H206 Chirurgische Akuttherapie bei Instabiler Angina Pectoris (IAP) und Myokardinfarkt ohne ST-Streckenhebung (NSTEMI): Ist die Thrombozytenaggregationshemmung eine Problem?
Chr.-F.Vahl
Chir. Klinik Abt. f. Herzchirurgie Uni.-Klinikum Heidelberg, Heidelberg.

Noch vor 10 Jahren wurde die präoperative Verabreichung von Thrombozytenaggregationshemmern als bedeutsames Risiko für eine nachfolgende herzchirurgische Intervention eingeschätzt. Entsprechende Empfehlungen zielten daher auf ein frühzeitiges Absetzen dieser Medikamente. Selbst bei instabiler Angina pectoris (IAP) und beim Myocardinfarkt ohne ST-Streckenhebung schien eine singuläre Therapie mit Heparin empfehlenswert. Diese Einschätzung ist heute nicht mehr uneingeschränkt gültig und begründbar.

In Bestätigung der Datenlage aus der Literatur sprechen auch die eigenen Befunde dafür, daß die präoperative Thrombozytenaggregationshemmung das perioperative Risiko einer operativen Myocardrevaskularisation nicht nennenswert erhöht. Die Qualität der chirurgischen Intervention (Indikatoren: Anzahl peripherer und proximaler Anastomosen, Häufigkeit der arteriellen Revaskularisation, Dauer der extrakorporalen Zirkulation, komplette Revaskularisation)wird dadurch nicht beeinträchtigt. Auch die Wahrscheinlichkeit des Auftretens sekundärer Organkomplikationen (Hirnblutung, Nierenversagen, Wundheilungsstörungen) wird nicht erhöht. Dieses gilt selbst dann, wenn hochwirksame IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten präoperativ appliziert werden müssen.

Allerdings ist bei präoperativer Verabreichung von Thrombozytenaggregationshemmern mit einem gesteigerten Verbrauch von Frembblutprodukten zu rechnen. Das perioperative chirurgische Management muß individuell angepaßt werden: so ist bei präoperativer Administration von bestimmten Thrombozytenaggregationshemmern die intraoperative Hämofiltration indiziert(z.B. Abciximab). Auch sollten hochnormale Werte der Körperkerntempeatur bei der Entwöhnung von der Herz-Lungen-Maschine(>37°C) erreicht werden, um eine optimale Blutgerinnung zu gewährleisten.

Die präoperative Gabe von Thrombozytenaggregationshemmern erfolgt ohnehin nur in einer Gruppe von Patienten, die durch besondere Risiken gefährdet ist: kürzlich platzierte Stents, eine diffuse, generalisierte Form der koronaren Herzerkrankung, “giftige” Stenosen, die Einbeziehung des Hauptstammes, rupturgefährdete Plaques, die klinisch persistierende Beschwersymptomatik u.s.w. In Abwägung des Gesamtrisikos wird der Chirurg immer eher bereit sein, einen erhöhten Drainageblutverlsut zu akzeptieren, als ein gut ausbalanziertes Perfusionssystem des Herzens durch drastische Intervention in den Gerinnungsmetabolismus zu gefährden. Daher ist der Blutverlust ein ungeeignetes Instrument zur Beurteilung der Qualität der chirurgischen Intervention.

Inwieweit die perioperative Verabreichung von Thrombozytenaggregationshemmern den postoperativen Kurz- und Langzeitverlauf günstig beeinflußt, ist noch nicht abschließend geklärt. Neuere Daten sind im Sinne dieser Hypothese interpretierbar. In geeigneten Fällen kann die chirurgische Strategie selbst das Risiko perioperativer Fremdblutsubstitution vermindern: im Einklang mit den eigenen Daten bestätigt die Literatur, daß der Einsatz der “off-pump-surgery” (der Myocardrevaskularisation am schlagenden Herzen) zu einer Reduktion der perioperativen Blutungskomplikationen beitragen kann.

Zusammenfassend sprechen die Daten aus der Literatur und die eigenen Erfahrungen dafür, daß eine präoperative Thrombozytenaggregationshemmung die Qualität der chirurgischen Intervention nicht beeinträchtigt. Daher sollte vor einer chirurgischen Revaskularisation bei instabler Angina pectoris oder beim Myocardinfarkt ohne ST-Streckenhebung (NSTEMI) nicht auf diese Medikation verzichtet werden. Eigene Daten scheinen sogar - im Einklang mit Beobachtungen aus der Literatur - dafür zu sprechen, daß Patienten, die präoperativ mit Thrombozytenaggregationshemmern behandelt worden sind, ein reduziertes Risiko für einen perioperativen Myocardinfarkt haben.