Clin Res Cardiol 108, Suppl 2, October 2019

Intermittierender, stummer rechter Vorhof unter Verapamil und Digitoxin
M. Brand1, B. Humaid1, N. Zalloum1, I. von Auenmüller1, G. Kciku1, J. Nölke1, H.-J. Trappe1
1Med. Klinik II, Kardiologie u. Angiologie, Marienhospital Herne, Klinikum der Ruhr-Universität Bochum, Herne;

Hintergrund: Ein stummer Vorhof (silent atrium) stellt eine sehr seltene Rhythmusstörung dar, welche durch das vollständige Fehlen von elektrischer und mechanischer Aktivität im Vorhof gekennzeichnet ist und mittels EKG oder Echokardiographie diagnostiziert werden kann. Der Vorhof kann teilweise oder ganz betroffen sein; in den meisten Fällen wurde über ein permanentes Auftreten berichtet. Man unterscheidet idiopathische, hereditäre und sekundäre Ursachen. Als sekundäre Ursachen wurden neben Amyloidosen und Myokarditiden auch eine medikamenteninduzierte Form (u.a. bei Quinidin und Digitalis) beschrieben. Um Synkopen, Herzinsuffizienz, Schlaganfälle und plötzliche Todesfälle zu vermeiden, ist eine zügige Therapie mittels Herzschrittmacherimplantation, Antikoagulation und Herzinsuffizienztherapie anzustreben.

Fallbericht: Wir berichten über den Fall einer 73-jährigen Patientin, welche sich bei progredienter Dyspnoe, typischer Angina pectoris sowie intermittierendem Schwindel in unserer Klinik vorstellte. Bei paroxysmalem Vorhofflimmern mit intermittierend hochsymptomatischen Phasen und Ablehnung einer Pulmonalvenenisolation war durch den niedergelassenen Kardiologen eine Therapie mit Verapamil und Digitoxin eingeleitet und eine Coronarangiographie indiziert worden. Klinisch, elektrokardiographisch und echokardiographisch zeigte sich bei T-Negativierungen inferior und anterolateral ein regelrechter Befund.Laborchemisch fiel eine Troponinaktivierung ohne relevante Kinetik sowie ein erhöhtes proBNP (922 pg/ml) auf. Die Leberfunktionsparameter, Elektrolyte sowie der Digitoxinspiegel waren unauffällig. Nach Coronarangiographie erfolgte die komplikationslose PCI einer medialen RIVA-Stenose. Bereits vor der Intervention hatte sich eine hämodynamisch tolerierte, aber symptomatische Bradykardie ohne erkennbare P-Wellen mit Herzfrequenzen von 40-45/min gezeigt. Bei Persistenz der symptomatischen Arrhythmie entschieden wir uns zur Implantation eines 2-Kammerschrittmachers. Nach komplikationsloser RV-Sondenanlage, konnte in diversen rechtsatrialen Sondenpositionen - mit radiologisch guter Lage – kein Potential des rechten Vorhofs wahrgenommen werden.  Im Reizschwellentest gelang auch mit 10V Impulsamplitude in keiner Position eine atriale Depolarisation bei unauffälligen Impedanzwerten. Nach Ausschluss technischer Fehler (u.a. Tausch von Sonde und PSA-Messkabel) entschieden wir uns zur Implantation der Sonde in loco typico bei gutem Impedanzwert. Am Folgetag persistierte der elektrisch stumme Vorhof bei sonst regelrechter Aggregatfunktion und deutlich gebesserter Symptomatik der Patientin. In einer 14 Tage später durchgeführten Kontrolle war im rechten Atrium ein normales Sensing bei Sinusrhythmus mit 65/min sowie eine effektive Vorhofstimulation mit guter Reizschwelle möglich.

Schlussfolgerung:

Ein stummer Vorhof ist eine sehr seltene aber ernsthafte Rhythmusstörung, welche häufig persistiert. Der Verdacht sollte geäußert werden, falls im EKG keine P-Wellen sichtbar sind, jedoch eine regelmäßige, supraventrikuläre Bradykardie vorliegt. Da Einzelfälle bei Digitalisintoxikation beschrieben sind, sollte (v.a. bei Komedikation mit Verapamil, welches die Clearance von Digitoxin um ca. 30% herabsetzt) eine Überdosierung ausgeschlossen werden. Unser Beispiel zeigt, dass bei Patienten mit silent atrium dennoch die Implantation einer rechtsatrialen Sonde sinnvoll sein kann, da die Rhythmusstörung intermittierend oder sogar reversibel sein kann.

https://www.abstractserver.com/dgk2019/ht/abstracts//P704.htm