Clin Res Cardiol (2021). 10.1007/s00392-021-01933-9

Klarer durch unklare Signifikanz? – Molekulargenetische Diagnostik als wesentliches Tool zur Diagnosefindung bei familiär gehäuftem Sekundenherztod (zunächst) unklarer Genese
Y. Teumer1, K. Weinmann1, F. Diofano1, M. Baumhardt1, D. Aktolga1, C. Bothner1, D. Buckert1, T. Dahme1, W. Rottbauer1, S. Just1, A. Pott1, für die Studiengruppe: BCMU
1Klinik für Innere Medizin II, Universitätsklinikum Ulm, Ulm;

Hintergrund

Der plötzliche Herztod (SCD) hat bei jungen Patienten häufig eine genetische Ursache.  Genetisch-bedingte Herzerkrankung wie bspw. die arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie (ARVC) werden in diesem Zusammenhang jedoch selten diagnostiziert, wodurch die zugrunde liegende Pathologie des SCD unklar bleibt. In den letzten Jahren hat sich die molekulargenetische Diagnostik im Kontext kardiovaskulärer Erkrankungen im klinischen Alltag fest etabliert. Anhand eines Fallbeispiels einer Familie mit gehäuftem SCD möchten wir den diagnostischen Workup unter Zuhilfenahme der molekulargenetischen Diagnostik schildern.

Fallvorstellung

Im Juli 2020 stellte sich die 26-jährige Frau H. in unserer Ambulanz zur kardiologischen Risikobewertung bei familiär gehäuftem plötzlichem Herztod (SCD) vor. Sowohl der Vater als auch die Schwester überlebten einen plötzlichen Herztod, wobei die Schwester aufgrund einer prolongierten Reanimation an einem hypoxischem Hirnschaden leidet. Beim Vater und bei der Schwester war trotz unklarer Ursache des SCD ein transvenöser Defibrillator implantiert worden.

Bei der im Alltag gut belastbaren Indexpatientin war die Anamnese abgesehen von einer einmaligen Synkope im Rahmen eines Toilettengangs sowie gelegentlichen Palpitationen unauffällig. Die kardiovaskuläre Basisdiagnostik inklusive Kardio-MRT ergab keinen Hinweis auf eine strukturelle Herzerkrankung. Allerdings zeigte sich in der Langzeit-EKG-Untersuchung bemerkenswerterweise eine ausgeprägte ventrikuläre Extrasystolie.

Aufgrund des gehäuften Auftretens eines SCD in der Familie wurde zur weiteren Eingrenzung der zugrundeliegenden Pathologie eine Paneldiagnostik hinsichtlich genetisch bedingter Herzrhythmusstörungen und Kardiomyopathien bei der gesamten Familie veranlasst. Hier konnte interessanterweise bei den erkrankten Familienmitgliedern wie auch bei der Indexpatientin die Trägerschaft einer genetischen Varianz unklarer Signifikanz (VUS, Klasse III) im Desmocollin-2-Gen (DSC2) nachgewiesen werden. In-sillico-Vorhersageprogramme (SIFT, Polyphen-2, Mutation, Taster, Align GVGD) wiesen auf einen möglichen deletären Effekt der DSC2-Variante hin. Aufgrund der Genotyp-Phänotyp-Korrelation beim betroffenen Vater und der betroffenen Schwester der Indexpatientin sowie des potentiell deletären Effekts werteten wir die DSC2-Varianz als kausal. Mit diesem molekulargenetischen Befund konnte nun anhand der Major- und Minorkriterien mindestens eine Borderline-ARVC diagnostiziert werden und die Patientin hinsichtlich des bestehenden kardiovaskulären Risikos spezifisch beraten werden. Zusammen mit der Patientin entschieden wir uns für die Implantation eines S-ICD, welcher im März diesen Jahres bei der Patientin erfolgreich implantiert werden konnte.

Schlussfolgerung

Während die kardiologischen Basisdiagnostik im geschilderten Fall keinen wegweisenden Befund ergab, konnte mittels molekulargenetischer Diagnostik die zugrunde liegende Pathologie eingegrenzt und die Diagnose einer (Borderline)-ARVC gestellt werden, so dass eine Erkrankungsspezifische Beratung und Risikoevaluation der Patientin möglich war.


https://dgk.org/kongress_programme/ht2021/P152.htm