Clin Res Cardiol (2021). 10.1007/s00392-021-01933-9

All-trans Retinsäure (ATRA) bewirkt eine dichotome quantitative und qualitative Modulation der angeborenen Immunantwort nach Myokardinfarkt im Mausmodell
J. Wrobel1, J. Rettkowski2, H. Seung3, C. Walde1, P. Stachon3, C. von zur Mühlen4, C. Bode3, N. Cabezas-Wallscheid2, T. Heidt3
1Universitäts-Herzzentrum Freiburg - Bad Krozingen GmbH, Freiburg im Breisgau; 2Max Planck Institute of Immunobiology and Epigenetics, Freiburg; 3Klinik für Kardiologie und Angiologie I, Universitäts-Herzzentrum Freiburg - Bad Krozingen GmbH, Freiburg im Breisgau; 4Innere Medizin III, Kardiologie und Angiologie, Albert- Ludwigs-Universität Freiburg, Freiburg im Breisgau;
Hintergrund: Die Infarkt-reaktive Hämatopoese (IRH) ist ein essenzieller Bestandteil der Monozyten/Makrophagen (MΦ)-gesteuerten Efferozytose, sowie des kardialen Remodeling nach Myokardinfarkt (MI). Eine exzessive Steigerung der Myelopoese und Leukozytenrekrutierung in den Infarkt führt jedoch zu einer eingeschränkten myokardialen Wundheilung. Die Modulation der IRH könnte daher ein neuer Therapieansatz für eine verbesserte Infarktheilung sein. Der Vitamin-A-Metabolit ATRA ist ein potenzieller Modulator der Myelopoese und des angeborenen Immunsystems. In Vorarbeiten konnte gezeigt werden, dass ATRA hämatopoetische Stammzellen (HSC) vor einer Aktivierung durch externe Stressoren schützt. 

Ziel: In dieser Studie soll die Wirkung von ATRA auf die Wundheilung nach MI untersucht werden. 

Methoden: Der MI wurde durch permanente Koronarligatur in C57BL/6 Mäusen induziert. ATRA (30mg/kg KG) oder die Trägerlösung (DMSO) wurden 24h nach OP intraperitoneal appliziert und einmal täglich für max. fünf Tage verabreicht. Zellzyklus-Analysen von HSCs sowie die Immunphänotypisierung von Leukozyten in Knochenmark (KM), Blut und Herz erfolgten mittels Durchflusszytometrie (FACS). Das kardiale Remodeling wurde anhand von Immunhistochemie (IHC) auf inflammatorische und fibrotische Veränderungen, sowie die kardiale Funktion mittels Echokardiographie im postischämischen Verlauf untersucht. Durch qPCR erfolgte die Analyse der Expression von Zytokinen aus Infarktgewebe und monozytären Zellen aus KM und Herz. 

Ergebnisse: Im Vergleich zu DMSO-Kontrollen zeigte sich unter ATRA-Behandlung eine deutlich reduzierte Aktivierung von hämatopoetischen Stammzellen bis Tag zwei nach MI (p <0,01). Zudem konnte mittels FACS-Analysen aus KM, Blut und Infarktgewebe eine konkordante Reduktion von myeloiden Zellen sowie eine verminderte Expression inflammatorischer Zytokine unter ATRA-Gabe nachgewiesen werden (p < 0,05). Trotz der frühen anti-inflammatorischen Wirkung, zeigte sich jedoch echokardiographisch keine Auswirkung der ATRA-Therapie auf die kardiale Funktion oder das Remodeling (nicht signifikant). Als mögliche Ursache konnte im Remote-Areal der ATRA-behandelten Herzen eine vermehrte Infiltration von CD11b+ Zellen (p < 0,001) und die damit einhergehende Expression von Entzündungsmediatoren (p < 0,01), sowie ein erhöhter Kollagengehalt gemessen werden (p < 0,0001). Zudem wiesen neu-formierte Monozyten nach MI und kardiale MΦ unter ATRA Stimulation einen pro-inflammatorischen Phänotyp mit vermehrter Expression von IL-6, MMP2 und MMP9 auf (p < 0,001). Auch in vitro führte die Inkubation mit ATRA zu einer pro-inflammatorischen Induktion von zuvor M2-polarisierten KM-MΦ (p < 0,05).

Zusammenfassung: Trotz einer ATRA-induzierten Modulation der IRH in der Akutphase nach MI, lies sich durch die Therapie kein Vorteil für die kardiale Funktion oder das Remodeling nachweisen. Dies lässt sich auf eine pro-inflammatorische Stimulation ATRA-induzierter, von Monozyten-abstammender MΦ mit gesteigerter Fibrose-Aktivität zurückführen. Diese Beobachtungen betonen die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung qualitativer und quantitativer Veränderung der IRH, sowie dem individuellen Entzündungsverhalten von beteiligten Immunzellen für ein verbessertes Verständnis der Wundheilung nach MI.

https://dgk.org/kongress_programme/ht2021/BS1019.htm