommenen Overprotektion zeigen Ängste eine enge Relation zum Maß an elterlicher Overprotektion und zur Schwere des AHF. Überraschend korreliert das Maß elterlicher Fürsorge nicht mit der AHF-Schwere.  

In Partnerschaften besteht Neigung zur Krankheitsbagatellisierung oder bei fürsorglichem Partner zu erneuter Entwicklung asymmetrischer Beziehungen. Folgen sind Abhängigkeit und unselbständiges Leben.

Weitere Probleme zeigen sich oft bei Berufswahl u. eigener Familiengründung.

 

2. Besonderheiten Arzt-Patient-Beziehung:

Manifestationsalter, ärztliche Begleitung der Eltern, Ablösungsschritte
bei jungen EMAH, interdisziplinäre Zusammenarbeit bei Familienplanung, Entscheidungsdilemma bei differenten Therapieoptionen (z.B. Notwendigkeit Klappenersatz: Kunstklappe, Bioklappe, Klappenrekonstruktion,   klappentragende Katheterintervention, ggf. Hybrideingriff).

 

3. Therapie-Überlegungen:

Routinescreening: Bei Jugendlichen und Erwachsenen (Patienten oder Eltern) mittels gezielter Anamnesefragen oder standardisierter Fragebögen; für Kinder spezielle Selbst- und Fremdbeurteilungsverfahren.

Behandlung interdisziplinär, auch durch KJPP. Bei EMAH sind die durch AHF geprägte Kindheitsentwicklung und typische Folgeprobleme zu beachten.

 

Konklusion:
Erkennung und Behandlung krankheitswertiger psychischer bzw. psychosomatischer Störungen sind wegen des Einflusses auf Lebensqualität und Krankheitsverhalten incl. Adhärenz auch bei Patienten mit AHF wie bei anderen Herzkrankheiten erforderlich.

Wichtige interdisziplinäre Aufgabe muss daher in Langzeitbetreuung von Patienten mit AHF neben der Lösung klinischer Probleme auch das konsequente Angehen der untrennbar assoziierten psychosozialen Probleme sein, v.a. die Förderung der Unabhängigkeit und damit psychosozialen Anpassung Heranwachsender und EMAH. 

 

 


https://dgk.org/kongress_programme/ht2021/P759.htm